Teig und Tatsachen

Das Designprojekt „Taste of Data“ jongliert mit Korruptionsstatistiken und kulinarischen Stereotypen. Das Ergebnis: essbare, aber nicht immer köstliche Diagramme.

Die berühmte Zwiebelkrise in Indien zeigt, wie politisch Gemüse, wie politisch die Zutaten eines Mahls generell sein können. Die Alltagscurrys indischer Familien setzen sich notgedrungen anders zusammen, wenn der Zwiebelpreis, wie für diesen Herbst wieder prognostiziert, um ein Vielfaches steigt. Die wirtschaftliche Lage beeinflusst immer die Rezepte eines Landes – in der Historie etwa ablesbar am Safraneinsatz im Mittelalter, am Kaisergugelhupf mit 18 Dottern (für das Gelingen des Rezepts reichen auch vier) oder am steigenden Fleischkonsum des heutigen China. Auch die persönliche wirtschaftliche Entwicklung jedes Einzelnen drückt sich in den Mengenverhältnissen eines Rezepts aus: In Studentenzeiten kochte man Pasta Salmone mit viel Pasta und wenig Salmone, mit dem ersten Vollzeitgehalt stieg der Lachsanteil deutlich.

Statistische Daten sind also in Rezeptzusammensetzungen abzulesen. Vor allem, wenn die Designerinnen Veronika Krenn und Vesela Mihaylova die Rezepte erstellen. Die Rezepte, die im Rahmen des Projekts „Taste of Data“ entstehen, sind freilich weniger zum Nachkochen denn als Anschauungsmaterial gedacht. Krenn und Mihaylova nützen tradierte Gerichte wie die Linzertorte oder den Christstollen, um gesellschaftliche Entwicklungen aufzuzeigen. Ihr Christstollenprojekt etwa spricht den Weihnachtskonsum an und visualisiert das Einkaufsverhalten von sechs Personen durch die Früchte im Stollen: Die Gesamtausgaben wurden zunächst durch die Gesamtmenge der Früchte repräsentiert. Zusätzlich bestimmen die Beträge pro beschenkter Person, ob der Christstollen mehr Mandeln und Rosinen oder mehr Zitronat und Orangeat enthält. Auch der Stress beim Weihnachtseinkauf beeinflusste das Endrezept, die Glasur und die Zeit zum Rasten wurden neu berechnet. Das Ergebnis sind sechs Christstollen unterschiedlicher Rezeptur, die die Designerinnen bei einer ihrer „Data Tastifications“ zur anschaulichen Verkostung freigaben.


Arbeitslosigkeit und Korruption. Das kulinarische Kulturgut Linzer Torte zogen die Designerinnen von „Taste of Data“ – beide leben in Linz – heran, um frauenspezifische Statistiken der Stadt sichtbar zu machen. Auch weil Backen im Gegensatz zu öffentlichem Kochen in Restaurants noch immer ein weibliches Stereotyp ist. Für die Jahre 2003 bis 2011 wurden neun Linzer Torten gebacken, den Zutaten des Grundrezepts, also Zucker, Nüssen, Mehl und Marmelade, wurden statistische Kategorien wie Arbeitslosenrate, Todes- und Geburtenrate zugeordnet. Und feststeht: Die Jahre schmeckten unterschiedlich.

Symbolik.  „Is ma’ Wurscht“ wiederum ist ein Projekt zur Visualisierung von Korruption. Und gleich vorweg: Das Ergebnis, eine Auswahl an Würsten, ist nicht immer genießbar. Mit der Wahl des Mittels Wurst wollten Veronika Krenn und Vesela Mihaylova auch demonstrieren, dass die Fleischindustrie im Vergleich zu anderen Lebensmittelzweigen am häufigsten von Skandalen betroffen ist. Für „Is ma’ Wurscht“ wurden vier typische Würste aus verschiedenen Ländern anhand deren Korruptionswahrnehmungsindex produziert, die Daten stammten von Transparency International aus dem Jahr 2012.

Die Designerinnen streckten nun das Brät von österreichischer Käsekrainer, australischer Basic Beef Sausage, italienischer Cotechino und bulgarischer Nadenica prozentuell in Abhängigkeit von Fleischskandalen dieser Länder: mit Pferdefleisch, Meeresfrüchten und Toilettenpapier. Mit letzterem Skandal, also Wurstbrät mit Toilettenpapier zu strecken, ist Designerin Vesela Mihaylova tatsächlich aufgewachsen. Korruption ist also ebenso wenig genießbar wie Fleischskandale es sind.

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