„Dior und ich“: Momentaufnahme

(c) Beigestellt
  • Drucken

Raf Simons gilt als schüchtern, fast scheu. In der Dokumentation „Dior und ich“ gewährt er dennoch Einblick in seine Arbeit für eines der wichtigsten Modehäuser.

Manchmal ist es eben doch besser, mit den unmittelbar Betroffenen zu sprechen. Zum Beispiel mit Modedesignern, wenn es um das Leben von Modedesignern geht. Schon allein deshalb, weil nicht von der Hand zu weisen ist, dass Menschen, die sich wegen einer abendfüllenden Filmbiografie eines Couturiers ins Kino begeben, so viel Interesse für den Gegenstand aufbringen, dass sie sich auch eine Dokumentation zu Gemüte führen.

Beispiele für Fashion-Biopics gab es zuletzt dennoch genügend, nicht alle davon waren gelungen, und bisweilen liefen sie fast zeitgleich in den Kinos an: „Coco avant Chanel“ und „Coco Chanel & Igor Stravinsky“ wurden 2009 produziert, 2014 stand im Zeichen von Jalil Lesperts „Yves Saint Laurent“ und Ber­trand Bonellos „Saint Laurent“. Gerade bei Lesperts recht plattem, hagiografisch angelegtem „Yves Saint Laurent“, der nicht von ungefähr die Zustimmung von Saint Laurents Lebensgefährten Pierre Bergé fand, fragt man sich aber, ob die umfassende YSL-Dokumentation „L’amour fou“ (2010) nicht berührender sein mag und der Person des Porträtierten eher gerecht wird.

Zwei Ebenen. Kommende Woche läuft nun die Dokumentation „Dior und ich“ in den heimischen Kinos an: Der Titel kündigt den Kunstgriff zweier paralleler Erzählstränge an, wobei es gleich mehrere Doppelungen gibt. Einmal wird aus der Autobiografie von Christian Dior gleichen Titels vorgelesen, wobei der sehr zurückhaltende Designer zwischen seinem ­privaten Ich und dem weltberühmten ­Modemacher unterscheidet. Eigentliche Hauptfigur ist aber Raf Simons, der vom Produktionsteam während einiger Monate vor der Präsentation seiner ersten Haute-Couture-Kollektion für Dior begleitet wurde. Auch er muss sein Verhältnis zu Christian Dior in diesem Zeitraum ausloten.

So wohnt der Zuseher in bewährter Doku-Manier dem Entstehen einer wichtigen Kollektion bei – für das Maison, für Simons selbst –, wird Zaungast und Rekonstrukteur eines der größten „Fashion Moments“ der letzten Jahre: nicht nur wegen der Größe und Bedeutung des Hauses Dior, sondern auch ob #der sich fortlaufend erschließenden Qualität der Arbeit von Raf Simons.

Die Struktur der Dokumentation erinnert ein wenig an die US-„Vogue“-Dokumentation „The September Issue“ (2009), in der ebenfalls auf ein großes Opus hingearbeitet wird. Dort darf neben Chefredakteurin Anna Wintour ihre Kreativdirektorin Grace Coddington die zweite Hauptrolle spielen und wird so zur Sympathieträgerin. In „Dior und ich“ ist es Simons’ rechte Hand Pieter Mulier, der als Hauptnebendarsteller in den Vordergrund tritt – und zwar besonders im Austausch mit ­den beiden Werkstättenleiterinnen, den ­Premières d’atelier Florence Chehet und Monique Bailly.

(c) Beigestellt

Neue Aspekte. Es sind ja die „petites mains“ in den Ateliers, die der Haute Couture ihren besonderen Charakter verleihen. Und die Werkstätten sind, so wird es auch hier gezeigt, die eigentliche Seele der Maisons. Während vieles bekannt anmuten, an vergleichbare Dokumentationen erinnern mag (etwa die ausgezeichnete Doku-Reihe „Le jour d’avant“ von Loïc Prigent für Arte), ist anderes neu und zum Teil unerwartet. Bekannt sind etwa die Stressmomente und die Hektik unmittelbar vor dem Defilee, neu ist die Darstellung der Premières als Profis, deren Verantwortungsgebiet weit über die Ateliers hinausgeht und die für die Kontaktpflege zu den Haute-Couture-Kundinnen während der ganzen Saison verantwortlich sind.

Was den Film darüber hinaus charakterisiert, ist das zurückhaltende Wesen von Raf Simons, der ein publicityscheuer Designer ist und dem es fraglos einiges abverlangte, überhaupt den Dreharbeiten zu diesem Film zuzustimmen. Öffentlichkeit, Presseberichte, Fototermine – derlei Dinge scheinen Simons sehr zu stören. Der sonst so souveräne Designer wirkt in der Doku nur dann unsicher, wenn er mit dem weltweiten Kommunikationschef bespricht, wie weit er sich nach dem Defilee auf den Laufsteg ­hinauswagen muss, „um Herrn Arnault glücklich zu machen“ – also den Besitzer des Modehauses.

Hohe Ansprüche. Ab und zu bietet die Dokumentation auch emotionale Momente für all jene Zuseher, die für so etwas empfänglich sind. Außerdem aber hilft sie dabei, die Vision von Simons für Dior – die es ganz offensichtlich gibt – zu verstehen. Darin besteht wieder ihre eigentliche Bedeutung für das Modesystem, wie es sich heute darstellt. Und in dem Simons seit Aufnahme seiner Tätigkeit für Dior zu den wichtigsten Akteuren zählt. So undramatisch Simons in seiner Arbeit vorgeht, so hoch sind seine Ansprüche an sich selbst und seine Mitarbeiter.

Ein besonderes Schmankerl ist „Dior und ich“ darüber hinaus für alle, die sich für die Funktionsweise der Haute Couture interessieren. Einmal nur wird Simons ungehalten, und zwar, weil nicht alle ihm für eine Anprobe angekündigten Modelle fertig sind und auch die zuständige Première, Florence Chehet, nicht rechtzeitig eintrifft. Sie hatte zu einer Kundin nach New York reisen müssen, der ein Modell angepasst wurde.

Gerade an dieser Stelle versteht man aber auch, wieso Simons die Premières einmal als Geschäftsfrauen bezeichnet, die nicht nur die Teams in den Werkstätten leiten, sondern eben auch Kundinnen mit einem Einkaufsrahmen von mehreren hunderttausend Euro pro Saison betreuen müssen.

Und die Dokumentation macht auch deutlich, dass Raf Simons weder eine Fehlbesetzung ist noch mit seinem avantgardistischen Anspruch dem Erbe des Maisons unrecht tut. „He was not the obvious choice“, sagt die ehemalige Modekritikerin der „New York Times“, Cathy Horyn, in einem eingespielten Interview. Und doch hat er sich im Nachhinein jedenfalls als die richtige Wahl herausgestellt. Nicht nur, weil er zu seiner eigenen öffentlichen Person ein ähnlich gespaltenes Verhältnis hat wie Monsieur Dior selbst. „Raf Simons und ich“ könnte in ein paar Jahren die logische Fortsetzung sein.

Tipp

„Dior und ich“. Die Dokumentation von Frédéric Tcheng kommt am 4. 9. ins Kino, Dior-und-ich-derFilm.de

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.