Wiener Gastronomie: Vornehm bis ordinär, Moral bis Sünde

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Das nun wiederbelebte Meißl & Schadn war nur einer der legendären Namen:
eine kleine Kulturgeschichte der Wiener Gastronomie.

Beziehungen muss man haben. Wie zum Beispiel die Wirtin Barbara Roman, die in der Wiener Neustiftgasse 15 im 18. Jahrhundert ein Gasthaus führte. Sie hatte es zuwege gebracht, dass ihr die von der kaiserlichen Hoftafel übrig gebliebenen, eigentlich der Dienerschaft zufallenden Speisen verkauft wurden. In ihrem Lokal Gwölbl gab sie das Restlessen dann zu niedrigen Preisen an ihre Gäste weiter. Das Geschäft blühte, so konnte sie bald die Hälfte des stattlichen barocken Bürgerhauses kaufen. Wegen des guten Essens nannten die Wiener sie „Schmauswaberl“: Waberl ist eine liebkosende Form ihres Vornamens. Nach ihrem Tod wurde der Roman „Maria Theresia und die Schmauswaberl vom Spittelberg“ populär. Auch bei anderen herrschaftlichen Tafeln sorgte das Küchenpersonal dafür, dass große Reste von den Mahlzeiten übrig blieben. Der Trick dabei: Es wurde einfach zu viel gekocht. So etablierten sich nach diesem Vorbild ähnliche Lokale, ein Café Schmauswaberl in der Bäckerstraße etwa, neben dem Schwibbogen in der Nähe des heutigen Engländer. Maria Theresia erlaubte, das übrig gebliebene Gebäck der Hofküche hier billig zu verkaufen, zur Freude der Studenten der nahe gelegenen Universität, die immer aufs Geld schauen mussten.

Begehrt. Anstellen beim „Wilden Mann“. Im Pratergasthaus gab es auch Theater.
Begehrt. Anstellen beim „Wilden Mann“. Im Pratergasthaus gab es auch Theater.(c) Imagno/picturedesk.com

Politik im Restaurant. Mit Anekdoten über Wiener Gaststätten wie diese kann man ganze Bücherregale füllen. Nicht alle haben in der großen Politik eine Rolle gespielt wie das Hotelrestaurant Meißl & Schadn am Neuen Markt 2 im ersten Bezirk. Hier erschoss der Sozialist Friedrich Adler am 21. Oktober 1916 den k.k. Ministerpräsidenten Karl Graf Stürgkh. Das Lokal wurde vor allem von vornehmen Bürgern besucht, die unter sich bleiben und „das saftigste (in Rindsbrühe gekochte) Ochsenbeinfleisch und leckere Mehlspeisen“ konsumieren wollten, wie man bei Karl Kraus in der „Fackel“ liest. Doch ganz so distinguiert war das „Mekka der Wiener Rindfleischesser“ auch wieder nicht, in der „Schwemme“, dem Kellergewölbe, in dem das Bier so reichlich floss wie das Wasser in einer Pferdeschwemme, kamen die Fiaker des nahe gelegenen Standplatzes zusammen.

Auch in der Geschichte der Arbeiterbewegung haben Wiener Gasthöfe eine große Tradition. Mitten in der Revolution von 1848 traf sich im Gasthaus Fürstenhof in der Beatrixgasse 19 in Wien Landstraße der „Erste Allgemeine Arbeiterverein“. Es ging zunächst wenig kämpferisch zu, man hörte sich Vorträge an, lieh sich Bücher aus, tanzte und sang Lieder. Dennoch gibt es von hier eine Linie bis zur Gründung der Sozialdemokratischen Partei, ebenfalls bei einem Wirten, im Leithagasthaus in Neudörfl. Die Wirtshäuser waren eben immer auch soziale Orte, wo es auch mal lärmig-kakofon zugehen konnte, Orte der Zusammenkunft von subversiven Zeitgenossen, die mit der Obrigkeit so ihre Probleme hatten und durch den Alkohol in ihrer Hitzköpfigkeit noch bestärkt wurden.

Vor allem waren Wiens Gaststätten aber Orte der Geselligkeit und des Vergnügens, von vornehm bis ordinär. Die Grenzen waren fließend. Nicht wenige Großbürger und Aristokraten zog es inkognito in die verruchten Lokale in der Vorstadt, hier waren die Sitten lockerer, die Mädchen leicht zu gewinnen. Das schätzte schon die europäische Hocharistokratie beim Wiener Kongress. Wirtshaussäle konnten im Lauf eines Abends ihre Funktion ändern, sie waren Trinklokale, dann Tanzböden und spät am Abend Theatersäle, in denen sich leicht bekleidete Damen zeigten wie in „Schwenders Colosseum“. Im Biedermeier war die Mehlgrube, ein Gasthaus auf dem Mehlmarkt, dem heutigen Neuen Markt, beliebt. Ein Besucher, hin- und hergerissen zwischen Moral und Sünde: „Die Tanzgesellschaft hier besteht aus lauter Freudenmädchen und aus flotten jungen Leuten. Ehrliche Menschen findet man als etwas Rares hier. Ich ging in den Saal und tanzte mit einer solchen Schixe herum und ging.“

Legende. Das Meißl & Schadn am Neuen Markt: nicht nur wegen Mordes berühmt.
Legende. Das Meißl & Schadn am Neuen Markt: nicht nur wegen Mordes berühmt. (c) Imagno/picturedesk.com

Schnellgastronomie. Die typische Wiener Küche mit Wiener Schnitzel, Rindsroulade, Rostbraten entstand im 19. Jahrhundert; am beliebtesten waren Rindsuppe und Rindfleisch, 1896 wurde sogar ein eigener Rindfleischteller entwickelt, mit sechs Abteilungen für die Saucen und Beilagen zusätzlich zum Hauptabteil. Auch die Tendenz, vor dem Lokal ein paar Stühle und Tische aufzustellen, der Weg zum Schanigarten also, entstand bereits um 1880. Damals gab es auch schon eine frühe Form der Schnellgastronomie, die Trakteurs, regelrechte Ausspeisungen, wo man Menüs zu Preisen von 4 ½ Kreuzern bis zu einem Gulden bekam (zur Relation: Ein Gulden war in etwa das Gehalt eines Lehrers pro Tag). Vom Handwerksburschen bis zum Kanzleibeamten traf man zwischen 11 und 15 Uhr hier jedermann. Wenn einer gegessen hatte, stand er auf und machte schon dem nächsten Gast Platz.

Vornehme Durchreisende zeigten sich oft wenig angetan von den Gasthäusern der Haupt- und Residenzstadt. Hier saßen gewöhnliche Leute, die offenbar nur Wert auf große Portionen und niedrige Preise legten. Ein preußischer Hofrat genierte sich, einen Raum zu betreten, in dem Trödler und Hausknechte an primitiven Holztischen saßen. Selbst bessere Gasthöfe ließen im Eingangsbereich, bei der Schank, fast jeden hinein, der mit wenig Geld seinen Hunger stillen wollte, in den Räumen im ersten Stock traf sich dann die bessere Kundschaft. So konnten alle Stände ein und dasselbe Lokal besuchen – wie eben im Meißl & Schadn. Wer die Nase rümpfte, musste lange suchen, bis er ein „ehrbares“ Innenstadtlokal fand. Das Wiener Wirtshaus war eben Allgemeingut.

Tipp

Der Name Meißl & Schadn soll im ­Hotel Grand ­Ferdinand am Ring wiederbelebt werden. Unter ­anderem mit dem ­„Tafelspitzwagen“.

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