Christian Jürgens: Ausmisten statt Salto rückwärts

Schlicht. Die Fotos stammen aus  dem Buch „Christian Jürgens. Das Kochbuch“, erschienen bei  Collection Rolf Heyne.
Schlicht. Die Fotos stammen aus dem Buch „Christian Jürgens. Das Kochbuch“, erschienen bei Collection Rolf Heyne.(c) Beigestellt
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Stilveränderungen in der Küche: Christian Jürgens über Zäsuren, Verzicht und die Notwendigkeit von Kaviar.

Christian Jürgens
Christian Jürgens(c) Beigestellt

Eineinhalb Autostunden von Salzburg entfernt, ist er jener Dreisternekoch, der Österreich am nächsten ist. Christian
Jürgens bekam im November des Vorjahres die bei Köchen wohl begehrteste Auszeichnung, seinen Erfolg führt der 45-Jährige nicht zuletzt auf stilistische Reduktion zurück.
Christian Jürgens ist keiner, der einen völlig neuen Stil geprägt hat — das muss auch nicht jeder Koch. Dennoch hat er innerhalb seiner eigenen Zeichensprache eine eindeutige Entwicklung gemacht, die exemplarisch für die meisten Köche steht: in Richtung Reduktion. Das „Schaufenster“ sprach anlässlich des Designschwerpunkts mit ihm über Stilistik, die Semantik von Luxuslebensmitteln und die Lust an der Variation.

Essenz.
Wie hat sich sein Kochstil im Lauf der Zeit verändert? Eine sehr allgemein gehaltene Frage, die der Deutsche dennoch klar zu beantworten weiß: „Ich würde nicht sagen, dass meine Küche simpler geworden ist. Verzicht – das ist das richtige Wort. Je länger ich das alles mache, umso mehr weiß ich, worauf es bei einem guten Gericht ankommt.“ Es gibt bei ihm aber kein Universalrezept, er ist keiner, der sagt, Fett oder Zucker als Geschmacksträger oder ein Säureelement – das muss einfach immer sein. „Man muss wissen können, was man wegstreicht. Was ist die Essenz, die ich auf den Teller bringen will? Manchmal traut man sich nicht, etwas wegzulassen, aber deswegen, weil man von dem, was man tut, insgeheim nicht komplett überzeugt ist.“ Bei Christian Jürgens – und nicht nur bei ihm – führt das Älterwerden zu immer kompakteren Gerichten. „Wenn ich mir mein erstes Kochbuch anschaue, sehe ich, dass ich damals sehr viele Sachen gemacht habe, die Variationen sind. Eine Variation vom Lachs, Variation von der Gänseleber.“ Vier oder fünf verschiedene Kleinigkeiten seien das pro Gang gewesen, „jede für sich bestimmt sehr gut. Aber wenn dann die Gäste nachher gefragt werden: ,Na, was hast du denn gegessen?‘, sind sie nur imstande zu sagen: ,Hm, da hab ich Lachs gegessen, auf verschiedene Arten, aber mehr weiß ich nicht.‘“ Bei Jürgens war die Veränderung in Richtung des zentralen Elements auf dem Teller mit einer räumlichen Zäsur verbunden: dem Wechsel ins Restaurant Überfahrt am Tegernsee vor fünf Jahren. „Ich habe die Chance genutzt, meinen Stil zu verändern. Ich traue mich jetzt, ein Ding auf den Teller zu geben, das dem Betrachter aber dermaßen gut gefallen muss, dass der sagt: ,Wow, was ist hier los?“ Das sei die größere Herausforderung, als viele Kleinigkeiten zu machen, die einzeln toll gearbeitet sind, aber nicht zur Geltung kommen. Viele Kleinigkeiten auf dem Teller, das sei typisch für junge Köche, wobei Jürgens sich da gar nicht ausnimmt. „Ich war auch einmal so.“

Neues Spielzeug. Junge Köche kochen auch plakativ technisch, meint er, nützen nicht die Technik, um Ideen zu zeigen, sondern präsentieren die Technik selbst als Idee. „Man ist so stolz darauf, dass man den Salto rückwärts springen kann, dass man den bei jeder Gelegenheit zeigen will. Dann stehst du morgens auf und sagst zu deiner Freundin: ,Schau mal, was ich kann, tataaa!“ und machst den Salto rückwärts. Dann gehst du zum Bäcker, sagst: ,Grüß Gott, drei Semmeln bitte, und wenn ich mich vorstellen dürfte‘ – und machst einen Salto rückwärts.“ Wenn man ein neues Spielzeug bekomme, nütze man das eben gern. Es habe eine Zeit gegeben, in der plötzlich alles getrocknet wurde, alles frittiert, alles zu Chips gemacht, „und ich war überall vorn dabei. Ich habe ganze Wirsingköpfe frittiert – wem das genützt hat, weiß ich nicht.“

Der dritte „Michelin“-Stern bedeutet für ihn noch mehr Selbstkritik. „Ich frage mich öfter: Versteht man das Gericht? Ich möchte ja nicht erklären müssen, das soll jetzt so und so schmecken, weil ich mir das und das dabei gedacht habe. Gute Küche darf nicht zu kompliziert sein.“ Letzterer Satz könnte aus dem Mund vieler nicht mehr ganz junger Köche kommen. Auch das Verhältnis von Christian Jürgens zu Luxusprodukten zeigt, dass er kein Neueinsteiger ist. „Die muss ic

h haben. Trüffeln unbedingt. Und den Kaviar möchte ich wieder salonfähig machen.“ Sogenannte klassische Luxusprodukte sind bei manchen jungen Köchen verpönt – als Ausdruck des Establishments, oder weil sie zeigen wollen, was sie draufhaben, anstatt einer puren Delikatesse den Ruhm zu überlassen. Jürgens aber glaubt, dass Trüffeln oder Kaviar schlicht zu einem Restaurant in einer gewissen Kategorie gehören. „Ich habe immer gesagt, die Gäste kommen ja zu mir, um so etwas zu erleben, dafür sind Restaurants allgemein da. Natürlich können Sie zuhause Kaviar essen, Dose auf, Löffel rein. Aber da geht noch mehr: Rote Rüben in perfekter Konsistenz drunter, Crème fraîche, perfekt abgeschmeckt, dazu. Das ist meine Profession.“

Alle Fotos stammen aus dem Buch „Christian Jürgens. Das Kochbuch“, erschienen bei Collection Rolf Heyne. / Bild: (c) Beigestellt

Tipp

Fine Dining. Christian Jürgens kochte kürzlich in Wien, um die Nespresso Gourmet Weeks (17. 3.–13. 4.) zu bewerben. gourmetweeks.at

Alle Fotos stammen aus dem Buch „Christian Jürgens. Das Kochbuch“, erschienen bei Collection Rolf Heyne.

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