Alex Atala: Das Dschungelbuch

Knackig. Atala arbeitet unter anderem mit Palmenherzen.
Knackig. Atala arbeitet unter anderem mit Palmenherzen.(c) Beigestellt
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Brasilien ist Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse. Alex Atala, der auch nicht vor Ameisen als Würze zurückschreckt, präsentiert dort sein Kochbuch.

Zum Nachkochen sind die Kochbücher von berühmten Köchen in der Regel nicht geeignet. Das gilt auch auch für das Werk des Brasilianers Alex Atala. Auf der Frankfurter Buchmesse, bei der Brasilien heuer Gastland ist, wird es auf Deutsch präsentiert. Das Buch ist vor allem eine detaillierte Dokumentation dessen, was in Atalas Restaurant D.O.M. hinter den Kulissen geschieht. Atala geht es in seiner Rolle als prominentester Koch Brasiliens mit seinem Buch vor allem darum, die vergessenen oder vielfach noch gar nicht entdeckten Geschmäcker seiner Heimat in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken. Er will andere brasilianische Köche ermuntern, sich auch mit dem schier unendlichen kulinarischen Reichtum des eigenen Landes intensiver auseinanderzusetzen.

Kein Dogmatiker.
Alex Atala ist ein weltoffener Koch, der einige Jahre in Europa verbracht und in Toprestaurants in Belgien, Frankreich und Italien kochen gelernt hat. Ihm geht es nicht darum, irgendeine rückwärtsgerichtete „Nationalküche“ Brasiliens wiederzuentdecken. Atala ist auch alles andere als ein Dogmatiker: Er frittiert zwar gern Speisen in Dendé-Öl, wie es in Bahia üblich ist, gänzlich verzichten will er auf (importiertes) Olivenöl jedoch nicht. „Handel ist ja prinzipiell nichts Schlechtes. Nur exportiert Brasilien derzeit vor allem landwirtschaftliche Produkte aus Massentierhaltung und Monokulturen, was dazu beiträgt, dass unser Regenwald weiter schrumpft. Würden wir stattdessen Früchte und Gewürze, die von Kooperativen im Amazonas in nachhaltiger Landwirtschaft kultiviert werden, exportieren, wäre viel gewonnen“, sagt Atala.

Zuerst einmal will er jedoch das kulinarische Angebot in Brasilien selbst verändern: „Mir geht es nicht darum, seltene Gewürze aus dem Amazonas nach São Paolo zu bringen, damit ich etwas Exklusives für mein Restaurant habe. Ich will das Angebot auf den Märkten verändern. Und dafür können wir Köche gemeinsam mit den Medien eine wichtige Rolle spielen.“ So ist zum Beispiel die Mangaritoknolle, die früher allgegenwärtig war, von den Märkten Brasiliens weitgehend verschwunden, obwohl sie ein einzigartiges Aroma hat. „Wenn wir Köche wieder vermehrt damit kochen, wird auch das Angebot wieder steigen“, erklärt Atala.

Ein anderes Beispiel für eine geringgeschätzte Spezialität ist eine Meeresschnecke, auf die Atala von seinem Fischhändler aufmerksam gemacht wurde. Sie wurde als scheinbar minderwertiger Beifang beim Garnelenfischen bisher einfach weggeworfen. Heute hat sie – gemeinsam mit Wakame und Mandarinenschaum serviert – einen festen Platz auf der Speisekarte von Atalas Restaurant D.O.M.

Berühmt wurde Atala aber vor allem damit, dass er sich als Erster für das kulinarische Potential des Amazonas interessierte. Doch wie darf man sich eine Entdeckungsreise Atalas in den Amazonas vorstellen? Geht er tagelang durch menschenleere Wälder und probiert Früchte und seltsame Wurzeln? Atala muss bei dieser Vorstellung lachen. „Der Amazonas ist der größte Schatz, den wir in Brasilien haben. Wenn wir ihn bewahren wollen, müssen wir Wege finden, ihn nachhaltig zu nutzen, und zwar gemeinsam mit den Leuten vor Ort. Zu versuchen, ihn unter einen Glassturz zu stellen und jegliche Nutzung zu verbieten, wäre nur eine neue Form der Apartheit und würde auch nicht funktionieren“, meint er.

Geschmack des Dschungels. Die wirklich inte-
ressanten Dinge findet der Koch auf den lokalen Märkten. Es sind nicht nur Pflanzen, die den Geschmack des Dschungels ausmachen. Auf einem Markt in São Miguel das Cachoeiras im äußersten Norden Brasiliens kostete er ein intensiv schmeckendes Fladengericht. Auf die Frage, womit es gewürzt sei, antwortete ihm eine alte Indianerin: mit Ameisen. Diese verwendet Atala nun geröstet und zu einem Pulver vermahlen, um ein Ananasdessert zu verfeinern.

Noch wichtiger als geschmacksintensive Ameisen ist für Atala die Wurzel des Priprioca-Grases: „Priprioca ist so vielseitig wie Vanille, verfügt aber über eine ganz andere aromatische Nuancierung, leicht erdig mit Holznoten, die sinnliche Eindrücke liefern. Priprioca-Essenz kann pikanten wie süßen Speisen beigefügt werden und ist eines der spannendsten Gewürze überhaupt.“ Nach Anlaufschwierigkeiten ist es Atala gelungen, die Kultivierung von Priprioca zum sozialen und wirtschaftlichen Vorteil für die Einwohner der Amazonasregion zu etablieren.

Ein anderer kulinarischer Schatz, den bisher kein Spitzenkoch verwendet hat, wächst praktisch vor seiner Haustür. So findet man in jedem zweiten Hinterhof sowie in den öffentlichen Parks von São Paolo Pitanga-Bäume, die wohlschmeckende, leicht säuerliche Früchte tragen. Aus dem Norden Brasiliens stammt der Kakaovorfahre Cupuaçu. Diese harte Frucht mit dicker Schale sieht etwas merkwürdig aus, ihr Fruchtfleisch wird für die Zubereitung von Marmelade verwendet. Wie bei der Kakaopflanze kann man auch Cupuaçu-Samen fermentieren und rösten und zu einem Getränk verarbeiten, das irgendwo zwischen Kaffee und Schokolade liegt. Atala macht aus dem Fruchtfleisch ein Sorbet, das er zu einer mit Whisky beträufelten Auster serviert.

Sozial engagiert.
Alex Atala sieht sich als selbstbewussten Bürger, der aktiv zum Gemeinwohl beitragen will. Auch engagiert er sich für Sozialprojekte und zahlt, wie er ausdrücklich betont, sehr gern Steuern. Wieso betreibt ein gesellschaftskritischer und sozial engagierter Mensch dann ausgerechnet ein Luxusrestaurant, in dem ein Abendessen für zwei Personen mehr kostet, als ein einfacher Arbeiter in einem ganzen Monat verdient? „Zum einen will ich als Koch Grenzen ausloten und experimentieren, und dafür brauche ich ein entsprechendes Publikum, das ich nur mit internationaler Aufmerksamkeit bekomme. Würden wir versuchen, das vielseitige Aromenspektrum Brasiliens in einem normalen Restaurant aufzuzeigen, würde das kaum jemanden interessieren und es wäre auch nicht zu finanzieren.“

2008 eröffnete Atala ein paar Meter neben dem D.O.M. das Restaurant Dalva e Dito, wo er typische Gerichte der traditionellen brasilianischen Küche in moderner Interpretation auffahren lässt. Es ist wesentlich legerer und günstiger und für ausländische Besucher vielleicht sogar das interessantere Restaurant, wenn es darum geht, dem Geschmack Brasiliens auf den Grund zu gehen.

Tipp

Brasilien. Alex Atala: „D.O.M. Die neue brasilianische Küche“. Phaidon/Edel, 51,40 Euro.
Infos über das Brasilien-Programm der Frankfurter Buchmesse: buchmesse.de/de/ehrengast

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