Hendrik Haase: Mit der Wurst die Welt erklären

(c) Markus Reuer
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Hendrik Haase alias Wurstsack sieht die Wurst als Kulturgut. Über Fleischhauer, die keine pausbäckigen Dummköpfe sind, Wurstvorhänge und Rockstars mit Koffer.

Ein elementares Ding war das. Es gab sie türmeweise, ich erinnere ich mich genau an den Geruch.“ Hendrik Haase alias Wurstsack hat über die Wurst seiner hessischen Großmutter seine Diplomarbeit geschrieben: über die Ahle Worschd, eine gereifte Rohwurst. „Die Konsistenz ist mehr wie Marzipan, weniger wie Salami. Und man darf sie nicht zu dünn schneiden.“ Die Wurst, die es bei Haases Großmutter gab, war aus Wurstschweinen gemacht, die ein Jahr alt wurden. „So alt wird heute kein Schwein mehr, die sind meist drei bis vier Monate alt, sind eigentlich aufgepumpte Ferkel. Da bekommt kein Metzger ohne Zusatzstoffe eine vernünftige Wurst raus, außer wenn er sie mit vielen Aromen aufpumpt.“ Und schon ist der in Berlin lebende Kommunikationsdesigner und Lebensmittelaktivist Hendrik Haase mitten im Thema: dem Niedergang und Aufschwung des Kulturguts Wurst. „Ich kann dir mit der Wurst die Welt erklären“, sagt er beim Interview in Berlin. Därme sind nämlich nicht nur mit Fleisch, Fett, Salz und Gewürzen gefüllt. Sondern auch mit den großen Themen des Lebens. „Umwelt, Menschenrechte, Landwirtschaft, Politik, Konsum, Kinder, Bildung – das steckt alles in der Wurst.“

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Schlechtes Image. Etwa das Problem des westlichen Fleischkonsums. „Wir essen zu viel Fleisch. Das hat Auswirkungen auf Abwässer – in Deutschland sind 70 Prozent der Abwässer in chemisch bedenklichem Zustand –, auf Tierleid, auf menschliche Arbeitsbedingungen, auf Löhne.“ In Niedersachsen hat Hendrik Haase mit Rumänen gesprochen, denen die Pässe abgenommen wurden, die in Schlachthöfen arbeiten und im Wald in Baumhäusern wohnen. „Die machen am Schwein nur mehr einen Schnitt, die können nichts.“ Und schon sind wir mitten im nächsten Thema, das in der Wurst steckt: dem Niedergang des Handwerks, dem fehlenden Ansehen von Wurst- und Fleischerhandwerk, den Veränderungen der Arbeitswelt. Das schlechte Image der Wurst – im Gegensatz zu Brot, Käse oder Wein – ist für Haase als Kommunikationsprofi natürlich eine Herausforderung. „Im Ausland beneiden sie uns um unsere Würste – Deutschland, das Land der Wurst! Auch Österreich oder Polen sind ja Wurstländer. Aber wir sitzen da und lachen über Metzger. Das geht nicht. Der Metzger ist ja immer der Trottel. Der dicke, pausbäckige Typ, der irgendwas in die Wurst hineintut, was man da drin nicht haben will. Beim Winzer denken wir ja auch nicht an einen trotteligen, saufseligen Typen. Aber jeder Sohn, der Metzger werden will, gilt heute als Versager. Dabei ist das ein schwieriges Handwerk, eines, an dem man wachsen kann, wo es große Herausforderungen gibt – Fleischreifung, Wurstsorten!“ Vor nur 30 Jahren habe es etwa in Frankfurt noch 300 Metzger mehr gegeben als heute. Da sei eklatant etwas weggebrochen, Wissen verödet: „Das Wissen, wie krieg ich das Tier vom Leben in den Tod, das Fleisch vom Tier, von ganz in die Hälfte, von der Hälfte in die Wurst.“

Hendrik Haase ist es nicht nur ein großes Anliegen, das Ansehen der Wurst, sondern auch jenes der Fleischer zu verbessern. Etwa mit Aktionen wie der Wurstgalerie, die er gemeinsam mit der Kitchen Guerilla organisiert hat. „Eigentlich war das ein Dinner Club. Die Amuses bouches konnten sich die Gäste an einem Wurstvorhang pflücken. Wir hatten einen Metzger, der live Bratwurst gemacht hat. Der war an dem Abend genauso wichtig wie der Koch, denn der haut die Wurst nur auf den Grill, der Metzger entscheidet alles davor.“ Auf Kleiderständern waren Würste aus aller Welt aufgehängt – alles mit Fleisch gefüllter Darm, aber in ungeahnter Vielfalt (die Vielfalt: auch so ein Thema, das der Wurst innewohnt). „Da hingen dann auch Dinger herum, wo die Leute sagten, was, das gibts in Deutschland?“ Auch in der hippen Markthalle Neun in Berlin-Kreuzberg hat Haase auf das Thema Wurst aufmerksam gemacht: mit dem Wurst- und Biermarkt. „Wir haben ein 17-seitiges Hygienekonzept geschrieben, um in der Markthalle Wurst machen zu dürfen. Haben neun Metzger auftreten lassen, aus Neuseeland, Italien, Düsseldorf, einen türkischen Metzger aus Hamburg, die wurden gefeiert wie Rockstars.“ Einer sei angereist mit seiner Wurstpumpe im Koffer, „wie ein Gitarrist mit seiner Gitarre“. Alle zwei Stunden war ein neuer an der Reihe, gab es eine neue Wurst. Nachdem die temporäre Manufaktur komplett verglast werden musste, konnte das Publikum per Kopfhörer mit den Fleischhauern reden. „Und nachher wurden die Metzger von Leuten umarmt, die sich bedankt haben für die geile Wurst.“

Königsdisziplin. Zu Recht, meint Haase. „Wurst, das ist nochmal schwieriger als nur Fleisch. Die Kunst besteht in der Gesamtheit. Wo kommt das Fleisch her, wie wird es gehalten, was heißt das für den nötigen Fettgehalt und den Geschmack? Denn was ich vorher nicht habe, muss ich nachher mit diversen Mittelchen ausbügeln.“ Die Königsdisziplin ist für den Wurstaktivisten die gereifte Rohwurst. „Bratwurst ist noch eher leicht, so, fertig, ab damit auf den Grill. Da geht es eher um kreativ oder nicht, das geht mehr Richtung Kochen.“ Aber eine Rohwurst, die hänge monatelang herum, verliere Gewicht, „alles konzentriert sich, die Luftfeuchtigkeit muss stimmen, der Schimmel, der Darm muss der richtige sein etc.“.

Dass es immer mehr Quereinsteiger und junge Leute gibt, die sich verantwortungsvoll der Wurst widmen, etwa Simon, the Sausage Man who never sleeps, oder die Wurstkomponisten, macht Hendrik Haase Hoffnung. Denn, so muss seine Schlussfolgerung sein: Je besser die Wurst, desto besser die Welt.

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