Stroh: Heureka! Die Halme sind da

Sind die Felder und Wiesen gemäht, beginnt das kulinarische Erntedankfest. Köche und Bartender setzen auf die Würzkraft von Bergheu und den Charme „echter“ Strohhalme.

Es knistert und riecht nach Lagerfeuer. Der Star bei René Redzepis geräucherten Wachteleiern im Noma ist das aroma-spendende Strohbett. Die an Stallromantik erinnernde Zutat hat einen Vorteil: Sie ist ganzjährig verfügbar und in Ballen leicht lagerbar. Geerntet wird sie aber nur einmal – nämlich jetzt. Zum Beispiel in Oberösterreich, von wo künftig die Barszene den strohigen Rohstoff bezieht.

Noch läuft der (Um-)Weg über Bayern, wo die Bio-Strohhalm GmbH den Plastikhalmen den Kampf angesagt hat. Die semantische Perversion – offenbar ist ein Strohhalm aus Stroh schwer vorstellbar – gipfelte auch schon in der Frage: „Wie bekommt ihr den Kunststoff so hin?“ Auf der Salzburger Messe GAST wurde Geschäftsführerin Jana Gessert mit dieser Frage konfrontiert. Die Buchungen aus Österreich kamen trotz dieses Erlebnisses an, „neben vielen Biohotels beliefern wir auch Red Bull; die haben vor dem Grand Prix in Spielberg noch nachgeordert“.

Gesserts Stroh kommt auch aus Österreich; zehn Hektar im Linzer Umland liefern Getreide, das den Vorgaben der Bayern entspricht. Der Lieferant, der eben seine Ernte übergeben hat, wird geheim gehalten: „Qualitätskontrollen und Biozertifizierungen dauern noch.“ Das doppelte Einkommen für die Bauern (die Ähren werden vor den Halmen geerntet) macht den Anbau zwar attraktiv, der Schnitt erfolgt aber wie in Prä-Mähdrescher-Zeiten. Der achtmal höhere Preis – immerhin acht Cent pro Stück – gegenüber Plastikhalmen resultiert unter anderem daraus, dass jeder einzelne Strohhalm händisch zugeschnitten werden muss.

Während die Retro-Halme alten Cocktailrezepten, den „Pre-Prohibition-Drinks“, das authentische Flair verleihen, kommt ein anderes Mähprodukt als Aromageber zum Einsatz. Ein Kilo Heu hat sich Hubert Peter aus der Bregenzerwälder Heimat in die Bar des Restaurants Kussmaul schicken lassen. Vom Berg zum Spittelberg quasi. „Ich experimentiere in alle Richtungen“, sagt der Spirituosen-Heimwerker: Limonade und Wermut sind mit dem Heu „infusioniert“, bereits verkosten kann man seinen aromatisierten Wodka, serviert als Bergheu-Martini. Doch warum der ganze Aufwand? „Anders als bei gefriergetrockneten Kräutern kommt beim Heu eine gewisse grasige Note dazu“, erklärt Hubert Peter. Vermutlich aber auch ein wenig Psychologie: „Man merkt, dass das frisch vom Berg kommt.“ Das Heu als Proust’sche Madeleine für Vorarlberger?

Destillierte Unbeschwertheit. Nicht nur für sie, auch für Josef Farthofer stellt der Heugeruch eine Kindheitserinnerung dar. Wäre er in Grasse zu Hause, hätte er wohl ein Parfüm kreiert. Doch Farthofer wohnt im Mostviertel und ist seit der Goldmedaille für seinen Biowodka „O“ in London einer der bekanntesten Brenner Österreichs. Womit er seine Erinnerungen in Kornbrand aufbewahrt. Darin lässt er das Heu auslaugen (ein Mazeration genanntes Verfahren): „Wenn es zu lange dauert, wird der Geschmack holzig.“ Den Rohstoff liefert eine familieneigene Wiese hart an der Grenze zu Oberösterreich. „Das Besondere an der Magerwiese ist, dass sie ungedüngt ist und nur einmal im Jahr gemäht wird. Ich suche mir dann die Stellen mit den meisten Wiesenkräutern heraus“, sagt Josef Farthofer.
Die Einschränkung – nicht jede Wiese gibt verwendbares Heu – des Flachländers Farthofer bestätigt sich beim Restaurant-Rundruf: Aromatisches Heu stammt von (wenig kultivierten) Bergwiesen. Entsprechend häufig prägt die grasig-kräutrige Melange Gerichte der „Cuisine alpine“. Der Salzburger Andreas Döllerer, von dem dieser Begriff stammt, lässt etwa Saibling in Heurahmsauce schwimmen. Beim Südtiroler Egon Heiss stammt die Würze beim Jungzwiebelsüppchen von der Sarntaler Mahd. Heiss, der bei Gordon Ramsay in London gelernt hat, entgeht der herbstlichen Zutat ohnehin nicht. Das Hotel in Bad Schörgau, zu dem sein 15-Couvert-Restaurant Alpes – ein Michelin-Stern – gehört, bietet auch Heubäder an.

Heugeschmack für daheim. Selbst beim Exilsalzburger Mario Lohinger in Frankfurt erinnert das „Hogmoar Bergheufilet“ an die alte Heimat. Lohninger wickelt das Hereford-Beef dafür zum Garen in einen Heumantel, vorher wird es in Heu-Öl angebraten. Dieses lässt sich zu Hause leicht selbst herstellen: zwei Handvoll Bergheu mit einem Liter Sonnenblumenöl bedecken und die Mischung auf 70 Grad erwärmen. Nach zwei Stunden Ziehzeit abseihen. Mario Lohningers Rezept erinnert ebenfalls an seine Kindheit – die verbrachte er nämlich in Maria Alm.

Tipp

Bergheu-Martini: Kussmaul, Spittelbergg. 12, 1070 Wien. Bergheu-Schnaps von Farthofer beim Merkur am Hohen Markt in Wien bzw. ab Hof, www.mostelleria.at. Strohhalme über bio-strohhalme.de

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