Karfiol: Sah ein Koch ein Röslein

(c) Christine Pichler
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In den USA wird Karfiol als der neue Grünkohl gehandelt. Wie wurde ein muffiges Fadgemüse zum attraktiven Darsteller?

Listen der Gattung „Die Top Ten der xxx“ sind wie Grammatiken: deskripitiv oder präskriptiv. Bei manchen Listen ist es schwer zu sagen, sie sind beides zugleich, bilden also bestehende Phänomene ab und geben Trends vor. Die Top-Ten-Lebensmittel des Jahres, eine Liste, wie sie vor allem in den USA gern erstellt wird, dürfte eine dieser Art sein – das ist heuer am Karfiol ablesbar: Seit Jahren ist er immer häufiger auf Tellern und in Kochbüchern zu finden, was man deskriptiv festhalten kann, und aus ebendiesem Kursverlauf lässt sich die präskriptive Trendprognose ableiten, dass Karfiol das Gemüse des Jahres und der neue Kale (Grünkohl) ist. Das rufen jedenfalls etwa Institutionen wie das International Culinary Center oder das Center for Culinary Development aus. Der Karfiol hat somit wieder Meter gutgemacht, war er doch lange Zeit von seinen stark geschminkten Kollegen Romanesco und Brokkoli in Sachen Beliebtheit überholt. Heute werden dem bekannten weißen Karfiol auf manchen Märkten gelbe (auch Cheddar-Karfiol genannt) und violette Varietäten zur Seite gestellt.

Geröstet und bekehrt. Karfiolerinnerungen sind hierzulande eher negativer Natur. Der eine musste im Winkerl stehen, weil er den totgekochten Karfiol ausgespuckt hatte, die andere kann das Kohlgemüse jetzt noch nicht leiden, weil früher das ganze Haus tagelang danach gerochen hat.

Dabei nimmt der Karfiol heute zahlreiche attraktive neue Formen an und ist in der Spitzenküche auch außerhalb Frankreichs, wo er in Mousselineform als elegante Unterlage für Störkaviar schon länger gern gesehen ist, mittlerweile fest verankert. Und der Karfiol ist sicher eines der besten Beispiele für den neuen, fortschrittlichen Blick auf Gemüse, der den Protagonisten der Kochrevolutionen der vergangenen Jahre zu verdanken ist. Der katalanische Koch Ferran Adrià von el Bulli servierte scheinbar Couscous, in Wirklichkeit waren es fein geriebene Karfiolröschen. Andere Köche übernahmen diese Idee, manche dachten sie weiter und „panierten“ Fisch in rohen Karfiolbröseln oder Huhn in einer Mischung aus Karfiol- und Knusperhühnerhautbröseln.

Skandinavische Köche wie René Redzepi vom Noma rückten den Karfiol in Form von lässig über den Teller gestreuten rohen Hobeln (manche nennen diese Chiffons) ins Blickfeld. Tim Raue in Berlin macht mit und serviert Karfiolhobelsalat mit Wiener Pflaumenkernöl und Mandelmilch. Der israelischstämmige Londoner Gemüsekochstar Yotam Ottolenghi röstet Karfiol, zu kleinen Röschen gebrochen, unbeeindruckt jeglicher klassischer Regeln tiefbraun und kombiniert ihn unter anderem mit Haselnüssen. Das Rösten empfiehlt sich für Karfiolhasser mit Bereitschaft zum Bekehrtwerden übrigens generell: Wird die Oberfläche mit Öl benetzt und das Gemüse im Backrohr oder auf dem Grill hoher trockener Hitze ausgesetzt, tut sich geschmacklich eine völlig neue Dimension auf.

Dank der Root-to-Stalk-Bewegung, die das Bewusstsein für scheinbare Küchenabfälle verändern will, wurde auch der Karfiolstrunk in jüngster Zeit gezielt eingesetzt, meist fein geschnitten – Faserrichtung beachten! Auch die Blätter durften ihren Auftritt haben. Und besonders aus der Miniaturvariante des Karfiols werden gern vegane „Steaks“ geschnitten und gegrillt (die optische Ähnlichkeit mit Hirnscheiben stört dabei offenbar keinen).

Während trockene, also röstende Hitze von den einen als ultimative Zubereitungszutat gesehen wird, entdecken andere auch im rohen Karfiol ungeahnte Fähigkeiten: Die Fraktion der roh Essenden – als ideologisch relevante Obergrenze gelten 42 Grad Celsius – hat sich den Karfiol unter anderem in der geriebenen Form zu eigen gemacht: Die Brösel werden mit Käsespänen zu Pizzafladen gedrückt, mit diversen halbflüssigen Massen zu „Teig“ geknetet oder als bissfester Reisersatz serviert.

„Von Frieden und stiller Schönheit erfüllt.“ Der britische Journalist Nigel Slater, dessen Texte über Gemüse man ebenso verschlingen könnte wie seine einfachen Alltagsgerichte, weiß über den Karfiol und die klassischen Zubereitungsarten Worte zu finden, die wie eine Liebeserklärung klingen – obwohl das weiße Kohlgemüse nicht gerade zu seinen Favoriten zählt, wie er in seinem empfehlenswerten Kochlesebuch „Tender – Gemüse“ schreibt: ein Gemüse, „von Frieden und stiller Schönheit erfüllt. Die Blätter eines Karfiols, lang und weich wie Hasenohren, rollen sich über ihm ein, als ob sie seinen scheuen weißen Kopf vor stechender Sonne oder Frost schützen wollten.“ Rohem Karfiol kann Nigel Slater wenig abgewinnen, er sieht das Gemüse wie geschaffen für weiße Sauce, die auf den „jungfräulichen weißen Röschen verharren“ wird, „gefangen zwischen den sanften Hügeln, Wölkchen und Bäumchen dieses Gemüses, das die Krönung der Familie der Brassica, des Kohls, darstellt“.

Dem beim Kochen von Karfiol entstehenden Geruch könne man übrigens entgegenwirken, indem man ein Lorbeerblatt und einen Tropfen Olivenöl ins Kochwasser gebe, was einen fast schon verführerischen Duft erzeuge. Er empfiehlt für das Kochen aber nur jüngere Exem-
plare, denn älterer Karfiol, schreibt Nigel Slater, „ist eine eher traurige Angelegenheit. Die Röschen nehmen den Ton alter Klaviertasten an.“

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