Furmint: Der Wein, der verloren ging

(c) Clemens Fabry
  • Drucken

Furmint zählte zu den bedeutendsten Sorten des Burgenlands. Fast wäre er verschwunden.

„Zehn Hektar sind geblieben“, sagt Michael Wenzel. Mehr nicht. Ein winziger Rest habe „in der burgenländischen Diaspora überlebt“, meint der Winzer aus Rust am Neusiedlersee. Wenn Wenzel vom Furmint spricht, dann hat man den Eindruck, er redet von einer vom Aussterben bedrohten Tierart. Dabei handelt es sich um eine Rebsorte.

In Österreich wäre sie tatsächlich beinahe verschwunden. Vor 200 Jahren war sie die bedeutendste Rebsorte im Burgenland. Der Furmint wurde als Süßwein bis hinauf in die reichen norddeutschen Hansestädte vertrieben. Dafür sorgten schon die großen Weinhandelshäuser in Ödenburg. Der Wein sei „von vortrefflicher Süße, die mit Stärke und Geist verbunden die Zunge angenehm reizt und einen lieblichen Geschmack hat“, schrieb 1819 ein gewisser Paul Ludwig Conrad in seinem Fachbuch zur Pflege des Weinbaus. Er war sozusagen ein Vorgänger von Robert Parker und Konsorten. Und der Furmint aus Rust brachte es schon damals zu Höchstbewertungen.

Verschwundenes Wissen. Als Heidi Schröck Mitte der 1980er-Jahre den elterlichen Hof übernahm, war von Furmint keine Rede mehr. „In unserem Weingut gab es keinen einzigen Stock“, erzählt sie. Aber sie hörte von dieser Weißweinsorte, die sehr spät reift, zur Edelfäule neigt und deshalb prädestiniert für Süßwein ist. 1991 pachtete sie einen kleinen Furmint-Weingarten. Mittlerweile sei es ein Hektar geworden, erzählt sie stolz „Und ich verbringe im Furmint-Weingarten mehr Zeit als in allen anderen.“ Einfach war Furmint nie. Aber mit der nötigen Hingabe gepflegt, bringt er außergewöhnliche Weine hervor.

Michael Wenzel besitzt knapp zwei Hektar vom Furmint. Dieser Tage pflanzte er einen neuen Weingarten aus. „Stockkultur, damit mehr Licht in den Weingarten kommt“, sagt er. Er zelebriert Furmint geradezu. Er setzt sich nicht nur mit dem Wein, sondern auch mit dessen Geschichte auseinander. „Viel Wissen um den Furmint ist verloren gegangen“, beklagt er. Schon sein Großvater und sein Vater hielten an dieser kleinbeerigen Traube fest. Sein Vater war es, der 1984 die ersten Furmint-Edelreiser durch den Eisernen Vorhang von Ungarn nach Österreich brachte. Der Großvater kelterte in den 1930er-Jahren noch bedeutende Mengen. Doch der Niedergang des Furmint war damals schon besiegelt. Nach dem Zerfall der Donaumonarchie war plötzlich alles anders. Das Burgenland kam zu Österreich, die großen Weinhändler und Rebschulen befanden sich jenseits der neuen Staatsgrenze. Der Weinbau litt noch immer an den Folgen der Reblaus. Und in der Wirtschaftskrise fehlte für Investitionen das Geld. „Beinahe hätte mein Großvater den Weinbau ganz aufgegeben. Er wollte in die Sodawasser-Produktion einsteigen“, erzählt Wenzel. Das Weingut Wenzel blieb, doch der Furmint verschwand allmählich aus dem Burgenland. Zu dieser Zeit bekam Großvater Wenzel Besuch von einem gewissen Lenz Moser. Ein Weinpionier, der die Bauern auf moderne, ertragreiche und robuste Weinsorten einschwor. Auf Müller-Thurgau, Neuburger und vor allem auf Grünen Veltliner.

Imageproblem. Normalerweise leben Katinka Wimpffen-Kékessy und ihr Mann Arno Wimpffen mit ihren drei Söhnen auf ihrem Schlösschen im südlichen Niederösterreich. Doch in den vergangenen Jahren trifft man die beiden immer öfter in dem kleinen Weinort Bodrogkisfalud an. Dort betreibt das Ehepaar das Weingut Patricius. 85 Hektar Weingärten sind es mittlerweile. Der Ort liegt in Ungarn. In die nächste Stadt sind es sieben Kilometer. Die Stadt heißt Tokaj. „Für mich war der Tokajer schon aufgrund seiner tollen Säure stets besser als ein Sauternes“, sagt Wimpffen. Und diese würzige Säure komme eben vom Furmint. Er ist das Herz und das Rückgrat des Tokajers. Zwei Drittel der Rebfläche im Tokaj – knapp 3000 Hektar – sind mit Furmint bepflanzt. Der Rest setzt sich aus Gelbem Muskateller und Lindenblättrigem zusammen. Diese drei Sorten machen den berühmten Süßwein aus, den Tokajer. Jeder kennt ihn, die wenigsten trinken ihn.

„Der Tokajer hat ein Imageproblem“, gibt Arno Wimpffen unumwunden zu. Während des Kommunismus wurde der Tokajer zum billigen Massenwein. Eine Entwicklung, die bekanntlich nicht nur hinter dem Eisernen Vorhang stattgefunden hat. In Österreich gipfelte sie im Weinskandal Mitte der 1980er-Jahre. In Ungarn sicherten sich nach der Wende die großen internationalen Investoren die besten Lagen. Die Kékessys kamen etwas später. „Mein Vater musste während der Revolution 1956 fliehen“, erzählt Katinka Wimpffen-Kékessy. Dezsö Kékessy, Spross eines ungarischen Adelsgeschlechts, ließ sich in der Schweiz nieder, avancierte zum erfolgreichen Unternehmer und ging nach dem Ende des Kommunismus wieder zurück in seine Heimat. „1997 kauften wir ein halbes Hektar Weingarten“, erzählt seine Tochter. 2002 begannen sie, das Weingut aufzubauen. 2007 wurden die ersten Weine exportiert. Heute leitet Katinka das Weingut, führt fort, was ihr Vater begonnen hat. „Wir sind mit unseren Weinen in 20 Märkten vertreten“, erzählt Arno Wimpffen. Das klinge imposant, tatsächlich sei man mit Süßwein immer in einer Nische unterwegs. Und es brauche eben viele Nischen, selbst um den weltberühmten Tokajer abzusetzen.

Weltberühmt, hoch bewertet und verschmäht. Süßwein gilt mittlerweile nicht nur unter vielen Weinkennern als antiquiert, er passt auch nicht mehr in die zeitgenössische Spitzengastronomie. In den Spitzenrestaurants in London, Kopenhagen oder New York werden Gäste nach spätestens eineinhalb Stunden höflich, aber bestimmt gebeten, das Lokal zu verlassen. „Der Kaffee wird dann schon an der Bar serviert“, ätzt Heidi Schröck. Keine Zeit für Süßwein? „Wir dürfen Süßwein nicht mehr nur auf Dessert und Käse reduzieren“, sagt die Winzerin. Seit Jahren propagiert sie ihren „Ruster Ausbruch“ auch als vollwertigen Speisenbegleiter. „Süß und scharf ist eine tolle Kombination“, sagt sie. Sie liefert übrigens zu Spätlese, Beerenauslese und Ruster Ausbruch gleich passende Rezepte mit. Auf den Etiketten sind Speisen abgebildet. Hummer, Rippchen, Fisch. Ganz persönlich favorisiert Schröck einfache, pikante Hausmannskost zum süßen Wein: „Krautfleckerl oder Szegediner Gulasch.“

Furmint raw-natural nennt Michael Wenzel eine seiner neuesten Weinkreationen. Furmint im Orange-Wine-Style also. Auf der Maische vergoren, kompromisslos puristisch, trocken. Längst haben Spitzenwinzer wie Wenzel im Furmint den Tausendsassa erkannt. Wenzel baut die Sorte, die viele mit dem Chenin Blanc vergleichen, in den verschiedensten Stufen aus. Vom klassischen, trockenen Furmint bis zum Ruster Ausbruch. Spannende Lagenweine wie Furmint Vogelsang oder Furmint Garten Eden zeigen, was in der Sorte steckt. „Ich bezeichne den Furmint als würzigen Wein“, sagt Wenzel und versucht, den Begriff „Aromasorte“ zu vermeiden. „Furmint respektiert die Speisen“, sagt er. Furmint in allen Variationen ist auch in Tokaj längst gang und gäbe.

Trocken. Istvan Szepsy, einer der renommiertesten Winzer in Tokaj-Hegyalija, baut den Tokajer trocken aus und sorgt damit bei Weinkritikern für Furore. Großartige trockene Weine aus Furmint produziert auch das kleine Weingut von Judit Bott und József Bodó. Das Ehepaar bewirtschaftet in der Teleki-Flur, einer der höchsten Lagen in der Tokajer Weinregion, ein sechs Hektar kleines Weingut. „Wein-Werkstatt“ nennen sie ihr Weingut Bott Pince. Die Weine sind in der Regel binnen kürzester Zeit ausverkauft. Auch auf dem Weingut Patricius wird seit 2005 auf trockene Weine gesetzt. „Diese Weine hat es immer schon gegeben, sie galten früher aber als einfache Weine“, erzählt Arno Wimpffen. Von einfach kann keine Rede mehr sein. Mittlerweile dient der Furmint dem Weingut Patricius auch als Sekt-Grundwein. Versektet wird allerdings im Burgenland. Beim bekannten Golser Sekthersteller Szigeti.

Der Großteil seines Furmint werde im Ausland getrunken, erzählt Michael Wenzel. Vor allem in Skandinavien sei Süßwein gefragt. Zu den wichtigsten Exportmärkten zählt Schweden. Und Österreich? „Es wird wieder“, sagt der Winzer. Die Wiedergeburt des Furmint sei auch einer „jungen, selbstbewussten, dynamischen Sommelier-Szene“ zu verdanken. „Die sucht diese Weine“, weiß Wenzel. Und allmählich findet sich der beinahe verloren gegangene Wein immer öfter auf den Weinkarten heimischer Spitzenrestaurants.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.