Vietnam: Kaiserliche Reisküchlein am Straßenrand

Links: Banh Beo, rechts: Banh Bot Loc
Links: Banh Beo, rechts: Banh Bot LocInstagram (gastrnomyblog, linh_le1995)
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Hue, die alte Kaiserstadt in der Mitte des Landes, besticht durch Romantik, Gelassenheit, alte Tempel – und großartiges Essen.

„Komm, ich zeig dir, wo wir Bun Bo Hue essen gehen“, sagt Mister Top. Ich setze mich hinten auf sein Motorrad, und wir rauschen durch die abendliche Stadt am Parfumfluss. Bun Bo Hue ist die berühmte Nudelsuppe, die nach der alten Kaiserstadt benannt ist: dicke Reisnudeln und Schweinefleisch in einer klaren, würzigen Brühe, dazu stehen auf dem Tischchen Chiliöl, frische Kräuter und Bananenblütensalat bereit. Top, der in Hue geboren wurde und vor acht Jahren damit begann, Gäste auf seinem Motorrad herumzufahren, parkt das Motorrad auf dem Gehsteig. Wir setzen uns am Straßenrand auf kleine rote Plastikstühle, an winzige Tische, unter denen die Knie kaum Platz finden. In der Suppe, die uns serviert wird, schwimmen dunkelbraune Würfel, eine Art Pudding aus geronnenem gekochten Schweineblut. Ich beiße mutig zu und schaue mich dabei um. Ich bin die einzige Ausländerin in diesem Straßenimbiss. „Schmeckt toll. Ohne dich hätte ich diese Ecke wohl kaum gefunden“, sage ich. Top lacht. „Willkommen in Hue!“

Hue ist eine Diva. Die ehemalige Hauptstadt in Zentralvietnam steht zwar in jedem Reiseführer, öffnet sich dem Besucher aber nur zaghaft und ist manchmal etwas anstrengend. Gerade das schätzen manche an der Stadt – oft jene, für die das nahe Hafenstädtchen Hoi An zu überlaufen, zu anbiedernd, zu populär ist. Für viele jedoch ist Hue schon in einem Tag im Schnelldurchlauf abgehakt. Ihnen entgehen Hues wahre verborgene Schätze: das verwunschen-verträumte, atemberaubend schöne Umland mit wundervoll abwechslungsreichen, ursprünglichen Landschaften und hübschen kleinen alten Tempeln und die vielen kulinarischen Besonderheiten der Stadt, die von den meisten Touristen links liegen gelassen werden.

Bun Bo Hue
Bun Bo HuePixabay

Verbotene Purpurne Stadt

Der Tourismus lebt in Hue vor allem von den Bauten aus der Vergangenheit, von denen aber leider nicht viele übrig geblieben sind. Große Teile der Zitadelle wurden im Krieg in Schutt und Asche gelegt und erst viel später in Teilen rekonstruiert. Die Unesco führt Hues Monumente seit 1993 als Welterbe. Hues Hauptattraktion ist das Erbe von Vietnams letzter, der Nguyen-Dynastie (1802–1945): im Stadtzentrum die Zitadelle mit der Kaiserstadt und der Verbotenen Purpurnen Stadt, einige Kilometer außerhalb von Hue befinden sich sechs Kaisergräber, imposante Mausoleen, die meist schon zu Lebzeiten der Kaiser nach deren Vorstellungen errichtet wurden.

Am nächsten Tag geht es mit Top und seinem Motorrad vorbei an Dörfern, saftig grünen Reisfeldern, Bananenplantagen, Flüssen und verborgenen kleinen Tempeln. Unser Ziel ist das Grabmal von Gia Long, dem Gründer der Nguyen-Dynastie, der von 1802 bis 1820 geherrscht hat. Es ist das entlegenste der sechs Kaisergräber, etwa 14 Kilometer von der Stadt entfernt. Wir haben es für uns allein – das Grab des ersten Nguyen-Kaisers, der die Hauptstadt nach Hue verlegt hat, wird weit seltener besucht als jene in Stadtnähe. „Hier siehst du keine Reisebusse wie vor den anderen Gräbern“, sagt Top. „Deshalb komme ich am liebsten hierher. Die Stimmung dieser Landschaft wirkt immer noch wie eh und je.“

Grabstätte mit Tempeln

Gia Long hat sich eine stille, friedliche Landschaft, eine perfekte Kulisse für seine Ruhestätte ausgesucht. Sie liegt in einem Pinienwäldchen zwischen sanften Hügeln an einem kleinen See. Die palastartige Grabstätte besteht aus mehreren Bauten und Tempeln, hinter moosüberwachsenen, gelb leuchtenden Mauern. Ein Wächter öffnet das Tor zum eigentlichen Mausoleum in einem vergleichsweise einfacheren Gebäude, bewacht von Elefanten- und Pferdestatuen und Steinfiguren, die Mandarine darstellen. Hinter den Mauern befinden sich die Sarkophage des Kaisers und seiner Frau. Sie blieben erhalten, während andere Teile der Grabstätte während des Krieges zerstört wurden.

Etwas später an diesem Morgen befinden wir uns im Rachen eines gigantischen Drachens und blicken zwischen seinen Zähnen hindurch über die Wälder. Schwere graue Wolken kriechen langsam am Himmel heran, was diesen Ort noch unheimlicher erscheinen lässt: Der Drachenturm aus Metall und Beton, der fauchend in der Mitte eines Sees sitzt, gehört zu einem alten Wasservergnügungspark. Er wurde nie gänzlich fertig gestellt und seit mehr als zehn Jahren sich selbst überlassen. Langsam erobert sich die Natur diese gescheiterten Überbleibsel des künstlichen Vergnügens zurück. Überwucherte Wasserrutschen, kaputte leere Fischaquarien, eine Art Amphitheater und ein paar seltsame Kunstinstallationen stehen in einer gespenstisch-bizarren Nutzlosigkeit herum.

Wir fahren zurück in die Stadt, die auf einmal sehr modern und lebendig wirkt, als hätten wir uns in eine Zeitmaschine gesetzt. Ich steige auf eines der Fahrräder, die es praktisch in jeder Unterkunft in Hue zu mieten gibt. Bewaffnet mit einigen weiteren von Tops Geheimtipps ziehe ich allein los. Im Stadtzentrum ist der Verkehr ziemlich hektisch, doch schon wenige Minuten außerhalb, gleich nach der Brücke auf der Han-Mac-Tu-Straße am Fluss, wird die Szenerie übergangslos ländlich, Hue ist hier immer noch das, wofür der Ort überall in Vietnam bekannt ist: gemächlich, ruhig und entspannt, manche sagen gar romantisch. Ich steige alle paar Meter vom Fahrrad ab und fotografiere Kupferschmiede und einen kleinen Tempel mit einem farbenprächtigen Drachenmosaik im Abendlicht.

Kulinarisches Wahrzeichen

Der Magen knurrt. Ich bin bereit, mich auf Hues zweite sinnliche Stärke einzulassen: die kaiserliche Küche. Hue gilt nicht umsonst als das kulinarische Zentrum Vietnams. Die Ästhetik und Harmonie der alten Architektur setzt sich im Kleinen bis ins Hier und Heute auch in Hues Kulinarik fort. Und das nicht selten in kleinen Straßenküchen. Man muss sich in Hue der Langsamkeit hingeben, um nicht daran vorbeizufahren.

Rund wie das Symbol des Himmels sind die winzigen weißen, gedämpften Reisküchlein mit Crevetten, die ich eines nach dem anderen in eine mild-würzig-süße Sauce dippe. Dieses Küchlein, Banh Beo, ist fast schon eine Art kulinarisches Wahrzeichen von Hue. Ein anderes, Banh Nam, ein rechteckiges Küchlein wird in Bananenblätter gewickelt. Jede dieser Köstlichkeiten hat ihre eigene, zarte geschmackliche Nuance. Knusprig und goldgelb gebraten sind die Banh Khoai – gefüllte Reismehlcrêpes. Man möchte sich in Hue am liebsten die ganze Nacht hindurchessen.

Die Sonne ist längst untergegangen, als ich mich, satt und zufrieden, mit Top in einem Straßencafé treffe und er für mich das letzte Geheimnis des Tages lüftet: was hinter dem Namen Huda steckt. Huda Beer heißt die lokale Biermarke, eine Kombination von „Hu“ für Hue und „da“ für Dan Mach – Dänemark auf Vietnamesisch. Das Pilsner, das in der Provinz verbreitet ist, wird mit dänischer Technologie gebraut. Wir stoßen an, drehen der Straße den Rücken zu und starren gedankenverloren über den trägen Fluss. Die Seele von Hue hat es nicht eilig. Ich auch nicht.

Hues Geschichte in Kürze

Hue war von 1802 bis 1945 Kaiserstadt. Kaiser Gia Long gründete die Nguyen-Dynastie, verlegte Vietnams Hauptstadt von Hanoi nach Hue und ließ die Zitadelle bauen. 1885 stürmten die Franzosen die Zitadelle. Während der französischen Kolonialzeit residierten die Kaiser weiterhin in Hue – als Marionetten. Kaiser Bao Dai, der letzte von 13 Nguyen-Kaisern, dankte 1945 ab. Bei der Tet-Offensive 1968 nahm der Vietcong Hue ein, kurz darauf schlugen die Amerikaner und Südvietnamesen zurück. Im Zuge dieser erbitterten Kämpfe wurden viele Gebäude zerstört, und Tausende Menschen kamen ums Leben. 1975 räumte der Süden Hue kampflos. Die Gebäude der Kaiserstadt wurden als unerwünschte Zeugen der feudalen Vergangenheit dem Verfall überlassen. Erst in den 1990er-Jahren wurde ernsthaft mit der Restaurierung der Gebäude begonnen, in der Erkenntnis, dass die Zukunft der Stadt im Tourismus liegt.

HUE-TIPPS

Stadtpläne und Auskünfte im neuen Tourist Information Support Center der DMZ-Bar. www.dmztic.com

Café on Thu Wheels: Besitzerin Thu ist eine Attraktion, arrangiert Motorradtouren, 3/34 Nguyen Tri Phuong.

Huetourist: Mr. Hao bietet originelle Touren in die Umgebung an, z.B. zur Tam-Giang-Lagune per Boot, und führt zwei neue, hübsche Homestays. www.huetouristvietnam.com

Hue Adventures: Mr. Top bietet maßgeschneiderte Halbtages- oder mehrtägige Touren per Motorrad/Jeep an. www.hueadventures.com

Cyclo: Fahrradrikscha-Fahrer verlangen oft exorbitante Preise. Pro Stunde/Cyclo nicht mehr als 70.000 đ!

Bun Bo Hue: Hue-Reisnudelsuppe mit Rindfleisch, Wurst, Schweinshaxe, Blutpudding (huyet), frischen Kräutern und Bananenblüten. Auf dem Gehsteig an der 7 Ha Noi und kleinen Restos an der Ly Thuong Kiet.

Banh Hue: Kleine gedämpfte Reismehlfladen, meist mit Fischsauce.

Banh Beo: Winzige weiße Scheiben, belegt mit Crevettenflocken und knusprigen Schweinehautstücken.

Banh Bot Loc: Dumplings aus Maniokmehl, gefüllt mit Crevetten und Schweinefleisch im Bananenblatt.

Banh Nam: Längliche Küchlein mit Crevettenstücken im Bananenblatt. Am Ende der Nguyen Binh Kiem.

Com Hen: Reis mit Flussmuscheln, Sesam, Chili, Erdnüssen, Schwarte, Kräutern, Bananenblüten, oft auch mit Garnelenpaste. Einheimische essen es an der Han Mac Tu am Fluss.

Lac Thien: Urgestein gleich neben der Zitadelle, mit Hue-Spezialitäten. Typisches Straßenlokal seit eh und je, mit Plastikstühlen an Metalltischen. 6 Dinh Thien Hoang.

Les Jardins de la Carambole: In der Zitadelle. Gehobene, stimmungsvolle, vietnamesische und französische Küche. Dang Tran Con. www.lesjardinsdelacarambole.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2017)

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