Die Architektur des Weines

(c) Clemens Fabry
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Großbauprojekte verändern nicht nur die Welt, sondern auch die Weinwelt. Nicht nur zum Vorteil.

Ernst Loosen gilt als einer der besten und bekanntesten Winzer Deutschlands. Erst vor wenigen Wochen präsentierte sich das Weingut auf der Vievinum in der Wiener Hofburg. Spricht man mit dem Rieslingspezialisten an der Mosel über den Wein, dann ist die Welt in Ordnung. „Wehlener Sonnenuhr“, „Graacher Himmelreich“ oder „Bernkasteler Lay“ stehen als Synonyme für Riesling der Extraklasse. Doch sonst ist das Idyll aus dem Weinort Bernkastel in Rheinland-Pfalz gewichen. Seit sechs Jahren wird im angrenzenden Zeitlingen-Rachtig eine Brücke gebaut. Nicht irgendeine Brücke: eine der größten Brücken Europas. „Ein Jahrhundertprojekt“, sagen die Befürworter und Liebhaber der Ingenieurskunst. Sie vergleichen den Bau der 150 Meter hohen und 1,7 Kilometer langen Brücke mit dem St.-Gotthards-Tunnel in der Schweiz. Eine „Jahrhundertkatastrophe“, sagen die Gegner, die seit mehr als 30 Jahren gegen das riesige Projekt ankämpfen. Sie erinnert der Bau eher an den Berliner Flughafen. Viel Geld werde vernichtet, die Landschaft verschandelt. „Das gefährdet die Existenz der Winzer“, sagt Loosen, wann immer in Deutschland über das umstrittene Projekt diskutiert wird, wann auch immer Fernsehteams und Zeitungsleute im Weinland sind. Loosen ist das Gesicht der Brückengegner. Er fürchtet um das Mikroklima, das einen der besten Rieslinge der Welt hervorbringt.

Der sogenannte Hochmoselübergang steht mittlerweile für eine Reihe gigantischer Bauprojekte durch weltberühmte Weinorte. Denn was für die Rieslingwinzer aus Deutschland die vierspurige Autobahnbrücke, ist für die Südweinproduzenten im Sauternes die geplante Errichtung einer Hochgeschwindigkeitsstrecke für die französische Bahn. Mit 300 Stundenkilometer soll der TGV künftig von Bordeaux nach Dax brausen. Die Winzer sind verzweifelt. Haben sich an Präsident François Hollande gewandt. Aber alles war vergebens. Obwohl sich 90 Prozent der Menschen in der Region klar gegen den Bau aussprachen, hält Alain Vidalies, Frankreichs Verkehrsminister, an dem Fünf-Milliarden-Euro-Projekt fest. Heuer sollen die Bagger auffahren.

Veränderung. Die Folgen seien nicht abzuschätzen, sagen Winzer wie Xavier Planty vom Château Guiraud. Denn der berühmteste Süßwein der Welt entsteht dort nur deshalb, weil die Laune der Natur es will. Weil der Fluss Ciron die Feuchtigkeit gibt, die es für die Edelfäule benötigt. Doch genau dieser Fluss soll von der Bahntrasse gleich dreimal überquert werden. Luftzirkulation, Luftfeuchtigkeit: Alles werde sich verändern. Einige Lagen würden total entwertet. Andere Lagen – und das ist die besondere Ironie der Geschichte – würden möglicherweise von der Verbauung profitieren.

Auch in Österreich hat die Eisenbahn das Mikroklima so mancher Weinregion nachhaltig verändert. „Der größte Eingriff fand vermutlich in der Thermenregion durch den Bau der Südbahn statt“, sagt Willi Balanjuk, Wein­erklärer im Magazin „A la Carte“ und einer der renommiertesten Weinexperten des Landes. Zum Teil wurde der Bahndamm meterhoch aufgeschüttet. Den größten Eingriff stellt allerdings der Busserltunnel bei Traiskirchen dar. Die Legende sagt, er sei gebaut worden, um die Weingärten nicht zu beschädigen. Winzer Bernhard Stadlmann hegt so seine Zweifel. „Es war ein Pilotprojekt für die Semmeringbahn.“ Tatsächlich ist der älteste Eisenbahntunnel Österreichs mit seinen 156 Metern so etwas wie eine technische Fleißaufgabe gewesen. Zur Freude der Reisenden. Denn es wurde in dem Tunnel gerade so lange dunkel, dass Zeit für ein Busserl blieb. Der Qualität des Weines, so meint Stadlmann, habe die Südbahn allerdings keinen Abbruch getan. Vielmehr habe die Bahn mehr Kunden in die Region gebracht und zur Belebung der Weinorte beigetragen.

Schicksal. Kunden bringt die Autobahn über die Hochmoselbrücke keine in die Weinorte. Sie sorgt vielmehr dafür, dass die Menschen rascher aus den Benelux-Ländern in die Finanzmetropole Frankfurt gelangen. Für Idylle bleibt keine Zeit. Längst stehen die bis zu 150 Meter hohen Pfeiler, längst ist das Schicksal der Weinregion besiegelt. Und genauso wie die Kollegen in Frankreich sind die Mosel-Winzer Opfer der Finanzkrise. Kein Wunder, dass die Brücke nach Frankfurt führt. Denn die Bauprojekte geistern seit Jahrzehnten in den Köpfen der Verkehrsplaner und Politiker herum. Doch solange die Wirtschaftswelt in Ordnung war, wagte sich keiner an die gigantischen Großprojekte. Ausgerechnet die Finanzkrise veranlasste die Staaten, mit Infrastrukturprojekten die Baubranche anzukurbeln, Arbeitsplätze zu schaffen.

„Der Wachau blieb so ein Schicksal erspart“, weiß Bernhard Stadlmann. Einst kämpfte sein Großvater gegen ein Großprojekt, das für den österreichischen Weinbau unabsehbare Folgen gehabt hätte. Hans Stadlmann war Weinpräsident in den 1980ern. In seiner Ära erhielt Österreich nach dem Weinskandal nicht nur eines der strengsten Weingesetze der Welt, er verhinderte auch den Bau eines Donaukraftwerks in der Wachau. Nach den Plänen der Ingenieure hätte etwa Weißenkirchen hinter einem meterhohen Wall verschwinden sollen. Die Wachau – heute Weltkulturerbe – hätte nicht nur ihre Ästhetik verloren, sondern auch ihr einzigartiges Mikroklima, das unverwechselbare Weine hervorbringt. Winzerlegenden wie Franz Hirtzberger und Josef Jamek kämpften gegen das Kraftwerk. Und haben Weitblick auch außerhalb des Weingartens bewiesen.

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