Pflanzensammler: Wildwuchs willkommen

(c) Christine Ebenthal
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Wer pflückt Sanddorn fürs Steirereck, wer Bergholler fürs Freyenstein? Eine Geschichte über Zutaten, die man nicht kaufen kann, von Lieferanten, die man erst einmal finden muss.

„Das wilde Zeug braucht eh niemand, da muss man nicht fragen.“ Offenbar wurde Toni Fickert noch nie angeherrscht, was er denn da bitte schön mache, wenn er in Wiener Wäldern, Gstätten und Auen Wildpflanzen wie Sanddorn abschneidet oder Fenchelpollen sammelt. Dem Satz „Das wilde Zeug braucht eh niemand“ würden aber wohl so einige Köche widersprechen. Denn in Restaurants, die auf der ständigen Suche nach nicht alltäglichen, aber möglichst regionalen Zutaten sind, sind Wildfrüchte und -kräuter zurzeit heiß begehrt. Wie aber kommt man an die oft mühsam zu erntenden Rohstoffe, die selbst Raritätengärtner nicht immer liefern können, weil sie eben wild wachsen? Hopfensprossen, Hagebutten, Tannenwipfel, Wasserlinsen – auf welchen Wegen kommen sie auf die Teller?



Wer geht auf die Pirsch? Denn die Bilder von Köchinnen und Köchen, die sich in Kochmontur im Wald höchstpersönlich nach einem Schwammerl bücken oder wilde Beeren für das Abendgeschäft pflücken, sind in den meisten Fällen ein Schmäh. (Die outdoorhungrigen Brüder Obauer sind mit ihren selbst gepflückten Flechten oder Vogelbeeren eine der Ausnahmen.) Vor allem Küchenchefs von Stadtrestaurants können nicht einfach zwischendurch in den Wald gehen. So gern sich viele Köchinnen und Köche selbst auf die Pirsch begeben würden – ihr Kalender lässt es schlicht nicht zu. Küchenchefs haben heute mehr zu tun, als nur Zutaten zu besorgen und zu kochen. Sei es, weil sie wie Meinrad Neunkirchner für Kochmagazine Rezepte erarbeiten, sei es, weil sie wie Heinz Reitbauer auch von der internationalen Presse und Kochkollegen mit Anfragen überhäuft werden und möglichst auf der Stelle reagieren sollen – neben dem normalen Wahnsinn eines Spitzenrestaurants.

Köche arbeiten also immer öfter mit Wildpflanzensammlern wie Toni Fickert zusammen, um an Zutaten zu kommen, die man sonst nicht kaufen kann. Fickert ist im Brotberuf am Institut für Nachhaltige Landwirtschaft bei der AGES tätig. In seiner Freizeit begibt er sich in die Wildnis. Etwa zum Marchfeldkanal, ein Stück außerhalb der Wiener Stadtgrenzen. Dort parkt er sein Auto, Jahrgang 1986 mit schwarzem Nummernschild, nimmt seine Gartenschere, Jahrgang 1973, sowie Körbe und sucht seine Sanddornbüsche auf. Anstatt die überaus sauren dottergelben Beeren einzeln zwischen den langen Stacheln herauszupflücken, schneidet Fickert Zweige ab. Diese werden später im Steirereck im Ganzen tiefgekühlt, damit man die Beeren gut herunterschütteln kann. Toni Fickert sammelt schon seit zwanzig Jahren Wildpflanzen (und Michelinsterne, die Liste seiner abgegrasten internationalen Lokale ist beeindruckend). „Ab einem gewissen Restaurantniveau kann man einfach hingehen und sagen: ,Grüß Gott, ich bin der Sowieso und habe das und das.‘ Ab einem gewissen Niveau wissen sie nämlich etwas mit deinen Produkten anzufangen.“ Auch Christian Petz, Joachim Gradwohl oder Thomas Dorfer zählten schon zu den Abnehmern des Sammlers. „Dem Demel wollte ich einmal Dirndln, also Kornelkirschen, verkaufen. Sie haben gesagt: ,Wir sind ein vornehmes Lokal, wir tragen keine Dirndln.‘“

Je nach Saison.
Im 18. Wiener Bezirk bekommt Meinrad Neunkirchner alle zwei Wochen Besuch von Fritz Burger. Der Forstwirt, Bauer und Imker ist mittlerweile unverzichtbar für die Wildpflanzenküche des Freyenstein. Burger kommt je nach Saison mit Kisten voll Rotem Holler, Sauerklee und Haselnussblättern – „die werden frittiert und eingelegt“, mit Wasserlinsen, grünen Nüssen, Tannenwipfeln oder Krauser Glucke, einem spektakulären Pilz. Neunkirchner und Burger arbeiten bereits das sechste Jahr zusammen. „Früher bin ich noch viel selbst sammeln gegangen“, sagt der Koch Meinrad Neunkirchner, „dann hatte ich eine ältere Dame, jetzt sammelt Fritz Burger für uns.“ Wie werden eigentlich die Preise für zeitaufwendig gepflückte Zutaten wie Sauerklee festgelegt? „Das ist echt schwierig. Man schießt einen Ballon in die Luft und schaut dann einmal. Sauerklee ist ja wirklich mühsam zu pflücken. Bis so eine Tomatenplastikschüssel voll ist – das dauert!“ Burger ist vor allem in der Buckligen Welt unterwegs, wo er wohnt, auf rund 800 Metern Seehöhe. „Er hat also Hollerblüten auch dann noch, wenn es in Wien keine mehr gibt“, sagt Meinrad Neunkirchner.

Die Saison nach hinten verlegen kann auch Jacqueline Pfeiffer, die von ihrer Tante mit Wildpflanzen aus dem kühlen und später zu beerntenden Waldviertel beliefert wird. Vor Kurzem hat die Köchin bekannt gegeben, dass sie nach zwölf Jahren im Le Ciel an der Ringstraße etwas anderes machen wolle. Wo immer sie in Zukunft kochen wird – die Schafgarbe, die Eberraute oder das Labkraut ihrer Tante Susanne Seeger werden Teil ihrer Küche sein. Ob für Wildkräuterblunzen oder Blütenrisotto. Seeger ist Lehrerin und kommt immer montags nach Wien. Montag war also immer Liefertag im Grandhotel. „Sechs Jahre haben wir das so gemacht. Wahnsinn, das waren viele Körbe!“ Wer sich nach wem richtet, ist zwischen Tante und Nichte unterschiedlich: Manchmal gibt die Köchin Jacqueline Pfeiffer Bescheid, dass sie etwas Bestimmtes braucht, manchmal gibt ihr Susanne Seeger ein Aviso: „Du, in einer Woche habe ich viel Eberraute.“

Wissensweitergabe. Ein bisschen anders gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen dem Koch Alain Weissgerber und der Winzerin Margarethe Triebaumer am Neusiedler See: Die Expertin für lokale Wildpflanzen geht nicht für den Taubenkobel pflücken – „ich hab dafür nicht die Zeit“ –, sondern sie verrät den Köchen besonders ergiebige Stellen. „Und ich gebe Laut, wenn etwas reif ist.“ „Wir haben wiederum nicht die Zeit, um erst zu schauen, wo was wachsen könnten, und dann ist dort vielleicht gerade einmal ein Brombeerstrauch. Sie weiß, wo viel auf einmal wächst, und kennt Stellen, die wir nie finden würden“, beschreibt Weissgerber die Zusammenarbeit. Die Winzerin zeigt den Taubenkobel-Köchen also etwa für spätere Pflückaktionen, wo wilder Spargel wächst. „Man muss sich die Stellen im Sommer merken, wenn der Spargel ausgewachsen und gut sichtbar ist, und holt ihn sich dann im Frühling, wenn er klein und zart ist. Wir haben sogar ein altes Heft, wo das eingetragen wurde.“ Triebaumer weiß auch genau, wann und in welchen Winkeln das Schilf im Frühling schon groß, aber noch zart und weich ist. Und genau dann wird es von Weissgerber mit Räucheraal und Zitronenmarmelade gefüllt. Was für ein Zusammenspiel . . .

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