Die Berge sind in Fahrt

Show. Die Butter wird im Tannenhof in St. Anton erst bei Tisch geschlagen.
Show. Die Butter wird im Tannenhof in St. Anton erst bei Tisch geschlagen.(c) Birgit Koell
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Am Arlberg stauen sich geradezu die Ideen für eine Belebung der alpinen Küche. Über britische Neuzugänge, reiche Erben und Dosenwachteln.

Es gibt mehrere Wege auf den Gipfel. Der eine führt über eine Großmutter, eine Mutter oder vielleicht auch einen Vater, die Riebelmais gekocht, Sauerkrautkrapfen gebacken und Butter geschlagen haben, führt also durch eine Kindheit, in der man das kulinarische Erbe der Alpen von klein auf mitbekommen hat. Andere Wege führen über den Ärmelkanal oder aus dem Schwabenland ins Hochgebirge. Auf den Kochkunstgipfel schaffen es nur wenige. Köche wie der gebürtige Schwabe Thorsten Probost etwa, der in der Griggeler Stuba in Oberlech eine intellektuelle und dennoch sinnliche, handfeste neue Bergküche vorzeigt. Oder der Brite James Baron, der seit Dezember 2015 im Miniluxushotel Tannenhof in St. Anton am Herd steht. Obwohl er nicht ganz neu in den Alpen ist – davor war er Souschef beim besten Schweizer Koch, Andreas Caminada, dessen Restaurant Schloss Schauenstein in Graubünden auch nicht unalpin ist –, kommt Baron sein gleichsam unbefleckter Blick auf alpine Kochtraditionen und hiesige Zutaten zugute. Das Küchenkonzept im Tannenhof soll immer stringenter hochalpin werden, kündigt der Brite an, gleichzeitig möchte er aber nicht unbedingt ganz auf Meeresfisch verzichten, weshalb er sich gewissermaßen einen argumentatorischen Schmäh zugelegt hat, der da lautet: „Die Alpen beginnen ja am Mittelmeer.“

Neuer Blick. James Baron, ­Brite am Arlberg, hat einen neuen Blick auf Alpines.
Neuer Blick. James Baron, ­Brite am Arlberg, hat einen neuen Blick auf Alpines.(c) Birgit Koell

Sauerkrautkrapfen neu. Was für James Baron in St. Anton anfangs die große Herausforderung war: das Knüpfen von Kontakten zu Produzenten. „Aber es geht dann schnell, die Arlberger Sennerei Flirsch zum Beispiel hatte dann gleich wieder Kontakte.“ Angesteckt mit dem hochalpinen Küchenfieber wurde Baron übrigens von einem Sauerkrautkrapfen, mit dem der Tannenhof-Besitzer, Axel Bach, ihn auf einem Kirtag bekanntmachte: „Allein die Geschichte dazu!“ Diese Krapfen wurden schließlich ursprünglich übers Knie gelegt. Um sie zu formen. Und in der Küche des britischen Alpenküchen-Umwandlers Baron wird das Prinzip Sauerkrautkrapfen gleichsam pulverisiert: Seine Version ist ein wundersames, in Sauerkrautstaub gewälztes Flauschknusperding als Gruß aus der Küche. Ein Paradebeispiel für neu gedachte Tradition, die nicht nur einfach die Zutaten in den Pacojet schmeißt und – überspitzt gesagt, aber leider nicht undenkbar – ein Sauerkrautkrapfeneis zum Vorschein bringt, sondern auch die formale Identität eines Krapfens bewahrt.

Auch mit Sig, dem Bregenzerwälder Molkekaramell, hat Baron schon Freundschaft geschlossen, hobelt ihn über Topinambureis und Mokkaespuma. Butter wird im Tannenhof auf einem Wagen am Tisch geschlagen. Baron hat sich dafür in einem Brockenhaus, wie er als mehrjähriger Wahlschweizer noch sagt, eine kleine alte Buttermaschine besorgt. Überrascht hat den Briten vor allem, „wie anders es hier ist als in der Schweiz. Es ist quasi nur ein Berg dazwischen, aber es gibt komplett andere Traditionen!“. Capuns etwa, diese Graubündner Spezialität, kenne hier niemand: in Milchwasser gekochte Wickel aus Lattichblättern, gefüllt mit Spätzleteig und Bündnerfleisch. Anders seien hier oben aber auch Mehl, Eierkochdauer und Zuckerschmelzverhalten: „Man muss alles neu denken.“

Vorbild. Hotelier Joschi Walch hat das Prinzip ­Chef’s Table in die Alpen gebracht.
Vorbild. Hotelier Joschi Walch hat das Prinzip ­Chef’s Table in die Alpen gebracht. (c) Beigestellt

Neu denken, das kann auch Joschi Walch, der das Hotel Rote Wand in Zug bei Lech führt. Er engagiert sich für das Projekt vo:dô, ein Netzwerk für die Region Lech-Zürs zwischen Produzenten und Gastronomen. Walch will langfristig etwa ein Vertriebsnetz für die zig Kleinstsennereien Vorarlbergs aufbauen. Er ist weiters dabei, eine neue, attraktive Ausbildung im Bereich Gastronomie zu konzipieren, „unbedingt mit einem Fermentation Lab“. Walch hatte außerdem die Idee des Alpine Food Lab – Gastköche sollen mit alpinen Zutaten hantieren – und er hat als vielreisender Esser im Vorjahr das Konzept des Chef’s Table in die Alpen gebracht. Vorbilder seien ihm dafür das Atelier de Joël Robuchon in Paris, das Chef’s Table at Brooklyn Fare in New York und das 42 Grams in Chicago gewesen, erzählt er. Das alte Schulhaus von 1780 neben dem Hotel Rote Wand wurde zu einem Minirestaurant umgebaut – gerade einmal 16 Sitzplätze sind um eine Schauküche angeordnet. Es gibt ein vielgängiges Menü mit fixer Getränkebegleitung, bezahlen müssen die Gäste nach international üblicher Manier im Voraus; Walch will sich keine No-Shows leisten. Küchenchef Manuel Grabner, der demnächst gemeinsam mit James Baron aus dem Tannenhof im Rahmen des Genuss Forum Alpen kocht, finalisiert mit seinem Team die Gerichte vor den Gästen. Zuger Saiblingsleber mit Heidelbeeren und Brioche oder Gams mit Birne und Waldstaudekorn werden auf Steinen oder auf maßgeschneiderter Keramik angerichtet. Zur Wachtelbrust, die mit Fichtenzweigen in einer Konservendose gegart wurde und die man mit der Hand essen soll, reicht Grabner eine hausgemachte Fichtennadelhandcreme, „weil die Hand nicht an der Nase vorbeikommt“. Er kommentiert alle Gerichte, zeigt auf seinem Tablet Fotos der prachtvollen weißen Enten von einem lokalen Züchter, deren Fleisch er ganz besonders schätzt – das Konzept des intimen Chef’s Table erlaubt es, auch die hiesigen Produzenten vor den Vorhang zu holen.

Für die Sache. Thorsten Probost ist einer der Kulinarischen Erben der Alpen.
Für die Sache. Thorsten Probost ist einer der Kulinarischen Erben der Alpen.(c) Beigestellt

Alpenschätze. Darum geht es auch bei einem anderen ambitionierten Projekt: den Kulinarischen Erben der Alpen. Die Initiatorin Barbara Klein wurde durch den Alpenschatzsucher und Autor Dominik Flammer – eines seiner Bücher heißt „Das Kulinarische Erbe der Alpen“ – auf die Idee gebracht, eine Plattform für die jahrhundertealten Spezialitäten aus dem Alpenraum zu gründen. Um etwa den schon erwähnten Sig, die Berner Zungenwurst oder den Riebelmais vor der Versenkung zu bewahren. Klein konnte zahlreiche Mitstreiter für die Idee gewinnen, etwa die Köche Andreas Döllerer und Josef Steffner, den Hotelier Sepp Schellhorn, den Bäcker Martin Walch oder die Destilleurin Christine Brugger. Mitte Juli wird bei einem ersten großen Symposium in Lech über den Geschmack der Heimat diskutiert, aber auch über eine mögliche Verklärung des Regionalen, man will anhand von Heusuppe das Potenzial des Begriffs Terroir ausloten und wird über Chancen und Grenzen traditionell erzeugter Lebensmittel diskutieren, die sich keinem Tempodiktat unterordnen wollen. Schließlich soll, so ein langfristiges Ziel der Initiative Die Kulinarischen Erben der Alpen, ein Shop für alpine Produkte geschaffen werden. „Die Dinge überleben nur, wenn sie gekauft werden“, meint Barbara Klein.

Einer der ersten Kulinarischen Erben der Alpen war Thorsten Probost, der Schwabe in Oberlech. Wie wenige andere Köche reflektiert er die Zutaten seines Einzugsgebiets und den Menüaufbau, macht sich über das ideale Alter von Hechten aus der nahen Zucht ebenso differenzierte Gedanken wie über ein Recht auf Sommer für Milchkälber, über Reh-Abschnitte, bittere Alpenkräuter (sein Spezialgebiet) und Baukastensysteme auf dem Tisch. Diese sind für die Gäste in seinen Augen oft gewinn­bringender als fertige Teller ohne Möglichkeiten. So serviert er in der Griggeler Stuba von einem Schwein auf einem vorgewärmten Steinbrett jeweils ein winziges Stück Kotelett, ein Fleischlaberl, ein Stück Geschmortes, ein Stück Kurzgebratenes, das Gemüse dazu extra: „Man entwickelt im Lauf eines Menüs ja einen anderen Gusto.“ Probost ist in den Bergen längst heimisch, ist bestens mit Produzenten vernetzt. Und weiß, wo Schwindel betrieben wird – Stichwort Verklärung des Regionalen – und wo nicht. „Es gibt nicht so viel Sylter Deichlamm, wie auf Sylt auf den Karten steht. Und es gibt nicht so viel Tiroler Vollmilchkalb, wie in Tirol auf den Karten steht.“ Das Echte will eben gesucht und gefunden werden.

Die Recherche erfolgte teilweise auf Einladung.

Fokus Alpen

Die Kulinarischen Erben der Alpen ist eine neue Initiative rund um traditionell erzeugte Lebensmittel mit zahlreichen prominenten Mitstreitern, den Erben. Langfristig soll ein Shop für Produkte aus dem Alpenraum entstehen. Demnächst findet das erste Symposium in Lech statt. diekulinarischenerbenderalpen.com.

Beim Genuss Forum Alpen (7.–10. 7. in Lech) kochen unter anderem James Baron vom Tannenhof in St. Anton (www.hoteltannenhof.net) und Manuel Grabner von der Roten Wand in Lech (www.rotewand.com). Das Dinner findet am 8. 7. im Schualhus statt.

Infos: www.forum-genuss-alpen.at

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