Annette Ahrens: „Bitte alles verwenden“

Annette Ahrens
Annette AhrensChristine Pichler
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Annette Ahrens ist Expertin für Tafelkultur. Und für Anekdoten. Über Grätenzäune, Mistgabeln und obszönes Gelee.

Sie ist Löffelspürhund, Teekannenumarmerin und Wackelgeleefilmerin: Annette Ahrens lebt für Tafelkultur aus drei Jahrhunderten; sie jagt, hortet, datiert, verkauft und liebt. Versperrbare Zuckerdosen (die Plachutta-Affäre war im 19. Jahrhundert freilich noch kein Thema) genauso wie Stilton-Schieber oder Melonengabeln samt Klappetui. Ihr Fundus ist nicht nur riesig, was Laden, Schränke und Kellerregale betrifft. Sondern auch viel lebendiger, als man glauben würde. Schließlich zählt auch ein Schatz an Anekdoten zu ihrem Fundus, den man erst einmal übertreffen muss – an Wissen wie an Wortgewalt.

Obst. Eine Melonengabel samt Etui: Die Vielfalt an Spezialbesteck war enorm.
Obst. Eine Melonengabel samt Etui: Die Vielfalt an Spezialbesteck war enorm. (c) Christine Pichler

Wird ein Spürhund der zweisprachigen Gattung Ahrens losgelassen, bringt er von seinen Reisen und Auftragstauchgängen in Archiven und Antiquitätenbunkern nicht bloß Objekte mit. Sondern etwa auch Tisch-Benimmregeln bei Zar Alexander. „Da steht dann, es ist verboten, vor lauter Langeweile aus Fischgräten Zäune am Tellerrand zu bauen.“ Ahrens ist mit Tschechisch als zweiter Muttersprache aufgewachsen, was ihr heute in ganz Osteuropa hilfreich ist.

Beisteck und Besteck. Annette Ahrens lebt dafür, die Tafelkultur wiederzubeleben; sie hält Vorträge, kuratiert Sammlungen wie jene der Porzellanmanufaktur im Augarten, handelt mit Glas, Porzellan und Silber und verleiht Stücke als Requisiten für Kochbuchproduktionen oder Filme wie die „Vermessung der Welt“. Und manchmal muss sie sich dann über Filmfehler ärgern. „Im Barock zum Beispiel hat es auf dem Tisch noch keine Gläser gegeben. Das Glas wurde auf einem kleinen Tablett zum Gast gebracht, der musste es auf ex austrinken.“ Ihre Reisen führen sie nicht nur auf Antiquitätenmessen, sondern auch zu exzentrischen Geleekochkursen in Nordengland mit historischen Gussformen, von denen Ahrens auch Videos mitbringt: „Wie das wackelt! Allein wenn man den Teller hält. Richtig obszön. Mit Agar-Agar geht es übrigens nicht.“

Humor. Rechen und Mistgabel als Sauerkrautbesteck: einer von Ahrens’ Lieblingen.
Humor. Rechen und Mistgabel als Sauerkrautbesteck: einer von Ahrens’ Lieblingen.(c) Christine Pichler

Zu Ahrens’ Aufgaben gehört es auch herauszufinden, wofür das eine oder andere rätselhafte Besteck gedacht gewesen sein könnte. Sie hortet Originalkataloge von Firmen wie Argentor oder Berndorf. „Leider gibt es nicht mehr viele, die waren ja wie frühe Quelle-Kataloge – den aus dem Vorjahr hat man natürlich immer irgendwann weggeworfen“. Ihr größter Wunsch ist ein Katalog der Firma Klinkosch aus Wien, der fehlt ihr noch.

Was sie prinzipiell ärgert: dass Antiquitäten gern in die Musealität abgeschoben werden. „Die Dinge sind ja gemacht worden, damit man sie verwendet. Und Silberbesteck läuft nur dann nicht an, wenn man es oft benützt.“ Sie selbst ist das beste Beispiel dafür: Ihre eigenen Küchenladen sind voll mit Silberbesteck. Dass sich da nicht nur einfach große Gabeln, mittlere Messer und kleine Löffel finden, sondern Mixed-Pickles-Gabeln, Orangenmesser und Staubzuckerlöffel, dürfte nicht überraschen. Ahrens’ Stücke haben durchaus mehr Stil als die Plastikpendants zu solchen Spezialwerkzeugen wie Ananasstrunkentferner und Mozzarellaschneider. Die Spezialisierung von Besteck und Gläsern entstand erst Ende des 19. Jahrhunderts. Davor gab es weder Fischmesser noch Konfektbesteck. „Das Wort Besteck kommt von Beisteck. Man hat bis Mitte des 18. Jahrhunderts immer sein eigenes Besteck mitgehabt, auch aus Angst, vergiftet zu werden.“

Handgepäck. Biedermeier-Reisebesteck, samt Korkenzieher und integriertem Becher.
Handgepäck. Biedermeier-Reisebesteck, samt Korkenzieher und integriertem Becher. (c) Christine Pichler
Fundus. Ahrens bäckt mit antiken Formen.
Fundus. Ahrens bäckt mit antiken Formen.(c) Christine Pichler

Mokkatassen und Espressowelle. Objekte der Tischkultur erzählen viel über eine Gesellschaft, über ländertypische Vorlieben und kulinarische Entwicklungen. Zerbricht etwa eine Tasse aus einem sechsteiligen Teeservice, hat Ahrens dennoch eine Chance, das ganze Set zu verkaufen: „In Japan haben Teeservices immer nur fünf Schalen.“ Jahrzehntelang waren alte Mokkatassen schwer vermittelbar. Man trank dünnen Kaffee aus großen Henkelbechern. Bis die Espressowelle kam. Heute sind Mokkasets genauso gefragt wie einzelne Tassen. „Dafür lassen sich hohe Kaffeekannen nicht mehr verkaufen“, sagt Annette Ahrens. „Niemand kocht mehr eine große Kanne Kaffee, die Leute gehen mit ihrer Tasse zur Maschine.“ Und die aktuelle Filterkaffee-Welle hat altes Porzellan offenbar noch nicht als Fetisch entdeckt – was freilich noch kommen kann. Manche Gattungen, wie das Fischmesser, sind erst in den vergangenen Jahren fast verschwunden, erzählt Ahrens, die in noblen Restaurants auch vehement für den Artenschutz eintritt: „Ich will auch dann ein Fischmesser, wenn mir die Kellner sagen, ,Wir servieren eh nur Filets, Sie brauchen kein Fischmesser‘. Da geht es um Stil.“ Wir essen heute in besseren Restaurants meist mit einem Vorspeisenbesteck, merkt die Tischkulturexpertin zu den derzeit üblichen mittelgroßen Esswerkzeugen an. „Gäste bei mir zuhause sagen immer: ,Schon wieder diese Mistgabeln‘, weil meine so groß sind.“ Eine Mistgabel zählt übrigens zu den Lieblingsobjekten von Annette Ahrens, gemeinsam mit einem silbernen Rechen: als Sauerkrautbesteck.

Tipp

Tafelkultur aus drei Jahrhunderten. Annette Ahrens kuratiert Sammlungen, ist als internationaler Spürhund für Tafelkulturobjekte buchbar, handelt mit Objekten, verleiht Film- oder Kochbuchrequisiten, hält Vorträge und lässt niemanden kalt. annette@ahrens.co.at

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