Hautpflege: Kernkompetenz

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Neues aus der Cremeforschung: Pflegeprodukte, die direkt in den Hautzellen wirken, mischen den Kosmetikmarkt auf.

Negative Nails, Mizellenwasser oder zwetschkenfarbener Lidschatten – wer glaubt, mit solchen Schlagwörtern durch die Beautysaison 2015 zu kommen, irrt. Längst geht es in der Kosmetikbranche nicht mehr bloß um Modefarben oder neue Reinigungsfluids. Wer wirklich mitreden will, darf schon einmal anfangen, internationale Wissenschaftsjournale zu studieren. In den Flaschen und Tiegeln in unseren Badezimmern steckt nämlich geballtes Know-how. Der allerletzte Schrei in der Branche: Epigenetik, die Lehre von der Zellentwicklung und -veränderung.



Kurzes Einsteigerseminar: Neben dem Erbgut, also
den Genen beziehungsweise der DNA, enthalten Zellen molekularbiologische Informationen, die die Gene erst ansteuern. Wenn eine Zelle sich teilt, gibt sie nicht nur die Gene weiter, sondern auch Informationen darüber, wie diese eingesetzt werden sollen. Zu vergleichen ist das in etwa mit dem Bau eines Hauses. Die Gene liefern die Baupläne, das Epigenom bestimmt die Ausstattung. Das scheinbar unveränderliche Gebäude steht in Wirklichkeit immer unter dem Einfluss seiner Umwelt: Ein Sturm kann das Dach abdecken, vielleicht braucht es einen neuen Anstrich oder gar eine komplette Sanierung. Trotzdem bleibt es immer dasselbe Haus. Anders gesagt: Unser Epigenom ist im Gegensatz zu den Genen veränderbar – und kann sich das, wie neueste Forschungsergebnisse zeigen, sogar auf Lebenszeit merken. Mittlerweile versteht die Wissenschaft recht genau, wie epigenetische Schalter an der DNA die Gene aktivieren (oder auch nicht) und wie das molekulare Gedächtnis der Zelle funktioniert, in dem Informationen über äußere Einflüsse gespeichert werden. Für Medizin und Biotechnologie sind diese Erkenntnisse bahnbrechend. Für die Forschungsabteilungen der Beautykonzerne aber auch.

Wie kompliziert es dann allerdings doch ist, diese Forschungsergebnisse in ein Serum oder eine Creme zu packen, erklärt Michael Georg Thomas, stellvertretender Cheftrainer bei Sensai. Schon seit zehn Jahren erforschen die Wissenschaftler den Energiestoffwechsel der Haut: „Beim epidermalen Energiestoffwechsel findet eine Umwandlung von Fettsäuren in Energie statt. Jene müssen aber erst einmal durch hauteigenes Carnitin in die Mitochondrien geliefert werden. Hierfür muss reichlich Carnitin in der Epidermis vorhanden sein.“ Die neue „Sensai Cellular Performance Extra Intensive Essence“ soll mit einem Komplex aus Vital-L-Carnitine und einem Braunalgenextrakt die Bildung dieses Moleküls anregen. Damit soll die Umwandlung von Fettsäuren in den Mitochondrien gesteigert werden. Zur Aktivierung der Leistungsfähigkeit dieser Organellen, auch „Kraftwerke der Zelle“ genannt und für die Bildung von Hyaluron und Kollagen zuständig, wird eine Aminosäure eingesetzt. Durch die kraftvolle und kontinuierliche Zellteilung soll die Hautstruktur schnell glatter, feiner und vitaler wirken.

Ja, Hautpflege ist wirklich ein kompliziertes Geschäft. Das weiß man natürlich auch bei Estée Lauder. Der New Yorker Kosmetikriese engagiert sich schon seit etlichen Jahren in Sachen Genforschung. Die ab Ende März erhältliche „Re-Nutriv Ultimate Diamond Transformative Energy Creme“ nutzt etwa eine Technologie, die
ein Trio von Langlebigkeitsgenen – Sirt-1, Sirt-3 und Sirt-6 – aktivieren und unterstützen soll. Die zum Patent angemeldete Innovation soll laut Hersteller so leistungsstark sein, dass die natürliche Kollagenproduktion innerhalb von nur 72 Stunden um bis zu 215 Prozent steigt. „Durch die Forschungsergebnisse der Epigenetik wissen wir, dass Zellen sich im positiven wie negativen Sinn beeinflussen lassen“, erklärt Anita Marschalek,
PR-Chefin von Estée Lauder Österreich. „Durch ungeschütztes Sonnenbaden beispielsweise leiden die Zellen, sie sterben ab, und unsere Haut altert. Mit diesem Wissen, der richtigen Technologie und den entsprechenden Wirkstoffen – etwa Enzymen wie Sirtuine, die für die Langlebigkeit der Zellen zuständig sind – können Zellen jedoch auch sehr effektiv positiv beeinflusst werden.“

Zellbiologisches Multitalent. Auch das neue „Repairwear Laser Focus Serum“ von Clinique erweist sich als zellbiologisches Multitalent. Die Zeichen von zu wenig Schlaf, zu viel Sonne und Stress sollen u. a. mit einem Extrakt aus der Senfpflanze wie weggewischt werden. Dieses „Arbeitstier“ aus dem botanischen Versuchslabor reagiere, so erklärt uns die Cremewissenschaft, extrem sensibel auf freie Radikale, identifiziere Schäden an der DNA und könne – innerhalb von zwei Stunden! – 90 Prozent davon reparieren. Lancaster arbeitet im Kampf gegen das Burn-out der Haut mit einer Doppelstrategie: Die neue Pflegeserie „Skin Therapy Perfect“ soll in der Tiefe mit dem Zellbooster Kreatin für eine verbesserte Zellregeneration sorgen. Auf die Hautoberfläche werden weichzeichnende Pigmente sowie exfolierende und die Talgproduktion regulierende (ergo mattierende) Wirkstoffe angesetzt. Nivea wiederum baut bei seiner „Cellular Anti-Age Tagespflege LSF 15“ auf eine hautverträgliche Kombination aus zellaktivierenden Inhaltsstoffen wie eine kurzkettige Hyaluronsäure, die die hauteigene Fähigkeit, Wasser zu binden, verbessern soll. Außerdem enthält die Pflege ein Magnolienextrakt, das die Widerstandsfähigkeit der Zellen gegen oxidativen Stress erhöhen soll, sowie Kreatin, das den Energiehaushalt der Zellen verbessert.

Selbiger ist natürlich auch der Forschungsabteilung von Dior ein Anliegen, weshalb sie sich seit über 15 Jahren intensiv mit dem Thema Epigenetik befasst. Das neue „Capture Totale Sérum“ soll positiv auf die Zellsynchronisation wirken und dank des hochaktiven Longoza-Extrakts, Markenzeichen der Pflegeserie „Capture Totale“ – von innen heraus für harmonische Züge und pralle Schönheit sorgen. „Nuxellence Detox“, die neue Nachtpflege des Beauty-Labels Nuxe Paris, setzt mit ihrer Anti-Aging-Wirkung ebenfalls direkt an der Wurzel des Problems an: Extrakte aus Passions- und Mohnblume sollen die mitochondriale DNA reparieren und damit eine optimale Energieversorgung der Zelle sicherstellen. Eine mit dem Medizinnobelpreis ausgezeichnete Entdeckung machte sich wiederum der isländische Hersteller Bioeffect zunutze: Der Epidermal Growth Factor (kurz: EGF) ist ein Protein und natürlicher Bestandteil der Haut, der als Botenstoff bzw. Zellaktivator fungiert und die Zellerneuerung beschleunigt. Ab einem gewissen Alter produziert die Haut allerdings weniger EGF und wird dadurch dünner und schlaffer. Bioeffect gelang es nun, den DNA-Code des menschlichen EGF nachzubilden. Mit seinem „EGF Serum“ sollen Rezeptoren an der Zelloberfläche das nachgebaute EGF erkennen, molekulare Signale an den Zellkern senden und damit die Zellerneuerung sowie die Produktion von Elastin und Kollagen beschleunigen.  

Bleibt die Frage aller Fragen: Wenn Zellenergiespeicher durch kosmetische Innovationen so einfach wieder aufgefüllt werden können, bedeutet das dann eine faltenfreie Zukunft? Sensai-Experte Michael Georg Thomas: „Wir können den Hautalterungsprozess verlangsamen und wesentlich stärker herauszögern, indem durch intensivere und schnellere Energieumwandlung die für die Jugendlichkeit unserer Haut so wichtige Zellteilung und der Nährstoffaustausch der Zellen unterstützt werden. Alterslose Haut auf immer und ewig ist auf rein kosmetischem Weg allerdings noch nicht machbar.“ Eines wird uns trotzdem bleiben, vielleicht sogar für immer und ewig: nämlich die Erkenntnis, dass Epigenetik mindestens so wichtig wie Zwetschkenblau ist.

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