Die Testerinnen: Kussmaul

(c) Katharina Roßboth
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Übervolles Füllhorn am Spittelberg.

(c) Katharina Roßboth

Tipp

Am Spittelberg hat eine Konzeptbombe eingeschlagen. Das Kussmaul wartet mit so einer Wucht an Trendversatzstücken auf, dass jeder, der auch nur eines davon identifiziert, sich als Teil der Trendverstehervorhut betrachten kann. Es gibt Indoor-Beete. Es gibt eine lustige Toilette. Es gibt eine Craft-Beer-Menübegleitung. Es gibt Gemüsedesserts, Kohlefadenlampen, lustige Kellnerhosen. Es gibt Macarons. Es gibt keine Tischtücher. Es gibt Cuisine-Style-Cocktails mit Namen wie Titus Feuerfuchs. Es gibt Yuzubutter (warum nicht Yakbutter?). Irgendetwas davon erkennt jeder als Dernier Cri, über mangelnde trendverstehende Kundschaft kann sich das Kussmaul nicht beschweren. Das Lokal, pardon, Lokalprojekt von Mario Bernatovic und Johannes Haselsteiner mit Frühstück, Patisserie, Restaurant, Bar, Chef’s Table usw. ist in aller Munde. Oder in aller Kussmaule, wie auch immer.

Manche Teile des Konzepts – es gibt so viel zu analysieren, dass einem nicht fad wird – sind wirklich gelungen. Etwa die Weinkarte mit viel Biodynamischem und Kroatischem. Oder das hausgebackene Sauerteigbrot, das wie ein überdimensioniertes Nadelkissen aus einem Topf herausragt. Oder Parade-gerichte wie das Schweinsfußragout mit einem Shitake-Raviolo (Pilz und Fuß mit derselben Konsistenz, feiner Kunstgriff!), dazu ein Schweinskopf-Cracker und eine überirdisch gute, wiewohl scheinbar simple Majoran-Joghurt-Creme zum Ausgleich der Deftigkeit. Gänge wie die wirklich knusprige Tempura-Zucchiniblüte, mit Topfen und altem Brot gefüllt, von fein säuerlichen Verjus-Rosinen begleitet.

Mario Bernatovic, ehemaliger Motto-am-Fluss-Küchenchef, kann kochen; das ist klar. Überdacht werden sollten die Desserts und die Menüzusammenstellung mit vier, sechs oder acht Gängen nach Wahl: Nackter Fenchelsalat mit Paprika ist keine Nachspeise, da können Gemüsedesserts noch so chic sein. Die Idee Microplane-Hobelkäse plus weiße Schokoladecreme bekommt man im Tian stimmiger. Und innerhalb der ersten vier Gänge dreimal Bernatovics dunkle, gekonnte, aber etwas anachronistische Saucen – das ist zu viel. Die Flusskrebse wurden vom Bouillabaisse genannten Übersud nicht umarmt, sondern geradezu erdrückt. Wie manch eine vom Übergewicht des Konzepts.

Kussmaul, Spittelbergg. 12, 1070 Wien. 0699/130 609 26, Restaurant: Mo–Sa 11–2, Café Mo–Fr 9–23, Sa, So 9–18

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