Es wird ein Naturwein sein

(c) Christine Pichler
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Sie sind Vorhut und Schatzgräber, haben womöglich einen Welpen, aber nur selten einen Kater: Denn ihrer Ware wird
nachgesagt, keinen zu verursachen: Naturweinhändler im Porträt.

Erweckungserlebnisse merkt man sich. Ob sie nun „Himmel auf Erden“, „Sol“ oder „Marguerite“ heißen. Wer das Glück hat, in einem besonders offenen Gemütszustand auf den richtigen Naturwein zu treffen, hat gleichzeitig die Eintrittskarte in eine neue Welt gelöst. Aus der es für manche kein Zurück mehr gibt, für andere nur ein zögerliches, kritisches: Wer einmal mit dem Naturweinvirus infiziert ist, beäugt konventionell hergestellte Weine aus einem anderen Blickwinkel. Und versteht bei so manch robotergezeugt wirkendem Tropfen, was etwa der Naturweinhändler Moritz Herzog mit „eine Schramme in den Gaumen schlagen“ meint.

Herzog war mit seinem Geschäft Weinskandal mit die Vorhut jener Händler, die sich ausschließlich Naturweinen widmen, und das mit einem Portfolio, das ihren eigenen Überzeugungen vom Weinmachen entspricht. Alibi-Orange-Wines etwa, die manche Winzer machen, weil man sie eben jetzt haben sollte, zählen da weniger dazu. Auch Florian Ehn und Dominik Portune verkaufen ausschließlich Weine, die möglichst ohne Eingriff in Weingarten und Keller hergestellt werden. Ehn, seit zwei Jahren im Geschäft, eröffnete im Dezember zusätzlich eine Naturweinbar in Ybbs an der Donau, in der er unter anderem die Erfahrung macht, dass „Leute, die Grünen Veltliner sonst immer nur gespritzt trinken, ihn bei mir das erste Mal pur trinken, weil ihnen meiner so schmeckt“. Dominik Portune hat im Dezember des Vorjahrs sein Geschäft Vinonudo im siebenten Wiener Bezirk aufgesperrt und meint, „es wäre schön, wenn die Weine, die wir verkaufen, irgendwann als normal gelten, und dass nicht wir die sind, die die Freakshow bieten“. Leo Kiem, der nicht ausschließlich, aber zum größten Teil mit Naturweinen aus diversen Ländern handelt, ist seit März mit seinem Shop-in-Shop im Concept Store Marktwirtschaft, ebenfalls im siebenten Bezirk, vertreten und bespielt auch die Weinkarte des dortigen Lokals Die Liebe.

Kam man mit Natural Wines bisher eher in engagierten Restaurants in Kontakt, hierzulande unter anderem bei Konstantin Filippou, im Das Loft, dem Pramerl & The Wolf oder dem Traunkirchner Bootshaus, wird die Schwelle mit den immer mehr werdenden Geschäften in zentraler Lage, die unkompliziert über die Gasse verkaufen, langsam niedriger. Auch Wein & Co hat erkannt, dass eine vernünftige Anzahl von Naturweinen in sein Sortiment gehören, und bietet seit einem Jahr rund 180 Natural Wines an, von gesamt etwa 2500 Weinen. Und man hat auch bei Wein & Co gemerkt: Manche dieser Weine brauchen Vermittlung, wenn sie nicht verpuffen oder falsch verstanden werden sollen. Denn es gibt zwar eine Vielzahl an Natural Wines, die einfach schmecken, ohne dass sie im Speziellen mit dem Label des Nicht-Eingreifens hausieren gehen würden – was für manche in der Branche übrigens auch die Zukunft sein muss: Natural Wine einfach als normalen Wein begreifen und ohne großes Gerede über Andersartigkeit seine Qualität sprechen lassen. Aber es gibt doch Naturweine, die dermaßen anders als konventionelle Weine schmecken, dass sie erklärt werden müssen. Florian Ehn, der unter anderem georgische Amphorenweine importiert, findet seinen Webshop „im Grunde suboptimal für diese Weine“. „Am liebsten hätte ich, dass mich die Leute anrufen und wir zehn Minuten reden, auch wenn sie dann vielleicht nur acht statt zehn Flaschen bestellen.“

Tabula rasa. Die Worte, mit denen Naturweinhändler hantieren, sind oft kraftvoll und bildhaft: Da ist von Scheuklappen ablegen und Tabula rasa die Rede, von Amnesie und Festplatte löschen – man soll sich komplett freimachen von allem Gelerntem, um sich auf Naturweine einzulassen. Vor allem bei Orange Wines muss man alles vergessen, was man in noch so vielen Jahren über Wein gelernt hat. Und sich gleichsam mit dem weintechnisch blanken Gaumen eines Neugeborenen auf das, was da so farblich präsent im Glas wartet, einlassen. Orange Wine, also auf der Maische vergorener Weißwein, hat seine Kritiker: nicht nur wegen des mitunter tatsächlich extremen Geschmacks, der kaum mehr Rebsorten erkennen lässt und extrem viel Tannin aufzeigt. Sondern auch, weil der Begriff Orange Wine oft in einen Topf mit Natural Wines geworfen wird, genau genommen aber nur auf eine Kellertechnik hinweist und nicht auf naturnahe Arbeit. Man könnte die Weinstöcke totspritzen und im Keller Aromahefen und sonstige Mittel einsetzen und dennoch auf der Orange-Wines-Welle mitschwimmen. Das tun freilich die wenigsten; die meisten Winzer, die Orange Wines machen, arbeiten zumindest biologisch, wenn nicht biodynamisch. Auch wenn sie nicht alle artig mit einem Abzeichen am Ärmel aufwarten können. Für den Orange-Wines-Händler Egon Berger, der die unter anderem kroatischen, slowenischen und italienischen Winzer seines Portfolios auch beim Orange Wine Festival versammelt, ist wichtig, dass er weiß, wie die Winzer arbeiten. „Je weiter südlich, desto weniger haben die Winzer Lust auf Zertifikate.“ Die österreichischen Kunden, hat er die Erfahrung gemacht, haben darauf allerdings sehr wohl Lust.

Unikate. Eine weitere Redewendung, die im Zusammenhang mit Naturweinen gern fällt, ist „das Ruder aus der Hand geben“. Letzteres gilt zunächst für die Winzer, die dem Wein die Freiheit geben, sich zu einer Persönlichkeit zu entwickeln – ohne Eingriffe wie Aromahefeeinsatz, Temperatursteuerung, Zitronensäurebeimengung und umstrittene Klärmethoden. „Zufall zulassen, Unikate zulassen“, nennt es Händler Moritz Herzog. „Jeder Naturwein ist ein Kind, das sagt, wie die Beziehung gelaufen ist – zwischen Winzer und Trauben.“ Und auch Leo Kiem meint: „Man schmeckt immer den Winzer, nicht das Terroir.“ Das Ruder aus der Hand geben müssen aber auch jene publikumliebenden Weinkenner, die es von konventionellen Weinen auch dank Aromahefen gewohnt sind, dass sie – zack, zack – sofort Rebsorte und Region erkennen, gratuliere, hundert Punkte. Ein Wein wie der „Sauvignon Blanc Pahlen“ von Eva Pöckl aus Gols etwa tut einem solchen Weintrinker nicht den Gefallen, ihm zu diesem Behufe zu Diensten zu sein: Er schmeckt nämlich unter anderem nach Popcorn – und es zahlt sich aus, sich diesem Wein einfach willenlos auszuliefern, anstatt sich krampfhaft an das Ruder der Kennerschaft zu klammern.

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