Grillen im Winter: Medium bei Minusgraden

Grillen im Winter
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Grillen gehört in den Sommer. Doch die Industrie wittert Margen in der kalten Jahreszeit. Das hat auch mit der Finanzkrise und milden Temperaturen zu tun.

Das Wiener Unternehmen Grün hoch 3 verkauft Outdoor-Küchen. Also nicht nur. Herwig Bindar und seine Frau Ulrike Seher sind auf die Belebung von Dachterrassen und Gärten spezialisiert. Mit allem, was dazugehört: Die beiden planen und setzen Büsche, Böden, Duschen, Becken und eben auch Küchen an die richtigen Stellen.

Die Grüngestalter hatten in den vergangenen Wintern viel Zeit für Administratives. „Im Oktober ist es meistens spürbar ruhiger geworden.“ Aber in den vergangenen beiden Jahren sei die Nachfrage nach Küchen für draußen größer geworden. Sie schicken ihre fünf Mitarbeiter in den beiden Lkw jetzt bis November auf die Baustellen. „Das hat sicher viel mit den milden Temperaturen heuer zu tun: Die Menschen haben Lust, draußen Zeit mit der Familie beim Essen und Feiern zu verbringen. Wir verkaufen doppelt so viele Küchen.“

Ah, die Lust am Grillen

Flammen lodern, Hitze steigt auf, und Steaks brutzeln. Lebensmittel schmecken gegrillt anders, behaupten Grillfans. Ehrlicher, wilder, unberechenbarer. Grillen ist bodenständig und archaisch. Der Kampf gegen Windstöße und Regentropfen, gegen widerspenstige Grillanzünder, besserwisserische Nachbarn – und natürlich für das perfekte Steak. Das spricht nicht nur, aber vor allem Männer an. Auch solche, die den Herd nur aus sicherer Entfernung begutachten. Grillen verspricht Abenteuer, eine Spur Steinzeit und Jagd. Grillschürze, -zange, und -bier lassen Acrylamid und Benzopyren schnell vergessen. Die frische Luft, das kühle Bier, die einsamen Momente. Das Feuer, das Fleisch und die Gezeiten.

„Grillen ist wie ein Tanz“

Der amerikanische Showkoch Jamie Purvience hat sich mit Rezeptbüchern einen Namen und ein Vermögen gemacht. Bei Grillshows, zu denen in den südlicheren Bundesstaaten über 25.000 Menschen pilgern, bewertet er die am besten gegarten Fleischstücke. Ihm wird folgendes malerische Zitat nachgesagt: „Grillen ist wie ein Tanz. Man kommuniziert mit den Flammen und dem Essen.“ Purvience kommuniziert vor allem mit Millionen Grillbegeisterten rund um den Planeten. In Dutzenden Büchern hat er die besten Kniffe, Rezepte und Produkttipps aufgeschrieben. Die Bücher bringt er in enger Kooperation mit dem Branchenprimus Weber-Stephen heraus.

Das US-Unternehmen hat 2004 den größten Konkurrenten Duncan und dessen Erfahrungen mit den modernen Gasgrills geschluckt und spätestens seitdem den amerikanischen Markt und jenen von 31 weiteren Ländern ziemlich fest im Griff. In Europa gewinnt das norddeutsche Unternehmen Landmann-Peiga Jahr für Jahr die goldene Grillzange.

Für die Branche ist die Krise wie ein verkohltes Kotelett, sie hat aber garantiert nichts mit den Absatzzahlen zu tun. Auf 1,16 Milliarden Euro schätzen Handelsforscher das Geschäft rund um das Grillen für dieses Jahr – die Umsatzmarke von einer Milliarde Euro knackte die Branche 2010. Die beiden marktführenden Familienunternehmen geben traditionell keine Zahlen heraus. Landmann verkauft jährlich aber über zwei Millionen Griller, und der Europa-Marketing-Chef von Weber-Stephen, André Palm, erwartet ein zweistelliges Umsatzwachstum für das laufende Jahr. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten verzichten die Menschen eher auf ihren Urlaub und investieren dafür in einen gemütlichen Garten oder Balkon bzw. eine Terrasse mit allen Extras.

Forelle grillen im Schnee

Grillhersteller, die Anzündindustrie und die Holzkohleanbieter feiern laut deutschem Branchenverband mit dem sperrigen Namen Barbecue Industry Association Grillverband (BIAG) wachsende Kontostände. Derweil donnert die Marketingmaschine los und legt sich mit dem letzten Feind der Grillfreunde an: dem rauen, launischen Wetter zwischen Oktober und März. Dann, wenn Kugelgrill und Holzkohle im Keller eigentlich eingemottet auf die ersten Sommertage warten. Grillen soll das ganze Jahr über in den Kleingartensiedlungen und auf den Balkonen stattfinden. Mit einem raffinierten Twist.

Schnee glitzert, Nebel hängt über der Stadt, kaum ein Mensch traut sich auf die Straße. Die wenigen, die der Kälte trotzen, schütteln verdutzt die Köpfe wegen der dünnen Rauchsäule, die aus der Wohnsiedlung aufsteigt. Und wegen des Manns, der eingehüllt in Rentierpulli und Bärenmütze in sich gekehrt vor einem Grill steht, in der einen Hand seine Grillzange, in der anderen einen wärmenden Tee. Vor ihm garen drei Forellen über der satten Glut. Eine hungrige Katze schnurrt um seine Beine. Das ist seine Schlacht heute. Für seine Lieben, die im Warmen warten, aber vor allem für sich selbst.

Kampf gegen die Elemente

Die Grillindustrie packt die Hauptzielgruppe Männer da, wo sie sie sicher erwischt: beim einsamen Kampf gegen die Elemente. Die Marketingleute bei Weber und Co. unterstützen das Ringen mit den Gezeiten mit neuen Technologien. Outdoor-Küchen mit integriertem WLAN (für das Marinade-Tutorial am Tablet) und Infrarotgrills, die Energie sparen und sehr schnell ein ansprechendes Ergebnis liefern. Aber auch die Frauen werden in einschlägigen Hochglanzmagazinen wie der „Brigitte“ oder im deutschen Frühstücksfernsehen mit Tipps für „die winterliche Grillparty“ versorgt.

Die Verkaufsschlager 2015 in den Segmenten Gas- und Elektrogrill werden laut Prognosen einschlägiger Blogs Geräte wie der Master Touch GBS, Spirit SP 210 oder Genesis S 230. Die Mittelklassegeräte kosten zwischen 500 und 800 Euro. Premiumgriller mit Seitenkocher, verchromten Griffen und Soft-Touch-Reglern mit beleuchteter Fassung kommen auf 4000Euro. Nie mehr aufgeweichte Pappteller und triefnasser Kartoffelsalat. Die Griller sind aufgrund des isolierten Hitzeschutzes, Deckelthermometers und Duroplastgriffs aus glasfaserverstärktem Nylon mit integriertem Besteckhaken katastrophensicher. Sogar ein Schneesturm würde an den Boliden abprallen. Das steht so fast wörtlich in den Produktbeschreibungen.

Euphorie besteht allerdings keine

Das niedrige Preissegment macht Sorgen bei den großen Marken. Viele Bau- und Supermärkte importieren günstig produzierte Blechkonstruktionen aus China. Auch Landmann-Peiga lässt 95 Prozent seiner Geräte in Fernost fertigen. Übrigens: Der zweitgrößte Einnahmezweig bei den großen Grillherstellern sind Heizstrahler. Die lassen den einsamen Brutzler im zugigen Kleingarten wieder ein bisschen näher an die Zivilisation heranrücken.

Autor Jamie Purvience war vor ein paar Wochen bei US-Talkerin Oprah Winfrey und stellte sein neues Buch vor. Mit Rezepten für „saftige T-Bone-Steaks mit Cranberry-Meerrettich-Chutney oder eine knusprige Weihnachtsgans mit Maronen-Apfel-Füllung“ – eben alles, was „die kalte Jahreszeit zu bieten hat“. Titel der neuen Grillbibel mit fast 200 Seiten: „Webers Wintergrillen“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2014)

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