Sag nie Häferlgucker

Gegen schlechte Küche. Rainer Nowak lebte als Kritiker aus, was er aus der Innenpolitik kannte: austeilen.
Gegen schlechte Küche. Rainer Nowak lebte als Kritiker aus, was er aus der Innenpolitik kannte: austeilen.(c) Stefan Gergely für Falstaff Magazin
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Über die Zunft der professionellen Esser: eine kleine Kulturgeschichte der österreichischen Restaurantkritik, die 1971 in der „Presse“ begonnen hat.

Das Urteil war klar: „Die Wirtin schimpft mit einer Serviererin, an der man selbst nichts auszusetzen hatte, und das genügt, um anzudeuten, dass das Service klappt.“ Am 1. April 1971 erschien ein für „Presse“-Abonnenten völlig neuartiges Format. Im Magazin wurde eine neue Kolumne vorgestellt, illustriert war sie mit der Zeichnung eines fetten Schweinchens, das in einem Topf saß und ein Glas Sekt in der Pfote hielt. Ihr Titel lautete „Häferlgucker“, im Untertitel hieß es: „Mit Appetit unterwegs“. Quasi als Beipackzettel wurde am Schluss etwas umständlich erklärt: „Damit wäre der erste Test im Rahmen jener Erkundungsfahrten, die kulinarisch interessierten Lesern fortan allsamstäglich als zuverlässige Orientierungshilfe dienen sollen, beendet oder – um in der Terminologie zu bleiben – abserviert.“ Die kleine Lobeshymne – mit Ausnahme eines höflichen Protests wegen des Fehlens „warmer“ Mehlspeisen auf der Speisekarte – richtete sich an das Gasthaus Roman Nagl im schönen Marchegg. Das Lokal gibt es übrigens noch, nur die Küche ist deutlich bodenständiger als damals. Und warme Mehlspeisen habe ich schon als Kind gehasst. Das ist ein Unterschied einer Restaurantkritik der damaligen Zeit zu einer von heute: Im Jahr 1971 wurden vor allem auch Restaurants beschrieben und gefeiert, die länger als nur ein paar Monate überleben sollten. Gezeichnet war diese erste Kolumne übrigens mit Häferlgucker, die Autoren der Lokalempfehlungen beziehungsweise Tests sollten anonym bleiben. Heute zieren oft Fotos die Kolumnen und Kritiken, die Eitelkeit hat gesiegt – und ich bin/war da keine Ausnahme. Und ja, man bekommt eine Sonderbehandlung, wenn und weil man erkannt wird. Das führt mitunter dazu, dass die Kritiker – egal, was sie sagen – besser bekocht und behandelt werden. Aber es geht zum Glück auch nach hinten los: Erkannt zu werden kostet wertvolle Lebenszeit. Will man nur schnell etwas essen, wird ewig und frisch gekocht. Will man seine Ruhe, erzählen einem Gastronomen und Köche ihre „Konzepte“.

„Wiener Kostprobe“

Aber zurück zur Geschichte der „Presse“: Sechs Jahre später wurde eine neue Restaurant-Kolumne eingeführt, die „Wiener Kostprobe“, die der bis heute bekannteste und wichtigste Restaurantkritiker der „Presse“ übernahm: Hans Bernert. Der vielseitige Schreiber hatte jahrelang als Finanzspezialist bei der Internationalen Atomenergiebehörde gearbeitet, er wurde spät Gourmetschreiber und blieb es bis ins hohe Alter. Von ihm stammt ein schöner Satz: „Man lebt nicht, um zu essen, man lebt, um gut zu essen.“ Um den Mann und seine Liebe zur österreichischen Küche ranken sich zahlreiche „Presse“-Legenden. Damals war Wien kulinarisch einigermaßen überschaubar. Es gab den alles überstrahlenden Rudi Kellner, der im Altwienerhof im 15. Bezirk große Klassik zelebrierte. Es war aber vor allem Werner Matt, der im großen Hilton Anfang der 1970er angetreten war und gleich eine ganze Generation von Köchen prägte. Nach seinem Erfolg mit dem Prinz Eugen rief Matt mit Kollegen wie Niky Kulmer und Rudi Kellner die „Neue Wiener Küche“ aus.

Eine Initiative, die für die Szene neue kulinarische Maßstäbe setzte. Und natürlich war da ein gewisser Heinz Reitbauer sen., immer dicht am Geschehen, dessen Wirtshaus und späteres erstes Restaurant des Landes für viele die schönste Gastronomen-Kantine war. Mit dabei war auch der bis heute wichtigste und bekannteste Restaurantkritiker des Landes: Christoph Wagner. Der Mann mit dem vollen Bart und dem vollen Bauch war und ist der Maßstab der kulinarischen Rezension. Während in der „Presse“ gern Landgasthäuser und Restaurants mit gutbürgerlicher Küche empfohlen und behandelt wurden, schaute Wagner von Anfang an gern über die Grenzen – anfangs naturgemäß nach Frankreich, wo Paul Bocuse die Nouvelle Cuisine erfunden hatte, später gemütlicher ins Friaul und nach Norditalien. Für Christoph Wagner wurde der Begriff Institution quasi erfunden. Das trifft auch auf Peter Breitschopf zu, den grantigsten und wohl gebildetsten Restaurantkritiker, der seiner Zeit ein bisschen voraus war und in der alten „Wochenpresse“ scharf und unerbittlich urteilte.

Land mit der höchsten Guide-Dichte

In der „Presse“ übernahmen später andere die Kritik: Wein-Kenner Wolfgang Dänhard etwa oder Feuilleton- und Musikchef Wilhelm Sinkovicz. Auch Karin Schnegdar – eine Frau! – schrieb ihre erste Kritik/Empfehlung für die „Presse“. Selbst Wien-Chef und danach Herausgeber Thomas Chorherr sprang manchmal ein. So war es dann gar nicht so außergewöhnlich, dass ein Restaurantkritiker Chefredakteur werden durfte. (Michael Häupl meinte übrigens einmal, dass ich mich im Gegensatz zu anderen Themen wenigstens bei den Wirtshäusern halbwegs auskenne. Kollege Florian Holzer („Falter“, „Kurier“) würde das allerdings nicht unterschreiben. Parallel zur Erweckung und zur späteren Erfolgs­geschichte der besseren österreichischen Küche wurde Österreich das Land mit der gefühlt höchsten Guide-Dichte: Michael Reinartz, Hans Schmid, Christian Grünwald, die Hohenlohes und Wolfgang Rosam vergaben und vergeben Hauben, Kronen und Gabeln. Wer für wen testet, will ich lieber nicht wissen.

Und nun zu meiner unrühmlichen Rolle. Ich durfte die Kolumne im „Schaufenster“ übernehmen und dort ausleben, was ich aus der Innenpolitik kannte: austeilen, austeilen, austeilen. Es ging gegen schlechte Küchen, dumme Lokale, wichtige Kollegen, sinnlose Kulinarikmode und gegen mich. Manche Leser liebten es, manche Gastronomen hassten mich. Manche Kollegen verachteten mich, Herbert Hacker etwa, heute „Falstaff“-Chefredakteur, unterstützte mich. (Der Mann war übrigens immer der logische Nachfolger: Er folgte als Kritiker einmal Peter Breitschopf und später Christoph Wagner.) Ich wurde angerempelt, beschimpft, mit Klage bedroht – und was da immer am Teller landete, will ich nicht so genau wissen. Aber ich habe es geliebt.

Scharfe Urteile gegen Copy-and-Paste-Küche

Es war die Zeit der berühmt-berüchtigten Baustellenkritiken: Unter manchen Gastrokritikern begann vor rund zehn Jahren ein Match, wer als Erstes über ein neues Lokal schreibt. Die Ursache, neben dem journalistischen Drang, eine Geschichte als Erster zu haben: Nicht wenigen Foodies war es wichtig, jedes neue Lokal schnell zu verkosten, um beim kulinarischen Talk of Town mitreden zu können. Es wurde etwa ein bekannter Kritiker dabei gesichtet, wie er sich in der halb fertigen, per eilig herbeigeschafftem Stromgenerator betriebenen Küche bekochen ließ, und so erschien die „Kritik“ zeitgleich mit der Eröffnung. Die Distanz zwischen Kritiker und Koch ist aber insgesamt größer und besser geworden: Da wird scharf geurteilt und Copy-and-Paste-Küche gnadenlos so dargestellt. Heinz Reitbauer, der Weise, geht in Restaurants erst Wochen nach der Eröffnung, also bis sich die Küche eingespielt und die Aufregung um das neue Lokal gelegt hat. Und: Ein kundiger Gourmet – heute sagen wir eben Foodie – „muss privat mindestens den Wert eines Kleinwagens verspeist haben und international unterwegs sein“ (Reitbauer). Das klingt nach sinnvollen Regeln für den schönsten Beruf, den man sich vorstellen kann. Den des Restaurantkritikers. Merkt man, dass ich leide? Gut.

Dieser Text erschien im Jubiläumsheft des „Falstaff“ zu dessen 35. Geburtstag.

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