Botanik im Gepäck: Patrice André

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Ein Ethnobotaniker, der die Poesie der Pflanzen erkundet und sie zum Sprechen bringen möchte: Patrice André sucht nach neuen Inhaltsstoffen für Kosmetikprodukte.

Nach dem Studium der Ethnobotanik sucht man in gängigen Vorlesungsverzeichnissen wohl vergebens. So muss, wer sich darauf spezialisieren möchte, in fernen Landen nach fremdartigen (Nutz-)Pflanzen zu suchen und damit auch noch seinen Lebensunterhalt zu verdienen, mit Eigeninitiative und Fantasie ans Werk gehen – ein Patchworklebenslauf führt in diesem Fall nämlich eher ans Ziel als verbissenes Paukertum. Und es gilt natürlich, den richtigen Arbeitgeber zu finden, der, aus welchem Grund auch immer, Bedarf an seltenen Pflänzchen hat.

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Wer sich an der regelmäßigen Lektüre von Presseaussendungen im Bereich der gehobenen Hautpflege delektiert, wird an dieser Stelle bestätigen können, dass in der Kosmetikindustrie wirkungsvolle Stars der Botanik (gern mit klingendem Namen und äußerst exotischen Ursprungs) sehr gefragt sind: Einmal quer durchs Drogerieregal, das läuft auf eine Umrundung des vegetabilen Globus hinaus. Nun eignen sich aber selbstverständlich nicht alle Pflanzen, die ihre Wurzeln in den kargen Boden der Taiga oder in die steinigen Felswände des Atlas-Gebirges schlagen, ohne Weiteres als Spender von sorgfältig extrahierten Aktivstoffen mit verjüngender, rehydrierender Wirkung.

Darum bedarf es auch eines kundigen Naturwissenschaftlers voll Entdeckungsdrang, der mit gepacktem Rucksack loszieht, um die schier unendlichen Weiten der Natur zu erforschen:  eines Ethnobiologen also.

Vom Acker ins Labor.
Seit bald 34 Jahren, nämlich seit März 1979, arbeitet Patrice André für die Kosmetikmarke Christian Dior Parfums und hat sich dort als hauseigener Ethnobotaniker unverzichtbar gemacht. Nach Abschluss eines Biologiestudiums im Jahr 1973 zog es André zunächst in die wirtschaftlich unsicheren Niederungen der ökologischen Landwirtschaft, ehe er in den Labors des Beautykonzerns ein etwas abgesicherteres Arbeitsumfeld für sich entdeckte.

„Dort habe ich aber relativ schnell bemerkt, dass die Pflanzen selbst ein bisschen im Hintertreffen waren und dass viele der aus Pflanzen gewonnenen Inhaltsstoffe noch wenig bekannt waren, selten verwendet wurden“, erinnert sich der bodenständige Franzose am Rande einer Produktpräsentation im neuen Helios-Forschungszentrum der LVMH-Kosmetikmarken, zu denen auch Christian Dior Parfums gehört. „Und so habe ich meine Karriere im Konzern begonnen, mit kleinen Schritten, da es ja eine auf die Pflanzenwelt spezialisierte Stelle zu dem Zeitpunkt noch nicht gegeben hat.“

Mitte der Achtzigerjahre wurde Patrice André zum Chef einer eigenen Arbeitsgruppe gemacht, deren Aufgabe die Erforschung neuer Inhaltsstoffe war. „Später habe ich dann erkannt, dass man noch weitergehen musste, und habe mich selbst auf die Suche nach geeigneten Pflanzen gemacht. Mein Gedanke war, dass man sich mit den Menschen vor Ort unterhalten muss – eben dort, wo diese Naturschätze auch wachsen.“

Poetische Anwandlungen.
Wenn er von seiner Arbeit, die ihn oft in ferne Erdteile führt, erzählt, schwärmt André von dem Vertrauensverhältnis, das ihn mit seinen Ansprechpartnern verbindet; vom Einblick, den er in unbekannte Lebenswelten gewinnt: „Manche Anwendungen entstehen genau dort, wo Mensch und Pflanze miteinander in Verbindung treten. Das nenne ich die ‚Poesie der Pflanzen‘. Sie faszinieren uns, verzaubern und verführen uns, auch wenn es manchmal gar keine rationale Erklärung gibt.“

Bis eine Pflanze zur Anwendung in einem Pflegeprodukt kommt, kann viel Zeit vergehen: So gilt es unter anderem, die Möglichkeit des Anbaus und der konstanten Verfügbarkeit sicherzustellen. Zu diesem Zweck werden eigene „Jardins“ auf der ganzen Welt eingerichtet, die in Zusammenarbeit mit örtlichen Bauern bestellt werden. „Und darum ist es auch so wichtig, ein Vertrauensverhältnis zu den Menschen aufzubauen“, unterstreicht Patrice André, während er auf die in Madagaskar geerntete Longoza-Blüte zeigt, die als einer der wichtigsten Inhaltsstoffe der „Capture Totale“-Pflegeserie von Dior fungiert.

„Hier arbeiten eben Menschen zusammen, die sich gegenseitig wertschätzen und gemeinsam etwas aufbauen wollen.“ Zehn Jahre Forschung und Aufbauarbeit seien, so André weiter, eher die Regel als die Ausnahme. Und nicht wenige Pflanzen, die von ihm als möglicherweise interessant für die Kosmetikindustrie identifiziert wurden, harren noch ihrer weiteren Verwendung. „Alle unsere Experten sind darum bemüht, diese Pflanzen zum Sprechen zu bringen“, meint André dann noch. Doch während in den Labors vor Paris diese Art von vegetabiler Logopädie betrieben wird, ist er womöglich schon wieder unterwegs – zu einer neuen Umrundung der weiten Pflanzenwelt.

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