Neapel: Blattgemüse statt Camorra

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Neapel hat mehr zu bieten als Müll und Mafia. Dario Santangelo hat die Konstante der Stadt porträtiert: die Küche.

Natürlich, Neapel ist chaotisch. Das will Dario Santangelo gar nicht abstreiten, das mag er aber an seiner Stadt. Was er weniger mag, sind die Geschichten, die man mit Neapel in Verbindung bringt, und das Bild, das sich dadurch nach außen ergibt. „Unsympathisch und dreckig“, nennt es der gebürtige Neapolitaner und meint damit nicht nur das Problem mit der Abfallentsorgung, sondern auch die Camorra, die dort ihren Firmensitz hat, wenn man so will.

„Neapel ist nie zur Ruhe gekommen. Trotzdem hat ist es der Stadt gelungen, eine Kultur der Entschleunigung zu entwickeln. Das ist der Schlüssel, wie man es schafft, dort zu leben.“ Und dieser Schlüssel ist nicht selten in einem Steintopf zu finden. Dort, wo etwa das berühmte Ragú aus Braciola di cotica (Bauchfleischroulade mit Pinienkernen und Rosinen), Costolette di maiale (Spareribs) und Rindfleisch oder die Minestra maritata aus zwölf verschiedenen Sorten Blattgemüse und fast ebenso vielen Fleischsorten zubereitet werden.

Um ebendiese Seite der italienischen Stadt etwas bekannter zu machen, hat Santangelo soeben ein Buch herausgebracht, das nur auf den zweiten Blick ein Kochbuch ist: „Neapel sehen und genießen“. „Die Rezepte sind aber am unwichtigsten, die sind nur eine Orientierungshilfe“, sagt Santangelo und spricht damit schon eine der wesentlichen Züge der neapolitanischen Küche an. Denn streng ist sie nicht. Einflüsse von außen werden gern aufgenommen und wie selbstverständlich integriert.



Aber zurück zur neapolitanischen Lebensart. Auf die Frage, wie er diese denn beschreiben würde, meint Santangelo: „Leben, zusammensein, essen. Wir haben ein bissl ein übermäßiges Interesse an dem Thema Essen.“ Und essen geht in Neapel auch nicht ohne das Wir. Hier passt ausnahmsweise ein anderes italienisches Klischee. Jenes nämlich von der Großfamilie, die beim Essen zusammensitzt und sich lauthals unterhält, wo jeder mit jedem spricht, quer über den Tisch.

Essen als Metapher. Selbst die Geschichten, die man sich bei Tisch erzählt, haben mit Essen zu tun. Fast könnte man meinen, Essen und Kochen müssen als Metapher für die Beschreibung von Menschen herhalten. „Man spricht über Erinnerungen, etwa eine Tante, die diese Speise besonders gut macht, oder eine Oma, mit der man eine andere Speise verbindet.“

All das geht natürlich nicht mit einem spärlich gedeckten Tisch. Wenn nichts übrig bleibt, ist das eher ein schlechtes Zeichen. „Das hat mit dem Barock zu tun. Die Stadt hat noch viele Einflüsse aus dem 18. Jahrhundert.“ Santangelo findet diese nicht nur auf dem gedeckten Tisch, sondern auch bei den vielen kleinen Geschäften. Denn natürlich sind auch in Neapel längst die großen Supermarktketten angekommen. Aber jene kleinen Geschäfte, die ihre Auslagen pompös dekorieren, sind geblieben.

Klein sind auch oft die Tiere, die in neapolitanische Kochtöpfe kommen. „Tiere, die man in kleinen Gärten halten kann, werden viel verwendet, etwa Kaninchen oder kleine Lämmer.“ Denn auch das ist typisch für die Stadt: die kleinen Strukturen. Auch heute noch halten Privatpersonen oder Restaurants in Hinterhöfen und kleinen Gärten ein paar Tiere. Typisch ist auch das Blattgemüse, das in vielen verschiedenen Formen und Arten zum Einsatz kommt. „Neapolitaner galten bis zum 16. Jahrhundert als Blätterfresser, erst danach als Makkaronifresser, als die Einwohnerzahl stark stieg und sich harter Weizen als typisches Produkt etablierte, um die wachsende Stadt zu ernähren.“

Paradeiser übrigens, die in so gut wie jedem neapolitanischen Gericht vorkommen, tun das auch erst seit dem 17. Jahrhundert. „Die sind aus Amerika gekommen und galten lange als Gift. Zuerst haben die Franzosen sie verwendet, erst danach wir“, sagt Santangelo und räumt mit einem weiteren Vorurteil auf. Jenem nämlich, dass zwischen den Franzosen und Italienern ein Wettkampf um die beste Küche herrsche.

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TIPP

Dario Santangelo: „Neapel sehen und genießen. Neapolitanische Lebensart. 180 traditionelle Rezepte.“ Pichler Verlag, 288 Seiten, 39,99 Euro. Rezepte auf Schaufenster.DiePresse.com

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