Die Testerinnen: 15 süße Minuten

(c) Stanislav Jenis
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Ladies Who Lunch. Comfort Food aus Polen.

(c) Stanislav Jenis

Die Anästhesistin ist selig. Für diesen Beruf muss man tatsächlich geboren sein. Die zwei Buben toben, das Baby wird daneben mangels Wickeltisches gerade öffentlich gesäubert. Aber der Anästhesistin ist das alles völlig wurscht. Sie isst Apfel-Kokos-Torte. Hausgemachte. Weit weg vom heimatlichen Währing, in einer kleinen, feinen, neuen polnischen Enklave in Sichtweite des Zentralbahnhofs. Verschleppt habe ich sie dorthin. Und hatte dabei anfangs gar kein gutes Gefühl. Welches Lokal heißt schon „15 süße Minuten“? Der Name wäre überdenkenswert gewesen. Aber Pawel Warszczuk und Daniel Colakivic haben gleich eine Kette gemacht aus ihrer gleichnamigen, 2012 in der Weyringerstraße übernommenen Bäckerei. Mit der Eröffnung des Hauptbahnhofs eröffneten auch sie, und zwar gleich ums Eck ein lichtes Bistro in der Favoritenstraße, wo sonst so gar nichts nach Bobo ausschaut. Jetzt schon. Und zwar genauer gesagt alles ein wenig nach Fifties. Wir stehen vor einer Tortenvitrine, gehen zur Toilette über ein Stückerl originalen Terrazzo-Boden, blättern in den Vintage-Büchern, die auf den Fensterbankerln unter den großen Schaufenstern liegen. Und lesen, was in Retro-Grafik auf den Wänden steht: „Hausgemacht“ etwa über der Küchendurchreiche. Und das merkt nicht nur die Anästhesistin, die selbst einmal gern gebacken hat für ihre Freundinnen, ja, ja – die Torten sind ein Wahnsinn. Puddingschnitte, Schokogugelhupf, Mohn- Topfen-Kalorienbombe, wow. Das beste aber ist der polnische Touch, den man in Wien sonst nirgends so findet. Vor allem selbstgemachte Pierogi, die Kärntner Nudel des Ostens. Auf schmalen weißen Tellern kommt eine zierliche Parade der glitschigen Nudeltäschchen herbei, mit braunen Zwiebeln belegt, gefüllt mit Topfen/Erdäpfeln, dem Klassiker. Aber es gibt auch eine vegane (Pilz/Kraut) und eine fleischige (fein Faschiertes) Version. Man könnte sie sogar mitnehmen, aber sollte sie hier essen und versuchen, an den Nachbartischen ein paar Worte Polnisch aufzuschnappen. Bei mir reicht es immer noch nur für przepraszam, sorry. Wir kaufen beim Hinausgehen noch Sauerteigbrot vom Haubenberger und sagen do widzena, ganz sicherlich.

Tipp

15 süße Minuten, Favoritenstraße 45, 1040 Wien, Tel. 0699 1518 19 60, Mo–Fr, 7–20, Sa/So, 8–20 h

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