Roca-Brüder: Drei J für ein Halleluja

Undogmatisch und ziemlich süß durch vierzehn Gänge: Bei den Roca-Brüdern ist vieles erlaubt. Und etwaiges Moos auf dem Teller isst man hier nicht mit.

Joan der Sir, Josep der Flüssige, Jordi der Süße. Ob die Eltern Roca wohl Journalisten dereinst eine Freude machen wollten, indem sie ihren drei Söhnen allesamt Namen mit J verpassten und somit den Grundstein legten für Wortspiele aller Art? Wortspiele, die dieser Tage beliebt sind, schließlich sind die drei J Gesprächsthema: Die Roca-Brüder – Küchenchef, Sommelier, Patissier – und ihr Restaurant El Celler de Can Roca im spanischen Girona wurden im April zur neuen Nummer eins auf der weltweiten Top-50-Liste und lösten somit René Redzepi und das Noma ab.

Emotionen und Erinnerungen.
Roca reimt sich – um nun ein weiteres schönes Wort mit o und a unterzubringen – nicht auf Dogma. Die Küche der Rocas ist keine, die Regeln vorgibt wie „kein Olivenöl“ oder „nur, was innerhalb von 30 km wächst“. Und die Roca-Küche ist somit keine Gebrauchsanleitung und kein Zug, auf den man leicht aufspringen kann, um fortan medial von der Einordenbarkeit zu profitieren, die ein leicht lesbares Siegel wie „Molekularküche“ oder „Nordische Küche“ mit sich bringt. Wenn schon Zug, dann ist die Küche des El Celler de Can Roca eher eine Art Orient-Express, der in einer katalonischen Kleinstadt startet und in einem Tokioter Supermarkt ebenso haltmacht wie bei einer maghrebinischen Großmutter, in der Roca-Kindheit ebenso einen Stopp einlegt wie in einer Parfumerie auf den Champs-Élysées. Zentrale Begriffe für die Rocas sind – und das ist während des Menüs leicht zu verifizieren: Emotionen, Erinnerungen, Tagträume.

RocaBrueder Drei fuer Halleluja
RocaBrueder Drei fuer Halleluja(c) beigestellt

An Märchen aus aller Welt denkt man nicht gleich, wenn man das Lokal gefunden hat – inmitten einer farblosen Wohnsiedlung nahe einem Kreisverkehr, gegenüber auf der Straße warten Mülltonnen auf ihre Entleerung, ab und zu posieren Passanten und Radfahrer vor dem El-Celler-Schriftzug für Fotos. Die Märchenreise kommt einem schon eher in den Sinn, wenn die Küche grüßt: mit zwölf Minigerichten. Die ersten fünf davon, Mexiko, Peru, China, Marokko und Japan genannt, in einem mit der Weltkarte bedruckten dunklen Papierlampion angerichtet, dessen Faltwände am Tisch aufgezogen werden – nur dass da keine Kerze im Inneren wartet, sondern eine andere Erleuchtung.

Wechselspiel.
Der Hang Joan Rocas zur Süße – Bestandteil des Emotionen-Konzepts? – wird schon früh sichtbar, bei den karamellisierten Oliven, die man sich von einem Olivenbonsai pflückt, und einem chinesischen Krapfen mit Pflaumencreme in Miniaturformat.
Im El Celler de Can Roca isst man, anders als anderswo, das Moos übrigens nicht mit. Das schärft einem der Kellner ein, als er artifizielle Minischwammerln auf ebendieses Waldzeug gebettet serviert.
Auf die zwölf Snacks folgen 14 Gänge, dreißig Leute werken in der 200-Quadratmeter-Küche (und dass der 12-Grad-Arbeitsraum ebendort das Nomajünger-Ausgedinge sein könnte, vermag der anwesende Hipsterkoch mit nordisch wärmendem Vollbart nicht überzeugend zu widerlegen).
Die Gänge entpuppen sich als munteres Wechselspiel zwischen forciert süß, jodig, herb, fleischig. Joan Roca betreibt das Spiel mit der Süße bis zum bitteren Ende. Nach einem der zauberhaftesten, weil nicht analytisch zu zerlegenden Gänge, einer Art Suppe aus Hollerblüten, Ingwer, Kirschrot und Räucheraalsilber, auf einem goldenen Tellerchen serviert, kommt die Roca-Version des Eisgerichts Viennetta, ebenfalls mit gerade noch nicht überschwappender Süße: weißer Spargel und schwarzer Trüffel, beide Geschmäcker für ein Kopf-an-Kopf-Rennen üppig dosiert – und auf wundersame Weise schmecken sie gemeinsam nach überreifem Käse. Der Kellner schaut ein bisschen traurig, wenn man gesteht, dass man seine schönen Kindheitserinnerungen an das Unilever-Eis als Vanilleeisverweigerin leider nicht teilen kann. Am traurigsten – oder nennen wir es melancholisch – schaut aber Sommelier Josep, der Mittlere, drein. Vielleicht, weil die Weine, von denen er sich trennen muss, so gut, so spannungsgeladen sind, dass manchmal richtiggehend der Blitz via Glas einfährt.

Löffel und Pinzette. Kaum hat man beschlossen, dass man jetzt des Süßen langsam überdrüssig ist, werden wie bestellt Flanken von gegrillter Sardine gebracht, auf die wiederum ein Salat mit Seeanemone und Seegurke folgt. Aber wieder: ziemlich viel Süße in der Escabeche-Marinade. Es scheint, als trachte Joan Roca mit voller Absicht danach, die Gäste fast zu überreizen, um die Erleichterung angesichts der salzigeren, jodigen Gänge zu vergrößern. Bei manchen Gängen sieht Roca den Löffel vor, andere kommen mit einer Chirurgenpinzette. Ob damit die techno-emotionale Linie, die Landsmann Ferran Adrià etabliert hat, angedeutet werden soll? Selbst nennen die Rocas ihre Linie jedenfalls Freestyle Cooking.

Heiß wird es, als rohe und ziemlich kleine Langusten auf einem Sieb serviert werden: Darunter Steine, auf die Amontillado gegossen wird, es zischt und dampft, die Steine sind offenbar heiß, Deckel über die Langusten, kurz warten. Die Tierchen liegen nun wie samtwächserne Jesuskindlein aus einer Streichholzschachtelkrippe darnieder, dazu isst man eine Bisque mit Haselnuss und Sherry-Karamell. Fleischgänge gibt es nur zwei: Brust und Bries vom Lamm auf einem Miniaturgrill, von den Kellnerworten „lachen Sie nicht in den Gang hinein – die Asche!“ begleitet. Und ein altes katalanisches Gericht: Taubenleber und -brust mit Zwiebeln. „Das Letzte und Beste.“

Letztes stimmt noch nicht, denn nun darf der Jüngste und Patissier Jordi Roca rechtmäßig den Zucker auffahren: etwa beim Dessert Shalimar, einem Nachbau des Guerlain-Parfums aus Cremeklecksen von Gewürztee, Orange und Rose. In einem Küchenkastl versammelt er Flakons: Trésor, Le mâle, Poison. Am Tisch wird jeweils der Originalduft auf Papier zum Vergleich gebracht. Jordi Roca macht es gut.
An den Tischen rundherum sitzen übrigens Spanier. Wie es sich die Rocas wünschen, weshalb sie die Menüpreise so niedrig halten. Und, seltsam: Man isst statt zu fotografieren. 

TIPP

El Celler de Can Roca. Man hat die Wahl zwischen zwei Menüs, einem großen (165 Euro) und dem klassischen mit weniger Gängen (135 Euro). Die Kleinstadt Girona liegt eine Autostunde nordöstlich von Barcelona. El Celler de Can Roca, Can Sunyer 48, 17007 Girona. Den Eissalon Rocambolesc, ein Projekt von Patissier Jordi Roca, findet man ebenfalls in Girona, Santa Clara 50. www.cellercanroca.com

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Gourmet

Andoni Luis Aduriz: „Ekel ist wichtig“

Er lässt Linguisten Gästefeedbacks kategorisieren und wehrt sich gegen das Primat des Geschmacks: Andoni Luis Aduriz im Mugaritz bei San Sebastián.
Gourmet

Kaviar und Austern vom Grill im Etxebarri

Victor Arguinzoniz spielt mit dem Feuer: Im Asador Etxebarri im Baskenland kommt alles vom Grill. Auch Austern, Milch und Kaviar.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.