Nasen mit Händchen

In manchen Familien scheint ein ausgezeichneter Geruchssinn vererbt zu werden. Oder gibt es noch andere Gründe für das Bestehen von Parfümeursdynastien?

Selbstverständlich sind nicht alle Menschen, die mit Duftessenzen und Alambics hantieren, so blutrünstige Scheusale wie Grenouille, der Protagonist in Patrick Süskinds „Das Parfum“. Gleichwohl dürften in der millionenschweren Parfumbranche manche Akteure recht skrupellos gegen ihre Konkurrenten vorgehen. Besonders in dem als Parfum-Mekka geltenden Städtchen Grasse sollen Ränkespiele unter alteingesessenen Duftdynastien stattfinden – der ehemalige Duftkritiker der „New York Times“, Chandler Burr, schreibt in seinem Buch „The Perfect Scent“ sogar, ein wenig überspitzt französisierend, von einer „mafia grassoise“.

So tickt die Branche.
Um ansatzweise verständlich zu machen, um welche Jobs es für „Nasen“ geht, ist vielleicht ein Abriss branchenspezifischer Funktionsweisen hilfreich. Bei den meisten der sogenannten Designerdüfte (nur wenige Maisons beschäftigen exklusiv Hausparfümeure, Chanel und Hermès sind etwa hier zu nennen) ist nicht die jeweilige Modemarke federführend, sondern ein großer Kosmetikkonzern, der als Lizenznehmer auftritt und sich den klingenden Namen vertraglich sichert. So ist etwa Estée Lauder für alle Tom- Ford- und Donna-Karan-Düfte verantwortlich, der Luxuszweig von L'Oréal gibt die Parfums von Viktor & Rolf, Yves Saint Laurent und Armani heraus, ein anderer Konzern namens Coty lanciert die Düfte von Chloé, Balenciaga und Calvin Klein. Die Liste ist unvollständig und ließe sich erstaunlich lange fortführen.

Dabei hört die Verschachteltheit der Branche an dieser Stelle nicht auf. Selbst Coty, Estée Lauder und L'Oréal kümmern sich nämlich in erster Linie um Marketingstrategie, Verpackung, Werbung und den Vertrieb; die Düfte werden von anderen gemacht: Die meisten Parfümeure sind Angestellte von Konzernen, die im Bereich von „Geruch und Geschmack“ (die englische Phrase lautet „Flavours and Fragrances“) tätig sind. Dort entstehen neben edlen Parfums auch handelsübliche Duschlotionen, Waschmittel, charakteristische Raumaromen oder Neuwagengerüche. Diese Realität ist wahrscheinlich einen Steinwurf weiter entfernt vom Bild des am Rande eines Lavendelfeldes mit Pipetten und Glasflaschen hantierenden Duftgenies als gemeinhin angenommen.  Doch nur wenige Parfümeure schaffen es in die Riege jener begehrten „Nasen“, die bei den von Luxuskosmetik-Giganten eintrudelnden Briefings für neue Parfums vorgelassen werden, um diese prestigeträchtigen Aufträge an Land zu ziehen.

Ausschlaggebend für die Zugehörigkeit zum Kreis dieser „happy few“ ist zweifellos in erster Linie das Talent eines Parfümeurs; die Bekanntschaft mit wichtigen Entscheidungsträgern durch die Zugehörigkeit zu einem arrivierten Duftclan, Stichwort „mafia grassoise“, ist aber womöglich auch nicht von Schaden.

Duftdynastie.
Der oft in Südfrankreich ansässigen Parfümeursfamilien gibt es nicht wenige: Besonders erwähnenswert sind an dieser Stelle aber drei verwandte Parfümeure, die sehr unterschiedliche und darum fast die gesamte Palette der Möglichkeiten abdeckende Rollen spielen. Es handelt sich um die Brüder Jean-Claude und Bernard Ellena sowie Jean-Claudes Tochter, Céline Ellena.
Jean-Claude Ellena gehört ohne die Spur eines Zweifels zu den erfolgreichsten Parfümeuren, die heute tätig sind. Er ist selbst Sohn eines einigermaßen anerkannten, in Grasse ansässigen Parfümeurs und bemerkte in einem Interview: „Ich bin vielleicht Parfümeur geworden, um herauszufinden, was meinen Vater an der Welt der Düfte so sehr faszinierte." Das familiäre Umfeld legte offenbar den Grundstein für eine beachtliche Karriere, die Jean-Claude Ellena 2004 die neu geschaffene Position eines In-House-Parfümeurs für Hermès eintrug. Zu seinen beliebtesten Kreationen zählen die vier „Jardins“ des Hauses, der Bestseller „Terre d'Hermès“ und – das lässt sich in Anbetracht der Qualität dieses neu lancierten Duftes wohl schon absehen – auch „Jour d'Hermès“.
Sein Bruder, Bernard Ellena, wirkt zwar an etwas weniger exponierter Stelle (im Allgemeinen gelten Parfümeure ohnehin als eher publicityscheu), im Dienste seines Arbeitgebers, des Duftherstellers Symrise, hat er aber einige bekannte Pafums für verschiedene Auftraggeber geschaffen. Dazu zählen einige Jil-Sander-Düfte, Biotherm-Eaux und Benetton-Parfums und, die neueste Lancierung, der Davidoff-Männerduft „The Game" (auch diese Lizenz wird übrigens von Coty vertrieben).

Neben ihrem Vater Jean-Claude, dem Hermès-Hausparfümeur, und ihrem Onkel Bernard, der für wechselnde Auftraggeber tätig wird, stellt Céline Ellena einen dritten möglichen Typus dar: Sie kreiert Düfte für das auf Nischenparfümerie spezialisierte Haus „The Different Company“ und situiert sich außerhalb des auf ein breites Publikum abzielenden Beautymarktes.
Ihre subtilen Kreationen sind etwas für Liebhaber; eine Besonderheit ist auch ihr in französischer Sprache verfasster, geradezu poetischer Blog „Chroniques Olfactives“. In verschiedenen Interviews führte – die gleich ihrem Vater äußerst eloquente – Céline aus, wie sie an ihren Beruf herangeführt wurde: Sie erinnert sich an Spaziergänge mit ihrem Großvater, „der mich an der Hand durch seinen Garten in Grasse führte, bis hinein ins Gestrüpp, der Kräuter und Blätter in seinen Händen zerrieb und mich dann die Finger riechen ließ“.

Und sie erzählt von ihrem Vater, der für sie und ihren Bruder abends aus dem Labor bisweilen eigene „histoires en odeurs“ mitbrachte – mit Düften erzählte Geschichten, die seine Antwort auf Kinderfragen wie „Wie riecht eine Wolke?“ oder „Wie riecht der Sommer?“ waren. Solche prägenden Erlebnisse sind wohl tatsächlich nur in einer Parfümeursfamilie möglich und deuten wieder auf andere Ursprünge mancher Duftclans hin. Und es ist jedenfalls wohltuender, an mit Gerüchen erzählte Kindergeschichten zu denken als an erbitterte Familienfehden in einer südfranzösischen Kleinstadt. Oder gar an die Skrupellosigkeit eines mörderischen Menschenduftreplikators.

Im Titelbild: Verwandte Düfte. Jean-Claude Ellena schuf zuletzt das großartige „Jour d‘Hermès“. Céline Ellena kreiert Nischendüfte für „The Different Company“. Bernard Ellena schuf „The Game“ für Davidoff (v. l.).

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