Sommerliche Feldforschung

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Tee, Öl, Stärke – oder Kamille-Fischsud, Sonnenblumen- „Artischocken“, Maishaarpanier: Was Feldränder hergeben, wenn man einen neuen Blick darauf wirft.

Daniel Achilles nimmt den Begriff Randzonenauslotung wörtlich: Die Feldränder ausloten, das, was vielleicht übrig bleibt, liegen bleibt. „Die Sonnenblume einmal ganz anders beleuchten. Nicht nur die Kerne nehmen, die man halt vom Bäcker kennt.“ Der Küchenchef des Zwei-Sterne-Lokals Reinstoff in Berlin-Mitte wirft gern einmal einen anderen Blick auf seine Rohstoffe, denkt auch an Abschnitte, die nicht mitgeliefert werden, lotet neue Möglichkeiten aus. „Da geht die Reise hin“, sagt Achilles über Kulinariktrends: „Produkte oder Abschnitte eines Produkts zu verarbeiten, die kein anderes Lokal hat, weil einfach noch keiner darüber nachgedacht hat.“

Geschmacklich wie Artischocken. Das Stichwort ist also Ganzpflanzennutzung, Root to Stalk, manchmal auch Leaf to Stalk genannt. Bei Daniel Achilles sind es zum Beispiel die Böden von Sonnenblumen, die in einem bemerkenswert monothematischen Dessert zum Einsatz kommen: Aus den Böden wird ein Eis gemacht, dazu kommen unter anderem gegarte Sonnenblumenwurzeln, eingelegte Blütenblätter und das gelbe Pulver aus getrockneten Sonnenblumenblütenblättern. Auf einem Gestell werden dazu dünne gefüllte Cracker serviert – der Teig aus geschroteten Sonnenblumenkernen, das „Nutella“ aus Sonnenblumenkernen und Schokolade.

Zubereitet werden die Sonnenblumenböden im Grunde wie Artischocken, zeigt die Leaf-to-Stalk-Verfechterin Esther Kern auf ihrem Blog waskochen.ch: Man schneidet Blätter und Stängel ab, schält den Boden großzügig, entfernt etwaiges Heu. Die Kerne sollten noch nicht voll ausgebildet sein, man darf also nicht nach den größten Sonnenblumen Ausschau halten. Geschmacklich sind die Böden der Sonnenblumen ebenfalls bei Artischocken einzuordnen – kein Wunder: Die Sonnenblume ist mit dem Topinambur, den man aufgrund seines eindeutigen Aromas auch Jerusalemartischocke nennt und der ebenfalls gelbe sonnenartige Blüten hat, eng verwandt.

Kamille, salzig. Die Sonnenblumenböden sind nur ein Ergebnis eines fiktiven Streifzugs entlang von sommerlichen Feldern. Auch die Kamille, ein typisches Feldrandgewächs, wurde in letzter Zeit immer häufiger in der Küche eingesetzt. Aber nicht, um als Tee aufgeregte Mägen zu besänftigen, sondern etwa, um als Garsud diversen Süßwasserfischen einen duftig-aromatischen Twist zu geben oder in gemahlener Form Erdäpfel oder Frischkäse zu umhüllen. Auch hier wurde also die bekannteste Zubereitungsform, die Infusion vulgo Tee, negiert, um mit dem Potenzial der Pflanze neue Wege zu beschreiten. Der Mais ist eine weitere Feldpflanze, von der neuerdings vermehrt bisher kaum genutzte Teile verwendet werden. Die Blätter der Kolben werden nach dem trendigen mittel- und südamerikanischen Vorbild der Tamales quasi als Einwickelpapier für diverses Gargut verwendet. Das Maishaar indes, in der Steiermark Woaz-boart genannt, kann frisch oder getrocknet verwendet werden. Das frische Maishaar, auf Englisch treffend als silk – Seide –bezeichnet, kann man etwa in Bierteig tauchen und frittieren. Und das getrocknete diente kreativen Köpfen wie Valentino Brienza und Luisa Martini, die hinter dem Landschaftskochbuch „Moos Fisch Rinde Blatt“ stecken, schon dazu, einer Wachtel ein Fell zu verpassen.

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