Ein „Feuervogel“ im Abverkaufs-Frack

Andrey Kaydanovskiy
Andrey Kaydanovskiy Christine Pichler
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Die Neuinterpretation von Strawinskis Ballett an der Volksoper: jung, witzig, gelungen.

Die Originalchoreografie habe er sich gar nicht angesehen, verkündete Andrey Kaydanovskiy unlängst im „Schaufenster“-Interview selbstbewusst. Er wollte „frei von allen Vorbildern“ sein, als er seinen „Feuervogel“ choreografierte – und damit auch frei vom Erbe der Ballets Russes und des Choreografen Michel Fokine, der den Klassiker 1910 in Paris zur Uraufführung brachte. Nun hat Kaydanovskiy seine eigene Interpretation zu Strawinskis Musik vorgelegt – als Schluss- und Höhepunkt des neuen Ballettabends, der am Freitag an der Wiener Volksoper Premiere hatte.

Der aufstrebende Nachwuchs-Choreograf erzählt in seinem fantasievollen Handlungsballett die Geschichte von Ivan, der als fettes Brathuhn verkleidet vor einem hell erleuchteten Kaufhaus Werbezettel verteilen muss. Als sein Blick in das Innere fällt, sieht er den mächtigen Besitzer Koschey, dessen Geliebte Vasilissa und die vielen Sachen, die es dort zu kaufen gibt. Vom Feuervogel als Allegorie auf die Begierde angestachelt, will er alles haben: die Frau, die Waren, das Kaufhaus, den Reichtum, die Macht. Also schleicht sich Ivan in den Konsumtempel, und schon ist man mitten drin im Vergnügen: Mihail Sosnovschi erinnert als herrschsüchtiger Koschey im Military-Outfit mit Sonnenbrille an die groteske Parodie eines Diktators. Rebecca Horner ist eine zickige, „Seid's ihr alle taub – oder deppert“ brüllende, auch gedemütigte Vasilissa, bei der man nicht weiß, ob sie wirklich blind ist oder ihr nur die strubbeligen Haare den Blick verstellen. Als Feuervogel führt Davide Dato im Glitzer-Frack mit baumelndem Abverkaufs-Schild den naiven Ivan (bestens: Masayu Kimoto) immer weiter voran. Die Szenerie ist so grotesk wie großartig: Verkäuferinnen laufen wie Schaufensterpuppen vom Fließband, der Putztrupp erinnert an eine tanzende Witwe-Bolte-Persiflage und die Leute, die das Kaufhaus zur Eröffnung stürmen, stehen flugs nur noch in Unterwäsche da.

Kaydanovskiy verpackt in seinen „Feuervogel“ eine kluge, frische, witzige Konsumkritik. Karoline Hogl (Bühnenbild, Kostüme) sorgt für einen trashig-modernen Retro-Look. Am Ende hat Ivan alles erreicht, schlüpft in Koscheys Mantel – und von draußen schaut ein Zettelverteiler in einem lächerlichen Hot-Dog-Kostüm durch die hell erleuchteten Scheiben . . .

Herausragender Davide Dato. Zum Auftakt des Abends zeigt Eno Peci seine Choreografie „Petruschka“ – mit einem herausragenden Davide Dato als engagierter, von Schülern und Direktorin (Horner) gemobbter Lehrer. Ein sehr bildhaft erzähltes Stück mit schönen tänzerischen Momenten, die thematisch an „High School Musical“ erinnern, das einen am Ende aber doch mit einem Fragezeichen zurücklässt. Der zweite Teil gehört András Lukács fabelhaften „Movements to Strawinski“: Er zeigt puren Tanz in schlichtem Schwarz-Weiß (auch die Kostüme hat er selbst entworfen) zu ausgewählten Strawinski-Stücken: sehr musikalisch (das Volksopernorchester dirigiert David Levi) und elegant. Ein abwechslungsreicher Abend – nicht nur für Strawinski-Fans.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2017)

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