Konzeptkunst

Parfumkünstlerin Sissel Tolaas: "Die Welt ist zu steril"

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Übel muss es zwar nicht gerade riechen, damit Sissel Tolaas ein zweites Mal hinschnuppert. Mit allzu lieblichen Düften hat die Olfaktologin aber auch nur wenig Freude. Ihr Geniestreich war das Rekonstruieren des Geruchs von Angst.

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Den detaillierten Lebenslauf von Sissel Tolaas sollte man unter Umständen erst dann genau studieren, wenn man schon wieder zur Tür hinaus ist. Abhängig davon, ob man nun fünf Studienabschlüsse und ein Doktorat in den Fächern Chemie, Mathematik, Linguistik, Philologie und bildende Kunst an Universitäten in Oslo, Moskau, Sankt Petersburg, Warschau und Oxford, unter Umständen so einschüchternd findet,  dass einem der locker flockig vorbereitete Fragenkatalog im Hals stecken bleibt.

In jedem Fall führt an der in Berlin lebenden Norwegerin, Jahrgang 1965, kein Weg vorbei, wenn man sich mit der weltweit unangefochtenen Topkapazität über wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse im Bereich von Geruch und Geruchssinn und deren zum Teil künstlerische Umsetzung unterhalten möchte. Beide Bereiche und sämtliche Überlappungen inkarniert nämlich Tolaas höchstselbst: Sie rekonstruiert den Geruch von Großstädten, will einen neuen Wortschatz für die Beschreibung von Gerüchen erstellen, hat den Ersten Weltkrieg und die Angst olfaktorisch nachgebildet.

Wie ein Apfel auf dem Kopf

„Die Entdeckung der Nase“, sagt Tolaas, nachdem sie die Tür zwischen ihrem Büro und dem Laborraum in der großen Wohnung in Schöneberg zu Entlüftungszwecken geschlossen hat, „war für mich wie der Apfel, der Newton auf den Kopf fiel. Das war Anfang der Neunzigerjahre, und ich begann, mich dafür zu interessieren, was mit Geruch möglich ist. Viele mögliche Anlaufstellen gab es nicht, im Wesentlichen waren es nur die Kosmetikkonzerne bzw. Firmen, die im Bereich Aromen und Düfte tätig sind.“

Und da ihr Erkenntnisinteresse eben gerade nicht auf olfaktorische Behübschung der Welt abzielt, musste Tolaas nicht nur ihren Geruchssinn empfindlich schärfen, sondern nach und nach ihr eigenes Curriculum zusammenzimmern. Aufgrund ihrer verschiedenen Studien und der umfassenden Vorbildung lag es für sie nahe, sich des Zusammenhangs zwischen Geruch und Sprache anzunehmen und diese Dimension weiter auszuloten: „Der Schlüssel zur Auseinandersetzung mit Geruch ist natürlich die Sprache, und es fällt uns notgedrungen schwer, präzise über Geruch zu sprechen“, erklärt sie. „Zum Teil ist das kulturell bedingt, weil wir das Sprechen über Gerüche, im Besonderen schlechte Gerüche, tabuisieren. Zum Teil ist es strukturell bedingt, weil es in vielen Sprachen ein nur wenig umfassendes Vokabular für die Beschreibung von Gerüchen gibt. In einigen ostasiatischen Sprachen ist das zum Beispiel anders: Da gibt es eigene Begriffe, die konkrete Gerüche beschreiben – und eben nur diese Gerüche.“

Dass die Grenzen der Sprache und die Grenzen der Welt zusammenfallen, ist ja spätestens seit Wittgenstein bekannt. Und in der Tat ist es – im Guten wie im Schlechten – eine ziemliche Mühsal, verbindlich, korrekt und weitgehend objektiv über Geruch zu sprechen. In den meisten westeuropäischen Sprachen fehlt das passende Vokabular. Die Folge: Man behilft sich mit Bildern, Metaphern, bedient sich synästhetischer Ausdrucksweisen (ein „grüner“ Duft, ein „warmer“ Geruch). Zumeist bleibt das Sprechen über Geruch aber doch eine vage Angelegenheit – weil eine frühzeitig erlernte, „objektive“ Ebene fehlt.

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