In einem kleinen Seitental des großen Ötztals, in Niederthai, füllt würzige Schnee- und Waldluft die Lungen von ruhebedürftigen Städtern, die sich hier niedergelassen haben oder Urlaub machen und die Abgeschiedenheit genießen.
Niederthai. „G'schnieb‘n“ hat's, die ganze Nacht lang, und auch noch am Morgen. Meterhoch liegt der Schnee auf Tannen, Dächern und auf „Olaf“, dem 12,5 Meter hohen Schneemann, den das Nordic Team auf dem Schneespielplatz gebaut hat. Der dichte Flockenvorhang dämpft die Stimmen und das Motorengeräusch der wenigen Autos, die heute unterwegs sind. Still ist es hier oben, noch stiller, als es in dem abgeschiedenen Bergdorf des kleinen Seitentals hoch über dem Ötztal ohnehin immer ist. Acht Kilometer liegt Niederthai von Umhausen im Tal entfernt, zwölf Kurven nimmt die gewundene Straße auf ihrem Anstieg nach Niederthai, von 1039 auf 1560 Meter.
Durchatmen, loslassen, umstellen auf den Rhythmus, den die Natur diktiert. Hektisch klammern sich anfangs noch einige Neuankömmlinge ans Handy als Nabelschnur zur gewohnten Geschäftigkeit. Erst tags darauf wird sie gekappt, wenn sie sich sicher fühlen an diesem unaufgeregten Ort, wo die Luft viel reiner ist, der Verkehr kaum vorhanden und das Leben entschleunigt.
Eppas Worms
„Wegen der Ruhe kommen die Gäste zu uns“, sagt Steffi Falkner, die ursprünglich aus dem deutschen Saarland stammt und aus Liebe zu ihrem Mann Peter auf dem Sonnenplateau geblieben ist, 20 Jahre nun schon. Heute betreibt die Familie den Falknerhof, der all das widerspiegelt, was Niederthai ausmacht: sanfter Tourismus ohne Après-Ski. Nahtlos verschmilzt durch große Scheiben das Drinnen mit dem Draußen, Naturmaterialien unterstreichen den zurückgenommenen Charakter. Bilder an den Wänden? Fehlanzeige. Im Fokus allein die Berge ringsherum, mit dem 3288 Meter hohen Strahlkogel in den Stubaier Alpen als höchstem Gipfel. Auf der Speisekarte stehen die Gerichte neben hochdeutsch in Mundart, wie auch in Umhausen in den Zirbenstuben des Traditionsgasthauses Krone: „Eppas Worms“ wie „Goaßkas in Kreiterpanade bochn af marinierchtn Tomatenkarpatschö“. Kein Skizirkus, kein lärmender Verkehr, keine Industrie. Auf rund 400 Einwohner kommen 1000 Gästebetten – ein ausgewogenes Verhältnis. Statt Highlife an der Eisbar wird ein Besuch des Schafwollzentrums in Niederthai empfohlen, wo Wolle gewaschen, gefärbt und zu Teppichen, Filz-Sets und Handytaschen verarbeitet wird.
Statt Disco ist am Abend eine Laternenwanderung zum höchsten Wasserfall Tirols, dem Stuibenfall, angesagt. Stille ist der Sound der Berge in Niederthai. Kein besonders attraktiver Ort für junge Leute, möchte man meinen. „Im Gegenteil“, sagt Diplom-Langlauflehrer Michael Leiter. „Galt Langlauf früher als Altherrensport, hat er das staubige Image längst abgelegt. Viele Sportler wie Radrennfahrer nutzen bei uns Langlauf als Ausdauertraining. Für die Fitness ist es viel besser als Skilaufen.“ In der Tat erweist sich besonders das Skating auf super schmalen Brettern als Herausforderung.
Saftig-mürbe Heidelbeerknödel
Konzentriert gleiten die Langläufer über die Höhenloipen und Routen, 31 Kilometer sind es insgesamt. Wegen der schneesicheren Lage, rund 600 Meter über dem Ski-Dorado Sölden, sind beste Bedingungen von Dezember bis April garantiert. Nur an den drei Liften für Skiläufer mit insgesamt vier Pistenkilometern geht es etwas lebhafter zu, genau wie auf dem Schneespielplatz in der Mitte der Loipen, die sich um das Hochplateau ziehen.
Die Abgeschiedenheit Niederthais hat auch Topmanager Hans-Holger Albrecht, den Bruder der deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, bewogen, mit seiner Familie nach Niederthai zu ziehen. „Sehr bodenständig sind sie geworden“, sagen die Einheimischen. Genauso wie der langjährige Stammgast Bernhard Vogel, ehemaliger Thüringer Ministerpräsident. „Sie suchen die Ruhe und wissen, dass sie hier in Ruhe gelassen werden.“
In zügigem Tempo führt Michael die Gruppe über die Anhöhe auf die Horlachtalloipe. Tief sinken die Schneeschuhe ein, würzige Waldluft füllt Stadtlungen, und hinter jeder Biegung wartet ein anderes Naturerlebnis. Erst entlang des Horlachbachs, wo sich Rodel-, Langlauf- und Schneeschuhspuren vermischen, ahnen die Aktivurlauber, dass sie nicht allein in dieser Winterwelt sind, sondern andere es ihnen gleichtun. Im urigen Larstighof gönnen sie sich einen saftig-mürben Heidelbeerknödel, für den Einheimische wie Gäste lange Wege in Kauf nehmen.
Für den Rückweg nehmen sich schwächelnde Schneestapfer lieber eine Rodel hinunter ins Tal. „Einfach immer in Richtung Kirchturm“, weist Michael den Weg. Es dämmert schon bei der Ankunft, und dann wird es wieder ganz still in Niederthai.
HOCH ÜBER DEM ÖTZTAL
Infos: Die Niederthai Card lohnt sich. Enthalten sind: ein Langlaufschnupperkurs, Langlauf-Biathlon, drei Liftanlagen, 31 km Langlaufloipen und Routen, alle Rodelwege, Schneespielplatz, Stuibenfall-Laternenwanderung, öffentlicher Ski- und Langlaufbus, Führung Alte Dorfschmiede, geführte Wanderung. niederthaicard.oetztal.com
Compliance-Hinweis: Die Recherche wurde unterstützt durch den Ötztal Tourismus.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.02.2018)