Moleche: Weiches Wesen

Empfindlich. Soft Shell Crab nennt man die Krabben mit weichem Panzer anderswo.
Empfindlich. Soft Shell Crab nennt man die Krabben mit weichem Panzer anderswo. (c) Beigestellt
  • Drucken

Der Frühling streift den Adria-Krabben die Hülle vom Leib – ein langersehnter Moment. Doch nicht die „Moleche“, das Selektionshandwerk selbst droht auszusterben.

Einst waren sie so zahlreich wie die Hummer vor Key West. Säckeweise wurden die Krabben eingesammelt, berichtet Otto Pesta 1918 (im wenig gastronomischen Werk „Die Decapoden-Fauna der Adria“), „um als Köder beim Sardellenfang Verwendung zu finden“. Während sich die Werteskala des Fischhandels seither doch deutlich geändert hat, behielt der Kustosadjunkt am Naturhistorischen Hofmuseum in einem Punkt recht. Nach wie vor stammen die Krustentiere aus der Region zwischen den Lagunen von Grado und Venedig, „Lokalitäten, die ihrem Fortkommen im besonderen Maße zusagen“, wie es Fachmann Pesta weiland formulierte.
Der einzige Unterschied zwischen dem Friulaner „moleche“ und den venezianischen „moeche“ ist das „l“, das man in der Lagunenstadt nicht spricht. Dabei verweist gerade der von „mol(l)e“ kommende Name darauf, dass es den Gourmets um die weiche Phase zwischen dem Verlust des alten und der Bildung des neuen Panzers geht. „Soft shell Crab“ heißt das in anderen Weltgegenden, wobei es sich dort um Blaukrabben handelt. Und schon als die obere Adria noch österreichisch war, galt die kleine Krabbe Carcinus maenas vor Ort als „Volksnahrungsmittel – das Fleisch der weichen, frisch gehäuteten Exemplare wird besonders geschätzt“, so Pesta schwärmerisch.

Weg mit dem Exoskelett! „Im Frühling sind die Moeche bei uns das absolut meistbestellte Gericht“, bestätigt auch Irina Freguia die ungebrochene Beliebtheit bei den Gästen. Ihr Restaurant, Vecio Fritolin, in der Calle della Regina in Venedig hat die Krabben aber nicht nur gebacken – wie es der Name des Traditionslokals suggeriert – auf der Karte. Küchenchef Daniele Zennaro serviert sie auch mit Artischocken und etwas Olivenöl zu Gnocchi. Denn wie mit den ersten Artischocken aus San Erasmo beginnt für die Venezianer der kulinarische Frühling auch mit dem Auftauchen ihrer Moeche auf den Fischmärkten.

Zwar wechseln im Herbst auch die weiblichen Tiere den Panzer, 90% der gefangenen Krabben werden aber im Frühjahr in den Körben (trezze) am Grund der Lagune eingesammelt. Meist sind es ältere Männer, die um diese Jahreszeit den Fang und die mehrstufige Selektion der Krustentiere durchführen. Denn bei welchen die „muta“, der Wechsel des Panzers, unmittelbar bevorsteht, erkennt nur der Fachmann an Verfärbungen und physiologischen Details. Mehr ist den Spezialisten dazu nicht zu entlocken, die den Krabbenfang meist noch direkt am Boot begutachten. Ohne Handschuhe und blitzschnell sortiert der Mo(l)ecante genannte Profi dabei aus: Die sich heuer nicht mehr häutenden Krabben wandern zurück ins Meer. Die „granchi buoni“, die in einigen Tagen oder Wochen so weit sind, werden in zwei Partien Säcke verpackt und später in Holzkisten (vieri) in der Lagune versenkt.

Tod im Ei-Bad. In diesen „Panzerschränken“ kontrollieren die Mo(l)ecanti Tag für Tag den aktuellen Zustand der Exoskelette. Sollten bereits panzerlosen Tiere dabei sein, werden sie zum sofortigen Verkauf angeboten – und sterben einen schnellen Tod in heißem Öl. Denn klassisch zubereitet werden sie wie ein Pariser Schnitzel in umgekehrter Reihenfolge: Zuerst werden die lebendigen Krabben in verquirltem Ei „ertränkt“, dann mehliert und herausgebacken. Bisweilen ersetzt auch ein Bad in Milch das Ei. Hartgesottenere Köche lassen sie über Nacht in einer Schüssel von einem gewürzten Backteig fressen, ehe auch hier die Frittierpfanne wartet.

Auf dem Fischmarkt bei der Rialto-Brücke oder im wichtigen Umschlagplatz Chioggia erzielen die Krabben rund 40 Euro pro Kilo. Egal, ob „granchi molli“, „moeche fritte“ oder „moleche“ zwischen Triest und Venedig auf der Speisekarte stehen, man sollte in jedem Fall zugreifen. Denn die alte Spezialität droht auszusterben. Ungewohnterweise aber nicht wegen Überfischung, sondern wegen „Unterfischerung“. Keine 50 Molecanti, die das Auge für die demnächst mutierenden Krabben besitzen, soll es mehr geben. Längst hat „Slow Food“ diese Spezialität des Veneto unter den Schutz eines Presidios (eines Projekts, um vom Aussterben bedrohte hochwertige Produktionen und traditionelles Lebensmittelhandwerk zu bewahren) gestellt.

In Österreich sind schalenlose Krabben trotz der Nähe zur Adria ein Minderheitenthema geblieben. Die asiatischen Butterkrabben, einst „Signature dish“ Wini Bruggers im Indochine, serviert bei Verfügbarkeit Andreas Fuchs im Yohm am Petersplatz. Für Endverbraucher importiert sie der Italien-Fischspezialist Rocco Paterna nur auf Bestellung. Dabei reicht bereits ein halbes Kilo – sechs Stück pro Person – für eine traditionelle venezianische Mahlzeit für vier Personen.

Tipp

Auf Vorbestellung sind Moleche bis Mitte Mai in Wien erhältlich (eine Woche vorher bei Rocco Paterna reservieren: 0664/3372214 bzw. r.paterna@darocco.at). Pro Person rechnet man mit zwölf Dekagramm – was in etwa fünf bis sechs Krebsen entspricht; die Preise bei Da Rocco variieren zwischen 40 und 60 Euro/Kilo.
Für Venedig-Reisende: Einen Einblick in die Arbeit der letzten „moécanti“ auf Burano geben die Fischerboot-Touren der Kooperative San Carlo.
www.pescaturismoburano.com.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.