Tokio und Paris: Kulinarisches Pingpong

Tokio und Paris befruchten einander wechselseitig: Die Japaner lieben die französische Küche und umgekehrt.

Es trägt köstliche Früchte, das gute Verhältnis zwischen Frankreich und Japan, das nicht durch historische Geschehnisse vorbelastet ist.Und das sowohl in Paris als auch in Tokio. Alle Größen der französischen Küche haben in Tokio eigene Restaurants, ob Alain Ducasse, Pierre Gagnaire oder Michel Troisgros. Joël Robuchon betreibt hier neben seinem gleichnamigen Drei-Sterne-Restaurant und zwei Zwei-Sterne-Lokalen (La Table und L’Atelier) noch ein Café und einen Shop. Losgetreten wurde dieser Hype von Paul Bocuse, der seinen Namen immer noch gewinnbringend mit zwei Restaurants und sieben Brasserien vermarktet. In der Oberliga spielt aber keiner seiner Betriebe mehr mit. Rückblickend scheint es, als hätte Bocuse mit seinen ersten Japan-Besuchen in den 1970ern einen französischen Marketingfeldzug eröffnet. Im Kielwasser der Gastronomie konnten auch französische Limonaden und Mineralwasser den japanischen Markt erobern. Doch als Bocuse die ersten Male nach Japan kam, war er kein weltbekannter Koch. Er kam auch nicht hierher, um Geschäfte zu machen. Er wollte lernen.

Katsuaki Okiyama kocht im kleinen Restaurant Abri in Paris.
Katsuaki Okiyama kocht im kleinen Restaurant Abri in Paris. (c) Getty Images (Foc Kan)
Pierre Gagnaire führt das gleichnamige Lokal im ANA Intercontinental.
Pierre Gagnaire führt das gleichnamige Lokal im ANA Intercontinental.(c) Yann Rabanier

Aufgrund der eigenen Kolonialgeschichte wusste man in Frankreich gut über die südostasiatische Küche Bescheid. Japan war jedoch ein weitgehend unbekanntes Land, dessen Küche voller Geheimnisse steckte. Die Erfahrungen, die Bocuse in Japan machte, beeinflussten die Entwicklung der Nouvelle Cuisine, als deren Mitbegründer Bocuse gilt, entscheidend, wenn sie sie nicht überhaupt erst ermöglichten. Sein neuer Stil mit gemüsebetonten, saisonalen Gerichten ohne schwere Saucen und große Fleischteile war revolutionär. Damit folgte er den Grundprinzipien der japanischen Küche: ebenfalls kurze Garzeiten, Betonung des Eigengeschmacks, Fokussierung auf saisonale Produkte.
Japan huldigt zwar schon sehr lang dem guten Essen, die Köche selbst standen im sozialen Gefüge aber weit unten – im Gegensatz zu Frankreich, wo man seinen großen Küchenchefs als kulturellen Fahnenträgern huldigte. Dass große Restaurants den Namen des Kochs tragen, war damals in Japan unvorstellbar. Trotz der boomenden Wirtschaft im eigenen Land versuchten daher viele japanische Köche ihr Glück in Frankreich, wo sie vor allem in der Topgastronomie reüssierten. Dort schätzte man ihr fanatisches Arbeitsethos und ihre exakte Technik. Als Köche wie Alain Ducasse und Joël Robuchon darangingen, neben ihren Stammhäusern weitere Restaurants zu eröffnen, waren japanische Köche extrem gefragt. Viele dieser Köche sind in solchen Restaurants zu gut bezahl­ten Küchenchefs aufgestiegen. Andere eröffneten in Frankreich eigene japanische Restaurants. Die meisten kehrten aber nach Japan zurück, um mit ihrem vor Ort erworbenen Wissen für die französische Küche ihre Landsleute zu begeistern.

Shinichi Sato ­erkochte sich im ­Passage 53 in Paris zwei Sterne.
Shinichi Sato ­erkochte sich im ­Passage 53 in Paris zwei Sterne. (c) Passage 53
Alain Ducasse nennt das Lokal in Japan Beige Alain Ducasse Tokio.
Alain Ducasse nennt das Lokal in Japan Beige Alain Ducasse Tokio. (c) BERTRAND LANGLOIS / AFP / pictur (BERTRAND LANGLOIS)


Die japanische Restaurantlandschaft unterscheidet sich grundlegend vom Rest der Welt. Auch im Topsegment gibt es Restaurants, die sich ausschließlich auf ein Thema wie Nudeln, Grill, Sushi, Fugu oder Kaiseki konzentrieren. Bis vor 30 Jahren gab es praktisch keine ausländischen Restaurants. Als die ersten französischen Restaurants eröffneten, war das eine kulinarische Sensation. Auch wenn die Qualität der japanischen Lebensmittel weltweit unerreicht ist, brachten Bocuse und Co. Produkte wie Butter, Käse, Gänseleber und Trüffel mit, weil sie dies für eine echte französische Luxusküche unverzichtbar hielten. Frisches Weißbrot kann man aber nicht einfliegen, also begann man, es vor Ort zu backen. Die Japaner liebten diese neuartigen Köstlichkeiten und begannen, sie – wie übrigens den Wein – in ihren eigenen Restaurants zu integrieren. In der heutigen Restaurantlandschaft Tokios gibt es neben originalfranzösischen und traditionell-japanischen Restaurants auch viele moderne, die man nicht eindeutig zuordnen kann. Französisch? Japanisch? So ist das Zwei-Sterne-Restaurant Ryuzu im Stadtteil Roppongi laut „Guide Michelin“ ein französisches Restaurant. Küchenchef und Eigen­tümer Ryuta Iizuka hat in den 1990er- ­­Jahren bei Joël Robuchon in Paris gelernt, war in dessen berühmtem Restaurant Taillevant bis zum Sous-Chef aufgestiegen und hat 2005 als Küchenchef das L’Atelier de Joël Robuchon in Tokio eröffnet. 2011 folgte mit dem Ryuzu schließlich der Schritt in die Selbstständigkeit. Für einen europäischen Gaumen ist das Ryuzu ein modernes japanisches Restaurant. Das liegt nicht nur an den Grundprodukten, die allesamt aus Japan stammen, sondern auch an den Aromen und der Art der Zubereitung. Allerdings isst man dort – wie übrigens in fast allen modernen Restaurants in Tokio – mit Saucenlöffel und Gabel statt mit Stäbchen. Es gibt Baguette und Butter, die Weinbegleitung kommt komplett aus Frankreich. 

Joël Robuchon hat in Tokio zwei Restaurants, ein Café, einen Shop.
Joël Robuchon hat in Tokio zwei Restaurants, ein Café, einen Shop. (c) FRANCOIS GUILLOT / AFP / picture (FRANCOIS GUILLOT)


Japanische Gäste werden das Ryuzu – aus ihrer Sicht vollkommen zu Recht – als modernes französisches Restaurant bezeichnen, weil es diese Art des Kochens in der traditionellen japanischen Küche einfach nicht gibt und gewisse stilistische Ähnlichkeiten zum Atelier de Joël Robuchon auch nicht abzustreiten sind. Es stellt sich die Frage, wie viel Robuchons Atelier in Tokio (aber auch in Paris, Bangkok, Hongkong, Las Vegas, London, Singapur oder Taipeh) mit der traditionellen Küche Frankreichs zu tun hat? Die besten japanischen Küchenchefs orientieren sich nicht an der klassischen französischen Haute Cuisine, sondern sind von Köchen wie Alain Passard oder Pascal Barbot geprägt, deren Stil stark von der japanischen Küche beeinflusst ist.

Shinichi Sato, der in Paris das Passage 53 führt, schätzt, dass zurzeit über 500 japanische Köche in Paris arbeiten, 40 von ihnen führen eigene Restaurants. Ihre Küchenstile variieren. Katsuaki Okiyama will in seinem Restaurant Abri „französisches Essen für Franzosen“ kochen, Sota Atsumi von der angesagten Clown Bar nimmt ebenfalls Bezug auf seine neue Heimat. Das französische Magazin „Le Fooding“ listet aktuell jedoch 28 angesagte Pariser Restaurants, die als Japarisienne bezeichnet werden – also in der einen oder anderen Art eine Art Fusion-Küche bieten. Das kulinarische Pingpongspiel zwischen Japan und Frankreich geht also weiter.

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