Der Zeitfaktor und die Haute Parfumerie – eine schwierige Angelegenheit in mehrerlei Hinsicht.
Kaufentscheidungen werden bekanntlich innerhalb weniger Sekundenbruchteile getroffen und lassen kaum Raum für üppig die Zeitachse bespielende Kompositionen. Und eine Ebene darüber ist wieder jeder Duft, der länger als zwei Saisonen an gut sichtbarer Stelle in Parfumerien verortet bleibt, ein echter Ausnahmefall. „Must de Cartier“ ist etwa ein solcher Dauerbrenner und damit quasi ein Mustsmell. Das wird man sich auch so erhofft haben, als man den Duft 1981 bei einem großen Spektakel in Versailles (ein Szenenfoto des höfischen Treibens, siehe unten) lanciert hat. „Must“ ist denn auch einer jener Düfte, die jeder, der die Achtzigerjahre mit Nase begleitete, wiedererkennen wird: ein warmes, luxuriöses, opulent komponiertes Parfum mit beeindruckend langer Ingredienzienliste.
Nun leistet sich Cartier, Leser dieser Kolumne wissen das, als eines der wenigen Luxusmaisons eine Hausparfumeurin: Mathilde Laurent ist eine Ausnahmeerscheinung in der Branche, und sie durfte nun den Klassiker überarbeiten. Oder, was vielleicht eher der Fall ist, sich von ihm inspirieren lassen: Ihr „Must de Cartier Gold“ ist als Eau de Parfum angelegt und deutlich schlanker, auf zeitgemäßere Weise elegant als der Vorgänger mit bald 35 Jahren auf dem Flakonverschluss. Die dominante Note soll Jasmin beisteuern, wobei – ein Pluspunkt für Laurent-Fans – die Verwandtschaft mit „Baiser volé“ von Cartier, einem sehr grünen und frischen Lilienparfum, nicht abzustreiten ist. Schön zu sehen, dass hier Raum für die Evolution einer parfümistischen Vision besteht.
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