„Wir wussten gar nicht, was wir da tun“

Ein Auf und Ab dank Weltkriegen und 1950er-Jahre-Küchen, dank Sturheit und der Vienna Design Week: Was Riess-Emaillegeschirr anders macht.

Seit 1980 sterben wir jährlich, und wir freuen uns darüber.“ Friedrich Riess kennt Aussagen wie: „So patschert, wie ihr arbeitet, wird man nicht überleben können.“ Angesichts des gern prognostizierten Nichtüberlebens sind die Emailleprodukte des Ybbsitzer Herstellers freilich erstaunlich allgegenwärtig. Pastellfarbene Retrotöpfe zieren Fotostrecken, Instagram-Alben und Kochblogs, die Aromapots werden in Museumsshops verkauft, und diverse Kochstudios sowie Pop-up-Gastroprojekte decken sich mit Produkten wie den neuen schwarzen Riesen- und Zwergentöpfen ein.
Manchmal gegen den Strom, manchmal mit dem Strom – eine nicht immer durchdachte, sondern oft genug von Bauchgefühl durchsetzte Mischung aus wirtschaftlichen Entscheidungen prägt die Firmengeschichte des fast 500 Jahre alten Familienunternehmens. Friedrich Riess, heute für die Produktion zuständig, weiß diese wohl im Schlaf zu erzählen und amüsiert sich sichtlich prächtig über die nicht eingetretenen Weissagungen seiner Mitbewerber – und auch deren Weihnachtskarten, als Riess in den letzten Jahren wider Erwarten offenbar doch ziemlich erfolgreich war. Der Emaillehersteller war von einschneidenden Ereignissen wie den beiden Weltkriegen und der damit verbundenen Materialknappheit ebenso betroffen wie von vergleichsweise lächerlichen Entwicklungen wie dem Aufkommen der typischen 1950er-Jahre-Küchen. Letztere beeinflussten den Geschäftsgang gleich zweimal: einmal in jener Epoche selbst, als Küchen kleinteilig und pastellfarben waren, als „jedes Kastl eine andere Farbe hatte“, wie Friedrich Riess meint, und Lilienporzellan in Rosa, Hellblau oder Lindgrün die Kredenzen bestückte. Und ein zweites Mal, als die seidenzuckerlfarbene Ästhetik eben jener Epoche in Form einer Retrowelle heroisiert wurde und die Kollektion bei Stilbeflissenen gefragt war. Und zwar ausgehend von Australien und Neuseeland.

Vielfalt. rund 600 Emailleprodukte hat Riess heute im Sortiment.
Vielfalt. rund 600 Emailleprodukte hat Riess heute im Sortiment. beigestellt

Auböck bis Dottings. „In den 1950er-Jahren hieß unser Bewusstsein diesbezüglich natürlich noch nicht Design, wir fragten uns nur: ‚Wie können wir zu den derzeitigen Küchen passen?‘“, sagt der Unternehmer. Mit dem Design hatte man in den vergangenen Jahrzehnten bisweilen seine Schwierigkeiten. In den 1970er-Jahren kooperierte Riess mit Carl Auböck, brachte Töpfe in Fast-Kugelform auf den Markt. „Aber sie waren zu designorientiert, die Leute störten sich an der zu kleinen Grundfläche. Design bei Töpfen sei genauso unnötig wie eine Anhängerkupplung bei einem Porsche, hat man uns erzählt. Wir trauten uns dann lang nicht, etwas in diese Richtung zu machen.“ Mit dem Aufkommen der offenen Küchen, in denen Kochgeschirr prestigeträchtig gleich Kleinskulpturen präsentiert wird, habe sich das aber geändert, und mittlerweile darf man Riess sehr wohl eine offensichtliche Designaffinität bescheinigen. 2006 brachte man die limitierte Edition Polkapots auf den Markt, hinter der die Designerinnen Marie Rahm und Monica Singer alias Polka stecken: eine schwarze Serie aus Töpfen mit mehreren Griffen oder siamesischen Kasserollen – ein Griff, zwei Gefäße. 2007 begann man mit der durch einen Designpreis geförderten Entwicklung der Aromapots. Das Designbüro Dottings entwarf eine farbenfrohe Kollektion von Töpfen samt Deckeln, die auch als Untersetzer fungieren, und ergänzte diese später durch die Aromapots-Vorratsdosen mit dem charakteristischen Holzdeckel. 2009 war Riess mit den Aromapots Teil der Vienna Design Week, und auch 2013 war man dabei: Der britische Designer Oscar Wanles hatte im Werk in Ybbsitz mit Positiv- und Negativformen experimentiert und präsentierte Gefäße mit Rüschen und Volants. „Das alles, und vor allem die Aromapots, hat uns neue Wege eröffnet, unglaublich. Wir waren weltweit in allen Designzeitschriften, und das, ohne dass es extra etwas gekostet hätte.“


Sturheit und Misstrauen gegenüber externen Beratern sollte Riess ebenfalls zum Erfolg verhelfen. „Unsere Mitbewerber haben sich in den 1980ern und 1990ern mit Beratern umgeben, die allen geraten haben, das Sortiment zu reduzieren. Sie haben gesagt: ,300 Artikel, seid ihr wahnsinnig? Das ist nicht rationell zu produzieren. Macht eine ABC-Analyse und schmeißt alle C-Artikel raus. Und drei Topfgrößen reichen völlig.‘“ Was die Mitbewerber auch getan hätten – was seinem Unternehmen wiederum einen sprunghaften Anstieg der Verkaufszahlen von Milchtöpfen und Weitlingen beschert habe, erzählt Riess. Mit der letzten Kollektion, den heuer lancierten schwarzen „Riesen“ und „Zwergen“, extrem großen und extrem kleinen Töpfen, hat man diese Berater ein weiteres Mal Lügen gestraft. „Wir haben gar nicht gewusst, was wir da tun, erst Markus Hengstschläger und sein Buch ,Die Durchschnittsfalle‘ haben uns die Augen geöffnet, was uns da letztlich eigentlich wieder einmal gerettet hat. Nämlich die Vielfalt.“ Vielfalt, die, so meint Riess, auch die Händler betrifft. „Andere Geschirrproduzenten haben irgendwann nicht nur die meisten ihrer Produkte, sondern auch die kleinen Händler aussortiert. Wir haben unseren Vertretern gesagt: ,Wir zahlen die Spesen, aber wir wollen in jedem kleinen Dorf einen unserer Töpfe stehen sehen.‘“

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