Würstel: Fleisch im Maßanzug

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Wir sind Wurst: Über gesprächiges Brät, was der Whisky im Würstel macht und Blauschimmelanfänger.

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Vorbei die Zeiten, als man auf YouTube den Suchbegriff Wurst eingeben konnte und ohne Umschweife Fleischwölfe, Gewürze und Schweinsdärme zu Gesicht bekam. Die Video-Anleitungen zum Wurstmachen wurden von einem gepflegten Bart über dramatisch geschminkten Augen verdrängt. Moustache statt Sausage. Letzteres gilt es nun im Suchfenster einzutippen, wenn man wie so viele derzeit unter die (Brat-)Wurstmacher gehen will.

Liebeserklärungen an die Wurst wurden schon viele geschrieben. Nein, es sind jetzt eben nicht die von Elton John oder Jean-Paul Gaultier gemeint, die Conchitas Ruhm zu vergrößern wussten. Sondern Liebeserklärungen an die Ästhetik des gefüllten Darms. Angeblich ist etwa ein Schweinsdarm genau so lang, dass das gesamte Fleisch eines Schweins in verfleischwolfter Form hineinpasst. Welche Poesie steckt in diesem Gedanken! Die Wurst verführt mit dem Reiz des Verborgenen. Ähnlich wie Ravioli, bei denen sich nur sehr unsensible Geister fragen, wozu es denn bitte diesen Aufwand braucht und ob man nicht die Füllung in spe einfach mit Bandnudeln servieren kann. Nein, es geht um das Verstecken und Auspacken, um Überraschungen. Man kann schließlich in Därmen nicht nur böse Reste verstecken, wie ein gern eingesetztes und oft gewiss richtiges Vorurteil über die Wurst an sich lautet, sondern auch viel Gutes. Etwa Stilton, Entenbrust, Calvados oder Datteln. Wie es jene kreativen Würstelmacher vorzeigen, die mit Därmen und Füllungen experimentieren, unter dem ausgesprochenen oder nur mitschwingenden Motto „In Wurst We Trust“ (so hieß etwa ein Wurstsymposium in Berlin Anfang des Jahres). Immer öfter trifft man auf Kooperationen zwischen ambitionierten Restaurants und Fleischhauereien, die maßgeschneiderte Auftragsbratwürste anfertigen, oder auf Köchinnen wie Nora Kreimeyer im Minilokal St. Charles Alimentary, die ihre Würstel gleich selbst machen – mit einem simplen Kenwood-Aufsatz.

„British sausages, British weather.“ Einer der neuen Wurstmacher ist der Brite Richard Holmes, seit etwa acht Jahren in Wien zu Hause. Britwurst heißt sein Label, mit dem er nach unendlichen Behördenirrwegen bald so richtig in das Wurstgeschäft einsteigen will. Seit Ende März hat Holmes eine Feststellung der individuellen Befähigung § 95 und so weiter vorliegen, die ihm „die Erzeugung des Produktes Britwurst“ erlaubt. Derzeit versorgt der Brite immer donnerstags die Gäste des Volksgarten Pavillon mit seinen wunderbaren Würsten. (Dass es beim Fototermin mit dem „Schaufenster“ wie aus Schaffeln schüttet, kommentiert er trocken, wiewohl klatschnass, mit: „British sausages, british weather.“) Küchenchef Matthias Zykan, selbst kein unbegabter Verwurster und gewissermaßen in Dauerwettstreit mit dem Britwurst-Chef, sorgt für Beilagen wie Kimchi, für das fachgerechte Grillen und Räuchern im Volksgarten-Smoker sowie für Denkanstöße in Sachen Sortenvielfalt: „Machen wir doch Lammwürstel!“ Diese hatte Richard Holmes nach eher weniger ermutigenden Lammversuchen am Beginn seiner Wurstkarriere bisher nicht im Programm: „Als ich das erste Mal überhaupt versucht habe, Würste zu machen, habe ich nur Lamm- und Rindfleisch gekauft. Ich hab auf das Schweinefleisch vergessen, wollte gleich einmal Gourmetwürstel machen.“ Trocken und nahezu unbrauchbar seien die ersten Versuche gewesen. Ganz abgesehen davon, wie seine ersten Bratwürste ausgesehen haben. „Heute haben sie alle die gleiche Größe, Respekt!“, kann sich Matthias Zykan einen Seitenhieb auf die ersten Britwurst-Exemplare nicht verkneifen.

Nach den ersten misslungenen Würsteln nahm Holmes bei Marc-Frederic Berry, dem legendären „Charcutier Anglais“ im südenglischen Devon, Privatstunden. Heute hat Holmes eine Vielzahl an Sorten auf Lager, allerdings noch lange nicht 500, so viele wie die britische Wurstkultur insgesamt umfasst. Unter Britwurst läuft etwa auch eine Wurst aus Schwein und karamellisierten Zwiebeln – roten Zwiebeln, denn „eye appeal is buy appeal“ –, eine mit Hirsch und Cheddar oder eine aus Schwein mit Stilton. „Meine Versionen der Käsekrainer. Ich glaube aber, ich werde eine für Blauschimmelliebhaber und eine für Blauschimmelanfänger machen.“

Holmes Würste enthalten wie alle britischen Würste stets einen kleinen Anteil Brotbrösel, „sie saugen das Fett auf und machen die Würste lockerer“. Was bei allem Experimentieren nie gut gehen würde: „Frische Früchte in der Masse.“ Spielereien wie Rind und Guinness hält er eher für einen Gag, „da kann nur wenig Guinness drin sein, sonst würde die Hefe alles verderben, und dann wiederum schmeckt man das Guinness ja gar nicht.“

Verdient einen besseren Ruf. Mit Alkohol in der Wurstmasse, allerdings höherprozentigem, spielt sich auch Rudolf Kriechbaum, Fleischhauer in Wien Ottakring. Er fertigt speziell für den Delikatessenimbiss Verde 1080 Bratwürste. Etwa die Versionen Apfel-Calvados, Spinat oder Koriander-Röstzwiebel. Stefan Kreidl, quer denkender Imbisswirt in der Josefstädter Straße und Wurstauftraggeber, ist Würsten schon lange verfallen. Aber angesichts des üblichen Angebots nicht gerade glücklich. „Es gibt keine gute Wurst mehr. Dabei ist die Wurst in unseren Breiten doch ein Grundnahrungsmittel.“ Kreidl rechnet der Wurst nicht zuletzt als jenem Trendprodukt, das nach der Burgerwelle kommt, gute Chancen ein und deutet auf ein Zitat in einem seiner Wurstbücher: „ein verschrienes Metzgereiprodukt, das einen besseren Ruf verdient“. An diesem Ruf arbeitet er gemeinsam mit Fleischhauer Kriechbaum, der die Erfahrung im Wursthandwerk mitbringt. Unter den Ergebnissen, die man im Verde 1080 gleich kosten oder kaufen kann, sind je nach Laune auch Whiskybrutzler, mit Whisky in der Masse – „aber nicht zu viel, sonst verbrennen die Würste“. Neulingen unter den Wurstmachern, die zu Hause selbst mit Därmen und Fleischwölfen experimentieren, rät Kreidl: „Nicht gleich aufgeben, wenn die Haut einmal reißt.“

Als Neuling kann man Raimund Döllerer indes nicht bezeichnen. Seit rund 50 Jahren macht er in Golling nahe Salzburg Wurst. Etwa die schon berühmte „Frische“ mit hohem Kalbfleischanteil, Ingwer und Zitronenschale. Oder Rehbratwürstel, Gamsbratwürstel und Kitzbratwürstel, die Neffe Andreas Döllerer, einer der besten Köche Österreichs, in Döllerers Wirtshaus serviert. „Ein Stück des jeweiligen Fleisches mit den Würsteln. Also Gamsragout mit Gamsbratwürsteln, Kitzschulter mit Kitzbratwurst.“ Gewürzt werden diese Wildwürste mit den typischen Aromen – die Ganslwürste etwa mit Orangenschale. Im Frühling macht Döllerer Bärlauchbratwürstel. Dabei kommen sowohl frische Blätter als auch Bärlauchpesto ins Brät. Und auch in Andreas Döllerers Dreihaubenrestaurant kommen die Würste des Onkels zum Einsatz, etwa das „Frische“-Brät mit Flusskrebsen und Erbsen.

Nach dem Umbau des Restaurants hat auch Döllerers Metzgerei mehr Platz für den Cutter, für Eiskübel (Crushed Ice ist eine wichtige Zutat, die das Gerinnen der Fleischmasse verhindert), für Gewürze, die Wurstspritze... Raimund Döllerer ist mit Gummistiefeln und einer Gummischürze ausgerüstet, sauber bleibt man nicht beim Wurstmachen. Die Masse meldet sich immer wieder mit frechen rosa Spritzern aus dem Cutter zu Wort.

Je nach Würstelsorte kommen Einlagefleisch wie Rindsschulter – für den Biss in den Bratwürsteln – und frische Kräuter wie Salbei oder Rosmarin zum Einsatz. Einlagefleisch, Kräuter oder Bärlauch werden der fein gecutterten Grundmasse mit höherem Fettanteil erst später beigemengt, je nach gewünschter Grobheit. Gewässerte Därme liegen bereit, die kleine Schüssel lässt nicht erahnen, wie viele Meter Wurst daraus später werden. Der Darm wird über die Wurstspritze gestülpt, und in Windeseile schießt das Brät – dank Vakuum ohne Luftbläschen – in seine Hülle. Jetzt ist der ästhetischste (schon wieder dieses Wort) Moment da: Raimund Döllerer dreht den gefüllten Darm zu Würsteln ab.So schnell kann man gar nicht schauen (und noch weniger nachvollziehen, welche Bewegungen die Hände da genau machen) – schon liegen die fertigen Würste, Satzzeichenklammern ähnlich, auf der Stahlplatte.

Große Zeiten. Die Wurst wird wieder ihre großen Zeiten erleben. Sie ist ein kulinarisches Kulturgut, identitätsstiftend und Grillvölker verbindend. Die Wurst muss sich aber permanent wehren. Etwa gegen Gesetze wie jenes, das in Polen ab 2015 das traditionelle Räuchern von Würsten über offenem Feuer verbieten wird. Oder gegen mafiöse Preisabsprachen der Darmindustrie, die Fleischhauern das Leben schwer machen und über die sich etwa die Brüder Obauer im Namen der gleichnamigen Familienfleischhauerei in Werfen stundenlang empören können. Das Restaurant der Obauers ist im Übrigen nicht das einzige heimische Spitzenlokal, das aus einer Wurst produzierenden Fleischhauerei hervorgegangen ist. Auch bei den Familien Rauch (Steirawirt) und Döllerer fing es mit Würsteln an.

Tipp

Britwurst, etwa Stilton-Schwein, immer donnerstags im Volksgarten Pavillon am Heldenplatz, 1010 Wien. thepiggerpicture.com
Salsicce, etwa Apfel-Calvados, bei Verde 1080, Josefstädter Straße 27, 1080 Wien.
Bratwürstevon „Mamsell“ Nora Kreimeyer in der St. Charles Alimentary, Gumpendorfer Straße 33, 1060 Wien. www.mamsell.at
Döllerers Würstelmanufaktur, Markt 56, Golling. www.doellerer.at

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