Lippenstifte: Bussi-Bussi-Gesellschaft

Laufstegschön. Der Beautylook bei Véronique Branquinho, von MAC Cosmetics.
Laufstegschön. Der Beautylook bei Véronique Branquinho, von MAC Cosmetics.(c) Beigestellt
  • Drucken

Sie haben ausgefallene Namen, machen Glänzendes matt und Raues samtig. Und außerdem gibt es von den neuen Lippenstiften mindestens Fifty Shades of Red.

Die deutsche Schauspielerin und Sängerin Hildegard Knef zeichnete nicht nur ein imposant rauchiges Timbre aus, sondern auch ihr unschlagbarer Pragmatismus: „Mach mir mal Farbe auf die Lippen, damit ich weiß, wo vorne ist“, soll sie ihren Berliner Visagisten René Koch gern angewiesen haben. Was aus dem weltweit beliebtesten Schminkutensil geworden ist, seit die Knef 1954 das Werbe-Testimonial für den DDR-„Volkslippenstift“ gab, würde aber wohl selbst die kecke Diva aus den Stöckelschuhen hauen. Für uns soll’s rote Stifte regnen. Oder romanfarbene. Oder perlmuttbeschimmerte.

Lippenbekenntnisse. Die neue Saison bringt neue Farben, neue Produkte – und neue Zielgruppen. Sehr im Trend liegen derzeit Beautyprodukte für Musliminnen. Denn seit Luxuslabels wie Dolce & Gabbana den muslimischen Markt entdeckt und sogar eigenständige Kollektionen für die teils sehr wohlhabende Klientel entworfen haben, werden auch als halal (also frei von tierischen Inhaltsstoffen und Alkohol) zertifizierte Lippenstifte für die Industrie immer interessanter.

Ein weiterer Trend setzt auf die Kaufkraft sehr junger Konsumentinnen, wie Sabine Menzel, Leiterin der Konzernmarktforschung bei L’Oréal der „Berliner Zeitung“ anvertraute: „Die 12- bis 15-Jährigen kaufen zwölfmal im Jahr“ – und damit drei Mal häufiger als Erwachsene. Auch wenn sie dabei pro Kauf weniger für Beauty ausgeben, im Schnitt etwa 25 Euro, lösen sie damit die Generation 50+ als attraktivste Zielgruppe ab. Ganz in diesem Sinn hält beispielsweise das französische Label Guerlain bei seinen Neuerscheinungen für das heurige Frühjahr (insgesamt 19 verschiedene Nuancen, die allesamt fein nach dem Hausparfum „La Petite Robe Noire“ duften) auch gleich ein zart schimmerndes „001 – My First Lipstick“-Rosé bereit. Bei einem Preis von rund 30 Euro dürfte sich das Angebot allerdings eher an die Mütter des Lipstick-Nachwuchses richten.

Davon abgesehen gilt: Wer in dieser Saison etwas auf sich hält, entwirft nicht einfach nur Lippenstifte. Dior etwa bezeichnet seinen „Dior Addict Ultra-Gloss“ als Hydra Plumper, der durch seine hohe Konzentration an Hyaluronsäure Wasser anziehen, binden und die Lippen wie aufgepolstert wirken lassen soll. Öle sollen den Mund zudem mit einer kaum spürbaren, aber eindrucksvollen Hochglanzschicht überziehen. Wem das zu effektvoll erscheint, der kann auf die pastelligen Milky Tints der Sommerkollektion der Marke zurückgreifen.

Auch Mitbewerber Yves Saint Laurents neuester Coup ist, wie man gern zugibt, mehr als nur ein Lippenstift: „Im Gegensatz zu traditionellen Lippenstiften, die kalt gegossen und dann sofort fixiert werden, enthält ,Rouge Volupté Shine-Oil-in-Stick‘ zu 60 Prozent Öle, die im warmen Zustand von unten nach oben in die Stifthülse gegossen werden“, erklärt Caroline Nègre, Leiterin der wissenschaftlichen Kommunikation YSL Beauté. Vorteil des Oil-in-Sticks, laut Hersteller: Je öfter man die Lippen damit schmiere, desto samtiger würden diese. Zu verdanken sei das sechs verschiedenen Ölen, Macadamiabutter und dem Einsatz von Hyaluronsäure.

Bei Chanel wiederum liebt man es kurz und knackig und nennt den neuen, schlanken Stift, der die Lippen mit natürlichem Apfelsamen-Extrakt und Pflanzenölen pflegt, einfach „Rouge Coco Stylo“. Extravaganter wird das französische Label nur bei den Bezeichnungen für die insgesamt acht verschiedenen Farbnuancen. Diese tragen Namen wie „Roman“ oder „Récit“, sollen damit an die Brieffreundschaft zwischen Gabrielle Chanel und ihre Künstlerfreunde erinnern und damit mehr als nur ein Beauty-Produkt sein, nämlich ein „Style Accessoire“. Denn wie Gabrielle Chanel schon wusste: „Mode kommt aus der Mode. Stil bleibt.“

Es ist ein Bub! Man soll einen Lippenstift bekanntlich nicht an seiner Verpackung messen. Aber möglicherweise reicht es ja, seinen Namen gut zu finden. Debra Merskin, Kommunikations-Expertin an der Universität Ohio: „Wir bevorzugen Nuancen, die wie süße, appetitliche Lebensmittel heißen. Dicht gefolgt von allem, was sexy klingt.“ Aber auch die Verwendung skurriler Namen helfe, ein Produkt in Erinnerung zu halten. Tom Ford verpasste allen 50 Farben seiner Miniaturstift-Sonderedition „Lips & Boys“ männliche Vornamen. Man munkelte, dass es sich bei all den Alexanders, Omars oder Justins wohl um die Liste seiner verflossenen Liebschaften handle; der Designer hat das bis dato freilich nicht bestätigt. Ein echtes Kusshändchen für Namen hat auch die britische Make-up-Artistin Charlotte Tilbury. Zugunsten der Organisation Women for Women kreierte sie jüngst zusammen mit ihren Promi-Klientinnen eine Benefiz-Serie, deren Stifte etwa „Hell's Bell“ (nach Helena Bonham Carter) oder „Kidman's Kiss“ heißen. „Ich stehle die Beauty-DNA der Stars!“, beliebt Tilbury zu scherzen.

Aber zurück zu den Magiern der Saison. „Noir Révélateur“ aus der „Rouge Interdit Lipstick“-Serie von Givenchy ist ein tiefschwarzer Lippenstift, der seine Farbe dem pH-Wert der Haut anpasst und nach dem Auftragen in verschiedenen Rottönen erscheint. Ein eindrucksvoller Trick, auf den auch Clarins bei „Joli Baume Eclat du Jour“ setzt. Der Pflegestift verstärkt den natürlichen Lippenfarbton, zusätzlich soll Johannisbeer-Extrakt aufpolsternd wirken und Kakaobutter geschmeidig machen. Das aktuelle Vorzeigeprodukt von Smashbox wiederum heißt „Insta-Matte Lipstick Transformer“ und ist ein Gel, das jedem glänzenden Lippenstift wie von Zauberhand ein mattes Finish verpasst.

Rot wie Blut. Wer nun glaubt, dass zumindest das klassische Lippenstiftrot nicht neu erfunden werden kann, irrt gewaltig. So lancierte das japanische Label Sensai gerade seine „Silky Design Rouge“-Serie, die sich nur aus Rot­tönen zusammensetzt. Frei nach Audrey Hepburns Zitat „There is a shade of red for every woman“ wird die gesamte Palette von frühlingshaftem Pflaumenrot bis hin zu Weinrot mit sanftem Braunton abgedeckt. „Roter Lippenstift kann den Teint schöner und gesünder wirken lassen, da Rot die Farbe des Blutes ist“, erklärt Michael Thomas, Sensai Training Manager. Auch Eva Yean, L’Oréal Paris Global Color Designerin, hat keine Sorge, dass der Lippenstiftindustrie einmal die Farben ausgehen werden. 1985 wurde die „Color Riche“-Kollektion des Labels auf den Markt gebracht. Seither sind in der Serie mehr als 350 Töne kreiert worden: „Es gibt so viele Nuancen innerhalb einer bestimmten Farbgruppe, weil der Grad an Helligkeit oder Wärme immer verschieden ist. Außerdem spielt die Deckkraft eine Rolle, die bei einem matten Stift höher ist als in einem schimmernden“, erklärt Yean. „Und da sind wir noch gar nicht beim Finish! Da kann man mit der Zugabe von Perlmutt oder mit dem Einsatz von glänzenden oder mattierenden Inhaltsstoffen tolle Ergebnisse erzielen.“

Rot ist halt auch nicht mehr das, was es einmal war. s

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.