„Scent Dinners“: Die Nase isst mit

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Für Foodies und Fragranistas: Die „Scent Dinners“ von Chandler Burr bringen Gaumenfreuden und Parfumerleben auf einen gemeinsamen Nenner.

Feinarbeit. Küchenchef Daniele Turco war in Venedig eifrig am Werken.
Feinarbeit. Küchenchef Daniele Turco war in Venedig eifrig am Werken.(c) Beigestellt
Essenziell. Die Dinnergäste sollen vor jedem Gang Riechstoffe erraten.
Essenziell. Die Dinnergäste sollen vor jedem Gang Riechstoffe erraten.(c) Beigestellt
Tobacco Vanille. Kalbfleisch, Mandelgebäck und Gemüse stellen dieses Parfum nach.
Tobacco Vanille. Kalbfleisch, Mandelgebäck und Gemüse stellen dieses Parfum nach.(c) Beigestellt

Tropische Schönheit

Über Geschmack streitet man nicht – und über Geruch wohl auch nur mit größten Schwierigkeiten. Viel lohnender, als sich in langwierigen Erörterungen zu verlieren, ist es aber ohnehin, die beiden in einem Atemzug auszudiskutieren. Das war wohl auch die Überlegung von Chandler Burr, als er seine lose Serie von sehr exklusiven, weltweit ausgetragenen „Scent Dinners“ konzipierte.

In der Branche ist Burr ohnehin kein Unbekannter: Letztes Jahr richtete er die Ausstellung „The Art of Scent“ in New Yorks Designmuseum aus, seine Bücher „The Emperor of Scent“ und „The Perfect Scent“ gehören zum fixen Bestand jeder parfumistisch interessierten Bibliothek. Zudem wird Burr häufig in einem Atemzug mit Naturwissenschaftler und Wundernase Luca Turin genannt, dem er sein erstes Buch widmete. Burr und Turin sollen, jeder auf seine Weise, beide aber mit weisen Worten, für die sogenannte Parfumrevolution verantwortlich sein, die sich zu Beginn der Nullerjahre in einer neuen Art, (kritisch) über Düfte zu sprechen, äußerte.

In aller Munde. Seit seinem Ausscheiden aus der „New York Times“ ist Chandler Burr mit seinen um bestimmte Düfte und Duftfamilien konstruierten Abendessen unter Parfumliebhabern in aller Munde – und unverdrossen um das Multisensorische bemüht. Seine guten Kontakte zu einflussreichen Personen in großen Kosmetikkonzernen dürften sich auch bei dieser Tätigkeit bezahlt machen; immer wieder wird Burr von Luxuskosmetikmarken als Gastgeber erlauchter Dinner gebucht. So auch zuletzt für ein Event in Venedig, wo Chandler Burr im Restaurant des Gritti Palace Hotels gemeinsam mit Spitzenkoch Daniele Turco eine Menüfolge erarbeite, die bei der Lancierung des neuen Tom-Ford-Duftes „Velvet Orchid“ kredenzt wurde. Jeder der fünf Gänge stellte eine interdisziplinäre Interpretationen von Parfums dieser Marke dar.

Rätselraten. Tom Fords Klassiker „Black Orchid“ wurde zum Beispiel von Turco als Beef Tatar mit Trüffeln und Parmesan umgesetzt. Der frische Agrumenduft „Neroli Portofino“ kam als Ravioli, gefüllt mit Zitrone, Bergamotte und Rosmarin, auf den Teller. Weitere Stationen auf dieser Gourmetreise durch die Welt der Düfte waren eine Interpretation von „Jasmin Rouge“ (ein Duett aus Kardamom- und Salbeisorbet mit Karamell und Passionsfruchtcoulis) und „Tobacco Vanille“ (Kalbsfilet unter einer Scheibe von feinem Mandelgebäck, Gemüse mit Vanillearoma und ein Dressing von dunklem Honig). „Velvet Orchid“ wurde von Turco und Burr dann als ein Baba au rhum neben in warme Vanillemilch zu tunkendem Brioche sowie Pfirsich- und Marillencoulis serviert.

Selbst wenn diese Kreationen teilweise als sehr ferne Auslegungen der jeweils verwendeten Riechstoffe anmuteten, liegt die Verbindung von Geruch und Geschmacksinn, wie sie bei diesen „Scent Dinners“ unternommen wird, doch nahe. Mit den Köchen, die Burr zur Zusammenarbeit einlädt, verfährt er übrigens ähnlich wie mit den Gästen seiner Soirées: „Ich bestimme die Riechstoffe, die bei jedem Gericht als Zutaten Verwendung finden sollen, und überlasse den Spitzenköchen die Duftmoleküle.“ Denn auch die Schar der Dinierenden isst sich nicht einfach nur durch die olfaktorisch wertvolle Speisenfolge; die Anwesenden sind vor dem Auftragen einer neuen Speise angehalten, die dominanten Komponenten in ihrer jeweils reinsten Form zu „erschnüffeln“.

Die Überraschung ist groß, wenn nach heiteren Ratespielen („Ist es Tonkabohne? Ist es Vanille?“) von Chandler Burr die Lösung verkündet wird, nachdem seine Dinnergäste ein bisschen ratlos über nicht gemarkten Papierstreifen gebrütet haben: „Das ist Dimethylsulfid, ein Molekül, das den Geschmack von Trüffeln charakterisiert, in leichterer Konzentration aber auch in Litschis vorkommt.“ Im Grunde verläuft so ein „Scent Dinner“ wie ein von ausgefallenen Gourmandisen punktiertes Duftseminar. So erhalten die duftaffinen Gäste auch Einblick in Facetten der Parfumeurskunst.

Dass das aus der Küche bekannte Salbeiaroma sich etwa grundlegend von dem Salbei der Parfumerie unterscheidet, ist interessant. Dass es synthetische Vanille gibt, die als fünfmal „vanilliger“ wahrgenommen wird als ihre natürliche Entsprechung, bringt wiederum die Naturfans zum Grübeln. Und dass die Verwendung von Jasmin sich wegen des im Duftöl vorkommenden „Jasmolakton“-Moleküls als warme Milch interpretieren lässt, führt die mögliche Schnittmenge von Fachwissen und ins Künstlerische gehender Kreativität vor Augen.

„Ich fühle mich gar nicht als Künstler“, unterstreicht Chef Daniele Turco bei einem Kochseminar am Tag nach dem Parfumdinner. „Wenn Chandler auf mich mit der Idee eines Dinners zukommt, überlege ich mir aber natürlich etwas Besonderes. Dafür braucht es jedoch Zeit, gedankliche Freiheit, und während der Hochsaison ist das manchmal ein bisschen schwer.“

Turco gehört zu einer ausgewählten Schar von Köchen, mit denen Chandler Burr weltweit kooperiert: „Eine der Ersten, die ich zur Zusammenarbeit eingeladen habe, war Léa Linster. Nach und nach sind andere dazugekommen.“ Auch er trifft eine Unterscheidung zwischen Haute Cuisine und künstlerischem Schaffen: „Wein oder Essen sind für mich nicht ‚Kunst‘ im eigentlichen Sinn, denn bei Kunst, wie ich sie verstehe, wird von Menschen etwas neu geschaffen, das es in der Natur so nicht gibt – in der Parfumerie ist das sehr wohl der Fall.“


Zu den orientalisch-floralen Düften soll der neue Duft von Tom Ford, „Velvet Orchid“ zählen, und das verheißt heutzutage leider vielerorts eher Belangloses. Im Hause Ford (die Parfums werden vom Estée-Lauder-Konzern gemacht) gibt es aber genügend Spielraum zum Guten: Diese – passend zur Trendfarbe des Jahres – neu lancierte Folgeversion des Publikumslieblings „Black Orchid“ ist eine frische, markante, aussagekräftige Orchidee. Überraschend ist zum Beispiel der nicht übermächtige Rumakzent in der Kopfnote, Hölzer, Harze und Vanille verleihen der dominanten Tropenblume keine Schwere, sondern Charakter (50 ml um 94 Euro).

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