Kurzwäsche: Shampoo? Ein alter Zopf!

Ob Stoppelfrisur, Bob oder lange Mähne: Gewaschen werden wollen Haare in jedem Fall. Oder doch nicht?

Womöglich ist es ja nur eine Ironie der ­Haarpflegegeschichte, vielleicht aber auch schon die erste Zerfallserscheinung des Haarwurzelkapitalismus. Ganz gewiss aber ist es der neueste Trend auf dem Shampoomarkt: kein Shampoo. „No Poo“ (von „No Shampoo“) lautet der nur bedingt glückliche Name einer Bewegung, die der Verwendung gängiger Industrie-Haarwaschmittel gänzlich abschwört.

Gepflegt wird ausschließlich mit Wasser und natürlichen Zusätzen wie Ölen, Essig, Eiern, Zitronensaft oder Tonerde. Der Lohn des Schaumverzichts: Nach einer Übergangszeit von bis zu drei Monaten soll sich gesund glänzendes und, mit etwas Glück, sogar dickeres Haar ohne fettigen Ansatz einstellen. Die britische Bloggerin Lucy Aitken Read hat über ihr Leben ohne Shampoo gerade ein Buch geschrieben. In „Happy Hair – A Definitive Guide to Giving Up Shampoo“ zeigt sie Alternativen zur industriell hergestellten Haarpflege auf und gibt ein paar Tipps, wie man in der ersten, unter Umständen etwas geruchsintensiven Zeit des „No Poo“ sein Haar unter Tüchern isoliert. Als vergleichsweise biedere Pflegevariante erscheint dagegen das ebenfalls gerade sehr trendige „Co-Washing“, bei dem anstelle von Shampoo nur Conditioner zum Einsatz kommt. Allerdings bietet sich diese Methode wirklich nur für sehr lockiges und trockenes Haar an.

„Ich glaube wirklich, dass die Leute in fünf Jahren sagen werden: ‚Oh Gott, erinnerst du dich noch an die Zeiten, in denen wir unsere Haare mit Shampoo gewaschen haben?‘“, prophezeite Michael Gordon unlängst im US-amerikanischen Technikmagazin „Wired“. Was insofern eine haarige Ansage war, als Gordon immerhin Gründer der bekannten (und in Österreich leider kaum erhältlichen) US-Haarpflegemarke „Bumble and Bumble“ ist, die 2006 an den Beautykonzern Estée Lauder verkauft wurde. Natürlich propagiert Gordon keineswegs den völligen Haarpflegeverzicht. Vielmehr hat der gebürtige Brite eine neue Pflegelinie namens „Purely Perfect“ entwickelt, die ohne Reinigungsmittel, insbesondere ohne das öl- und fettlösende Natriumlaurylethersulfat auskommt und völlig schaumfrei nur mit Aloe Vera und Ölen arbeitet. Die Idee für sein „Anti-Shampoo“ soll Gordon laut „Wired“ übrigens in Österreich gekommen sein, wo der Haarguru vor einigen Jahren auf die Produkte des Labels „Less is More“ stieß.
Für Hannes Trummers Wiener Friseursalons mit diesem Namen produziert Doris Brandhuber, Chemikerin und Aromatherapeutin, seit 2006 eine hauseigene Haarpflegeserie, deren Rezepturen ausschließlich natürliche Ingredienzen enthalten. Auch Brandhuber verzichtet völlig auf Sulfat-Tenside, die zwar ganz hervorragend gegen Verbindungen aus Schmutz und Fett wirken, aber eben auch die Kopfhaut reizen und Haarausfall auslösen können – von ihrer Umweltverträglichkeit ganz zu schweigen. „Unsere Shampoos basieren auf einem Mix verschiedener, ausschließlich pflanzlich basierter Tenside wie etwa Zuckertensid, die syner­gistisch ein Optimum an Waschkraft, Schaum, Haargefühl und Hautfreundlichkeit bieten“, erläutert Brandhuber.

Die Krone der Wäsche. Apropos Schaum: Für die meisten Konsumenten ist die weiße Pracht immer noch ein wesentliches Qualitätskriterium für die Wirksamkeit von Shampoos. Dabei lässt sich aus Schäumung allein überhaupt keine Reinigungskraft ableiten. Umgekehrt geht die simple Gleichung auch nicht auf. Die (massiv reizenden, aber äußerst wirkungsvollen) Tenside, die etwa in Geschirrspültabs eingesetzt werden, schäumen nur minimal. „Es gibt auch gut schäumende Alternativen zu Sulfaten, die deutlich weniger hautreizend sind. Allerdings kosten sie wesentlich mehr und sind auch schwieriger zu formulieren“, sagt Brandhuber.

Erich Leitner, Geschäftsführer der Gesellschaft Österreichischer Chemiker und Berater der L’Oréal-Gruppe Österreich, packt das Übel an der Wurzel: „Das Misstrauen der Anwender, die Schaum und Reinigung aus Gewohnheit gleichsetzten, verhinderte die Verbreitung von alternativen Pflegeformeln – obwohl es keinen zwingenden Zusammenhang zwischen diesen beiden Kriterien gibt.“ Die vermeintliche Effizienz kräftig schäumender Shampoos beruht auf einem historischen Zufall. „Die ersten guten Shampoos auf dem Markt nutzten eben Substanzen, die gleichzeitig Schaum erzeugten“, so Leitner.

Ein jedem sein Schuh. Inzwischen haben auch die großen Konzerne das Reinigungs- und Marktpotenzial sulfatfreier Shampoos entdeckt. Die L’Oréal-Gruppe bietet gleich mehrere Produkte an, um verschiedene Haartypen abzudecken. „Alte Regel: Nicht jedem passt der gleiche Schuh, aber alle finden einen. So ist es auch bei sulfatfreier Pflege. Geeignet ist sie für alle Erfordernisse, das speziell richtige Produkt ist individuell auszuwählen“, sagt der L’Oréal-Berater Leitner. So pflegt die neue Linie „EverPure“ etwa anspruchsvolles, poröses Haar mit Ölen aus Rosmarin, Minze und Wacholder. Und die – allerdings salonexklusive – Hightechpflege „Delicat Color“ schützt vor dem Ausbleichen von gefärbtem Haar.

Auch die französische Glamourmarke Dessange hat eine sulfatfreie Prestigereihe entwickelt, deren Reinigungsbasis aus Baumwollöl gewonnen wird und antioxidative und beruhigende Eigenschaften haben soll. Bereits das Vor­gängerprodukt „Phytodess“ enthielt Inhaltsstoffe, auf die sich wohl selbst No-Pooer einigen könnten: Tonerde, ätherische Öle, mineralische Spurenelemente, Pflanzen- und Meeresextrakte, Edelsteine und -metalle. Das Apothekenlabel Kiehl’s wiederum setzt bei seinem „Damage Repairing & Rehydrating Shampoo“ auf das Öl des Meerrettichbaumes, das schon im antiken Ägypten Verwendung fand. Das Shampoo gehört zu einem dreiteiligen Repair-System, das keine Sulfate (und keine Silikone und Parabene) verwendet, um gestresstes und geschwächtes Haar schonend, aber gleichzeitig gründlich zu reinigen.

Wie steht es nun also um die Zukunft der Haarpflege? Werden die No-Pooer die Welt verändern? Wird sich der Schaum auf unseren Köpfen in Luft auflösen? Zurück zur Natur? Durchaus möglich.

Nur eines steht fest: Der Haarwurzelkapitalismus ist alles andere als am Ende. Analysten des Finanzdienstleisters Goldman Sachs schätzten jüngst, dass der weltweite Markt für Haarpflegemittel rund 38 Milliarden US-Dollar schwer ist – mit einer Wachstumsrate von bis zu sieben Prozent pro Jahr. Und an Innovationen mangelt es der Branche ohnehin nicht: Ein Biotech-Start-up in Massachusetts experimentiert gerade mit lebenden Bakterien als Seifen- und Shampooersatz. L’Oréal soll sich schon das Patent auf die Ver
wendung von Stäbchenbakterien (Bifidobacterium longum) gesichert haben. 

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