Lippenfarbe: Alarmstufe Rot

(c) Nina Ober
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Rosa, orange oder knallfarben: Wem steht welche Lippenfarbe? Wie sieht ein „Rouge Viper“ aus? Und an wessen Hof waren zerbissene Lippen en vogue?

Große Ansage, noch größere Wirkung: Anfang 2012 verlautbarte der französische Schuhgott Christian Louboutin, dass er gedenke, sein Arbeitsgebiet zu erweitern. Im Herbst 2013 plane er, eine eigene Make-up-Serie auf den Markt zu bringen. Die Beautyszene verfiel in kollektive Verzückung. Make-up-Artists sahen reihenweise Rot. Denn wer, wenn nicht der französische Designer mit den legendären, für Konto und Knöchel gleichermaßen fatalen High Heels, könnte das perfekte Lippenstiftrot kreieren – ein Rot, so sexy und dramatisch wie die Sohlen seiner ikonischen Schuhe? Die vollkommene, einzigartige Farbe . . .



Nationalgeschmäcker. Nun scheiden sich die Geister in der Frage nach dem perfekten Rot allerdings ganz gehörig. Das fängt schon beim Geografischen an: Italienerinnen neigen traditionell zu Rotorange, Französinnen tragen selbstbewusstes Feuerrot, Engländerinnen greifen am liebsten zu Rosarot, Spanierinnen zum gedeckten Braunrot. Rot ist keineswegs gleich Rot.

Auch der Einfluss der Umgebung sollte dabei nicht unterschätzt werden. Hisane Komine, Make-up-Artist der Kosmetikmarke Sensai, erklärt: „Das Rot europäischer Mode- oder Kosmetikmarken ist sanfter und fügt sich leichter in die Umgebung ein. Das europäische Rot ist so komponiert, dass es wunderbar mit den traditionellen Stadtbildern harmoniert. Das Sensai-Rot ist dagegen von dem klaren, lebendigen Rot der Natur inspiriert und fällt stärker auf.“ Unangefochtener Lieblingston der Japanerinnen sei trotzdem Pink. Warum? „Japanische Frauen wollen auch im erwachsenen und reifen Alter ,süß aussehen.“

„Lippen sind nicht dazu geschaffen, beige zu sein. Es sei denn, man ist halb tot und liegt im Krankenhaus“ erklärte einst die Grande Dame der Kosmetikbranche, Estée Lauder. Mit dieser Einschätzung ist sie beileibe nicht allein. Eine Erhebung des Marktforschungsunternehmens Regiodata ergab, dass im vergangenen Jahr allein in Österreich 36 Millionen Euro für Lippenstifte ausgegeben wurden. Das französische Konsumentenportal Conso-Globe hat errechnet, dass weltweit in jeder Sekunde 27 Lippenstifte abgesetzt werden. Das sind mehr als 850 Millionen Einheiten pro Jahr. Rund die Hälfte des cremigen Inhalts endet übrigens auf Trinkgläsern und Hemdkrägen oder wird – unbewusst – mitgegessen.

Ein bisschen Vorsicht ist freilich bei allem Errötungsstreben geboten: So bestätigt Claude Defresne, internationaler Make-up-Artist im Hause Clarins, etwa die Faustregel, dass in Kombination mit kräftig roten Lippen Zurückhaltung in anderen Gesichtspartien geboten ist. „Das Blush sollte dann auf jeden Fall sparsam eingesetzt werden.“ Außerdem lässt Defresne noch ein wenig französisches Savoir-Faire durchblicken: „Ein kräftiges Rot ist vielleicht nicht die allerbeste Farbwahl, wenn man keine sehr kräftigen Lippen hat.“ 

Feuertaufe. Doch wie entsteht nun der perfekte Lippenstiftton? Erste Regel: Lege dich nicht zu schnell fest. Der neue „Rouge Ecstasy“ von Giorgio Armani wurden soeben in 36 Farben auf den Markt gebracht. Zu Beginn der Entwicklungsphase teilte Linda Cantello, International Make-up-Artist des Unternehmens, die Serie in drei verschiedene Farbfamilien: beige Nude-Töne, ausdrucksstarke Rot- und Lilanuancen sowie rosige Pastells. Nach der grundlegenden Entwicklung der Farbtöne im Labor übernahm der Chef höchstpersönlich den möglicherweise entscheidenden Part. „Alle Töne tragen Namen, die Herr Armani mit einer bestimmten Erinnerung in Verbindung bringt oder mit etwas assoziiert – Italien oder Mailand zum Beispiel oder auch Hollywood-Filmstars“, lässt das Giorgio-Armani-Beauty-Team verlauten. Welcher der Lippenstifte, die so klingende Namen wie „Night Viper“ tragen, auf dem Markt letztlich zum Topseller avanciert, können selbst die Profis nicht prophezeien. Aber: „Wir hoffen, dass die drei emblematischen Farben von ‚Rouge Ecstasy‘ bei den Frauen Gefallen finden: das frische Rotorange ‚Gio‘, unsere Red-Carpet-Nuance ‚Four Hundred‘, das poppige Pink ‚Eccentrico‘.“

Statt mit Namen beschäftigt man sich im Hause Chanel bei der Kreation neuer Lippenstifte in erster Linie mit der künftigen Kundin. „Bei der Entwicklung eines Lippenstiftes ist es wichtig, sich genau vorstellen zu können, wie die Frau aussieht, die ihn trägt“, erklärt Martin Schmid, National Make-up-Artist des französischen Labels. Auf die perfekte Farbe käme es dabei fast weniger an als auf die ideale Zusammensetzung der Inhaltsstoffe. „Das perfekte Verhältnis von Wachsen, Ölen, Feuchtigkeitsspendern, Antioxidantien sowie organischen und anorganischen Pigmenten ermöglicht es, genau jenen Farbton zu entwickeln, der ein Gesicht zum Strahlen bringt“, so Schmid.

Apropos Strahlen: M.A.C-Resident-Trainerin Stephanie Hartl empfiehlt in dieser Frage für den Herbst ein Doppel-Farbmanöver: Grundton in Orangerot, dazu wird mit einem dunkleren Lip Pencil ein angesagter Ombré-Farbverlauf geschminkt. „Das funktioniert auch gut in die andere Richtung. Unser Lippenstiftklassiker ‚Russian Red – ein sattes, warmes Rot – wird dafür mit einer helleren Kontur wie dem kräftigen Orange ‚What a blast kombiniert“, so Hartl.

Zerbissene-Lippen-Effekt? Und was passiert bei dem Kosmetiklabel, das den Lippenstift 1910 als Erstes in eine Metallhülse steckte? Bei Guerlain bleibt man der eigenen Geschichte treu und setzt weiterhin auf eindrucksvolle Verpackung. Der deutsch-französische Schmuckdesigner Lorenz Bäumer, der unter anderem für Louis Vuitton die Haute Joaillerie entwirft, verzierte für die aktuelle Kollektion die massive Lippenstifthülle des „Rouge G“ (inklusive integriertem Schminkspiegel!) mit einem stilisierten Plumetis-Schleier.

Die drei neuen Farbtöne des „Rouge G“ funktionieren übrigens sowohl solo als auch in Kombination mit dem (ebenfalls limitierten) „Gloss d’Enfer“, das unter anderem in dem famosen Farbton „Madame Fascine“ erhältlich ist, laut Presseinformation „a sparkling deep purple for a bitten lips effect“. Auch hier wiederholt sich die Geschichte. Schon Katharina die Große soll schließlich ihren Hofdamen befohlen haben, an ihren Lippen zu saugen und zu knabbern, auf dass sie prall und rosig werden.

Monsieur Louboutin ist übrigens noch auf der Suche nach dem perfekten Lippenrot. Der Start seiner Kosmetiklinie wurde soeben auf Herbst 2014 verschoben. 

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