Fleischlos an der Spitze

Spitzenidee: Wilder Brokkoli, Molke, Quinoa.
Spitzenidee: Wilder Brokkoli, Molke, Quinoa.(c) Beigestellt
  • Drucken

Die Herausforderungen einer vegetarischen Haubenküche: Ideen ohne viel tierisches Protein, dafür mit umso mehr Biss.

Gemüse steht bei fast allen heimischen Spitzenköchen hoch im Kurs. Die Bezeichnung Beilage wird in solchen Kreisen schon lang nicht mehr verwendet. Zur Gänze auf Fleisch zu verzichten, trauen sich aber die wenigsten, vegetarische Menüs bleiben auch in den besten Häusern des Landes zumeist nur ein Ersatzprogramm. Ganz anders sieht es im Tian im ersten Wiener Bezirk aus. Dort kocht Paul Ivic nun schon seit fünf Jahren ausschließlich fleischlos – und das auf Dreihaubenniveau. Das ist auch international bemerkenswert und ein Ausrufezeichen in Richtung derjenigen, die dem rein vegetarischen Restaurant zu Beginn kein langes Leben prophezeit hatten. Als Ivic antrat, um zu zeigen, wie eine zeitgemäße vegetarische Küche auf Topniveau aussehen kann, wusste er selbst noch nicht, wohin die Reise gehen wird. „Wenn man auf einen derart wichtigen Geschmacksträger wie Fleisch bewusst verzichtet, muss man kreativ werden. Vor allem, was die Saucen betrifft, ist man als Koch extrem gefordert. Und auch bei den Texturen muss man kreativ sein. Aber vegetarisch zu kochen, bedeutet ja nicht, nur Gemüse zu verwenden. Auch Getreide und Pilze sind wunderbare Produkte“, sagt Paul Ivic.

Jodig. Algensalat mit Kren von Stefan Langmann.
Jodig. Algensalat mit Kren von Stefan Langmann. (c) Beigestellt

Ein paar gut schmeckende vegetarische Gerichte schafft jeder Spitzenkoch. Ein ganzes Menü so zu gestalten, dass es bis zum Schluss spannend und abwechslungsreich bleibt, ist eine ganz andere Herausforderung. Die meisten Stammgäste sind keine Vegetarier, sondern bewusste Genießer, die sich eine feine Gemüseküche – samt spannender Weinbegleitung – wünschen. Erstaunlich viele Küchenchefs waren von Anfang an Stammgäste. Einer der ersten Kollegen, der sich von Ivics Kochkünsten begeistert zeigte, ist Juan Amador. „Zuerst kam ich aus Neugier, dann, weil es mir wirklich gut geschmeckt hat. Ich kenne weltweit kein anderes vegetarisches Restaurant, in dem auf diesem Niveau gekocht wird.“ Der Deutschspanier war einer der Küchenchefs, die Paul Ivic anlässlich des fünfjährigen Tian-Jubiläums an seinen Herd geladen hatte, um sich gemeinsam Gedanken über die Position der vegetarischen Spitzenküche zu machen. Außer Amador sowie den Gastgebern, Ivic und Patissier Thomas Scheiblhofer, waren auch Shootingstar Harald Irka von der Saziani Stub’n, Stefan Langmann von der Vila Joya in Portugal sowie Stefan Heilemann von Zürcher Zweisternerestaurant Ecco in Wien, um das Menü „Tian Evolution“ zu kochen.

Sündig. Schlutzkrapfen mit Trüffel von Juan Amador.
Sündig. Schlutzkrapfen mit Trüffel von Juan Amador.(c) Beigestellt

Geschmack nach Meer, aber ohne Fisch. Juan Amador hat eine luxuriöse Interpretation von Tiroler Schlutzkrapfen beigesteuert – selten hat der Spruch „Trüffel geht immer“ so gut gepasst wie bei diesem Gericht. Etwas schwieriger hat es sich Stefan Langmann gemacht, der in der Vila Joya an der portugiesischen Algarve die rechte Hand von Zweisternekoch Dieter Koschina ist. Er wollte die Geschmäcker des Meeres nach Wien bringen, aber natürlich in diesem Fall ohne Fisch oder Meeresfrüchte. Wie das gehen kann? Mit einem iodigen Algensalat, der mit einer luftigen Reiscreme und einem Kreneis an feine Makirollen erinnert, auch wenn das Gericht ganz anders aussieht. „Derartige Aufgaben reizen mich enorm. Die Interpretation eines Themas sollte ja nicht nur originell sein, sie muss auch gut schmecken“, sagt Stefan Langmann.

Im Tian. Topinambur mit Heu und Zimt.
Im Tian. Topinambur mit Heu und Zimt. (c) Beigestellt

Impulse von Fleischköchen. Mit die größten Herausforderungen der vegetarischen Küche sind die Themen Biss und Textur. Der Schweizer Zweisternekoch Stefan Heilemann zeigte im Tian bei seinem „Körnli“-Gericht, dass sich Gerste nicht nur zum Brotbacken eignet, sondern auch in der vegetarischen Spitzenküche eine wichtige Rolle spielen kann. Wenn man indes Harald Irka von der Saziani Stub’n etwas so Simples wie einen Karfiol hinwirft, kann es schon sein, dass der junge Koch an Safran-Rosinen denkt, dazu einen luftigen Parmesanschaum macht und das Ganze mit Pfefferminze frisch abschmeckt: sicher keine einfache Kreation, geschmacklich aber einfach genial. Gastgeber Paul Ivic, der den Gang „Bulls Blood“, eine Variation von Roten Rüben, beisteuerte, wollte mit dem Jubiläums-Spitzentreffen unter anderem „aufzeigen, wie unterschiedlich die vegetarische Küche sein kann. Gerade von Spitzenköchen, die es gewohnt sind, mit Fleisch und Fisch zu kochen, kommen oft bemerkenswerte Impulse.“

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.