Das neueste Parfum aus der „Hermessence“-Kollektion spielt auf einen Literaturnobelpreisträger an.
Im Nachhinein betrachtet, ist es doch erstaunlich, dass Hermès, das Maison mit einem unglaublichen Savoir-Faire im Bereich der Lederwarenerzeugung, bisher keinen wirklich prägnanten Lederduft im Repertoire hatte (ein solcher ist das 2007 lancierte Parfum „Kelly Calèche“ nämlich nicht gerade). Ursprünglich handelte es sich ja bei Hermès um einen Sattelmacher, „Hermès Sellier“ steht auch noch immer am Dach des Stammhauses in der Rue du Faubourg Saint-Honoré in Paris. Nun ist der große Parfumintellektuelle Jean-Claude Ellena, der vor zehn Jahren seinen Dienst als hauseigene „Nase“ begonnen hat, aber endlich mit einer besonderen Lederkreation angetreten, um den Geschmack der anspruchsvollen Klientel zu treffen. Das neueste Parfum aus der „Hermessence“-Kollektion heißt „Cuir d‘Ange“, Engelsleder: Die Metapher ist einem Roman des Literaturnobelpreisträgers Jean Giono entlehnt.
Ellena wollte, war zu hören, einen Lederduft kreieren, der sich von der Tradition der schweren „Cuirs russes“ der Zwanzigerjahre entfernt. Und doch ist das Ergebnis seiner Mühen ein im besten Sinn altmodischer Duft, der sich aber weniger opulent als das wohl bekannteste Russisch-Leder im Handel, „Cuir russe“ von Chanel, entfaltet. Auch mit zwei anderen herausragenden Lederdüften, dem weichen „Tuscan Leather“ von Tom Ford und dem fruchtigen „Daim blond“ von Serge Lutens, ist sein „Cuir d’Ange“ zwar offensichtlich verwandt, aber es ist auch um vieles pudriger, blumiger, ja erdiger (was einer unverkennbaren Iriswurzelnote geschuldet ist). Mit diesem Duft ist Ellena ein Lederparfum gelungen, das – was auf diesem Niveau nicht einfach zu bewerkstelligen ist – dem Namen des Hauses zur Ehre gereicht und, dem Hermès-Jahresmotto für 2014 folgend, eine „Metamorphose“ von weichem Leder in zarte Duftschwaden bewerkstelligt: Ein schönes und doch auch verhaltenes Parfum.
Weitere Kolumnen finden Sie auf:
Schaufenster.DiePresse.com/riechstoff