Vegetarismus: Wien und seine Spinatbrüder

Akribie. Birgit Pack widmet sich seit einem Jahr intensiv ihren Forschungen.
Akribie. Birgit Pack widmet sich seit einem Jahr intensiv ihren Forschungen.(c) Carolina Frank
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Die Historikerin Birgit Pack forscht zur Geschichte des Vegetarismus in Wien.
Von grünen Gesichtern, alkoholfreien Trinkhallen und bürgerlicher Disziplin.

Die aromatische Rettung traf ausgerechnet in dem Jahr ein, als in Wien der „Vegetarianer-Congreß“ tagte: 1886 kam die Maggi-Würze auf den Markt. „Die Vegetarier waren begeistert davon“, erzählt Birgit Pack. Weitere Meilensteine der Nahrungsmittelindustrie für den frühen Vegetarismus waren Kokosfett, zum Beispiel „Kunerol mit der Schutzmarke“, mit dem man das allseits übliche Schmalz ersetzte, und Sojamehl, das ab den 1920er-Jahren verbreitet war.

Die Historikerin Birgit Pack forscht zur Geschichte des Vegetarismus in Wien. Sie betreibt den Blog „Vegetarisch in Wien um 1900“ – „um das Thema verfügbar zu machen“ – und arbeitet an einem Buch. Finanziell unterstützt wird sie vom Wissenschaftsreferat der Kulturabteilung der Stadt Wien. Pack hat sich auf die Zeit von 1870 bis 1938 eingegrenzt: „1870 wurde, zwei Jahre nachdem die erste einschlägige Zeitschrift erschienen war, der erste Vegetarierverein in Wien gegründet.“ (Er sollte schon nach einem Jahr wieder Geschichte sein.) Der Zweite Weltkrieg bedeutete für viele solcher Vereine das Aus. „Dennoch gab es im Zweiten Weltkrieg eigene Lebensmittelmarken für Vegetarier.“

Lesestoff. Die kleinen Rezepthefte ­richteten sich ausschließlich an Frauen.
Lesestoff. Die kleinen Rezepthefte ­richteten sich ausschließlich an Frauen. (c) Carolina Frank

„Sekte.“ Man hatte es wohl außerhalb der Vereine als „Vegetarianer“ (vom Englischen abgeleitet) nicht leicht: Für Zeitungen waren diese Leute ein gefundenes Fressen, wie auch ein Blick ins „Presse“-Archiv ergibt, sie wurden als humorlose, ausgemergelte Personen karikiert. „Die Presse“ vom 27. September 1886 berichtet anlässlich des Kongresses in Wien von einer „modernen Sekte“, von „Spinatbrüdern“ und „grünlicher Gesichtsfarbe“. Die Gemüseernährung verleihe dem Gemüt „ein salzloses Gepräge“, während das Temperament auf Indifferenz niedergedrückt werde. Und welch peinlicher Umstand, dass ein Leipziger Teilnehmer den Namen Hering trug!

Der Beginn des Vegetarismus in Wien Ende des 19. Jahrhunderts ist, so Birgit Pack, auf gesundheitliche Aspekte zurückzuführen; Kritik an der Massentierhaltung sollte erst ab den 1970ern ausschlaggebend werden. „Viele begannen nach Krankheiten mit der fleischlosen Ernährung. Sehr oft sprach man von ,naturgemäßer Lebensweise‘ und ,reizarmer Kost‘.“ Dazu kam die Abkehr von Völlerei generell, also der Verzicht auf Alkohol, Salz, Zigaretten. „Die meisten Vegetarier kamen aus dem Bürgertum, sahen sich als die Disziplinierteren, im Gegensatz zum Adel mit seinen Ausschweifungen und zum Arbeitervolk.“ Vegetarismus als Distinktionsmerkmal – das überrascht nicht.

Nach Zeitschriften und Vereinsgründungen waren fleischlose Restaurants und – erst fast eine Generation später – Reformhäuser der nächste Schritt in der Infra­strukur der Bewegung. „Die Restaurants haben anfangs auch spezielle Lebensmittel wie Getreideflocken verkauft.“ Ähnlich also wie heute, wo in vielen veganen Lokalen auch diverse Produkte im Regal stehen. Auch die Lastendreiräder, mit denen vegetarische Lebensmittel ausgeliefert wurden, sind heute wieder zu sehen: Jene des vegetarischen Lieferservice „Rita bringt’s“ sehen nicht viel anders aus. Birgit Pack hat weitere Parallelen ausfindig gemacht. Vegane Mode etwa gibt es schon lang: Die „lederlose Vegetariersandale“ wurde neben „inländischen Rohkostmühlen“ in der „Naturheil-Zeitung“ von 1932 beworben. Andere Magazine informierten zeitgleich über Matetee, frisch eingelangten Puffreis oder „kaltgepresste Oele aller Sorten“. Das Angebot von Reformhäusern aus den 1930er-Jahren klingt also ziemlich heutig.

Fleischloses Wiener Schnitzel gab es schon um 1900.
Fleischloses Wiener Schnitzel gab es schon um 1900. (c) Beigestellt

Alkoholfrei. Die fleischlose Lokalszene Wiens, die weniger in Tageszeitungen als in einschlägigen Zeitschriften um Gäste warb, hat ihren Anfang 1877: Damals eröffnete „Ramharters Vegetarisches Restaurant“ in der Florianigasse, später übersiedelte es in die Wallnerstraße, an die Stelle des heutigen Tesla-Geschäfts. Betrieben wurde es von einem Bäckerehepaar, das ursprünglich Grahambrot hergestellt hatte, ein wichtiges Nahrungsmittel der Szene. „Viele vegetarische Lokale waren damals im 6. und 7.  Bezirk zu finden, also so wie heute, ohne dass ich mir erklären kann, warum“, erzählt Birgit Pack. Das Restaurant „Zur Gesundheit“ in der Westbahnstraße trug den verlockenden Untertitel „alkoholfreie Trinkhalle“, das „Hygien.-vegetar. Restaurant Zur Wohlfahrt“ in der Spiegelgasse warb mit rauchfreien Räumen und mäßigen Preisen, und das „Speisehaus Thalisia“ ums Eck vom Café Landtmann servierte Wiener-Schnitzel-Surrogat, Grahamschmarren, Risibisi mit Salat – und Burgunder. „Das Thalisia war das einzige vegetarische Restaurant in der ersten Wiener Phase, das Alkohol ausschenkte.“

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Birgit Pack veröffentlicht ihre Recherchen zur Geschichte des Vegetarismus in Wien auf ihrem Blog: veggie.hypotheses.org

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