Andrea Petrini: Ein Mann und seine Kochlotterie

Vernetzt. Andrea Petrini lässt ­Spitzenköche ­weltweit rotieren.
Vernetzt. Andrea Petrini lässt ­Spitzenköche ­weltweit rotieren.(c) Beigestellt
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Gastronetzwerker Andrea Petrini bittet zum Gelinaz Shuffle: Köcheaustausch – aber was für einer!

"Entschuldigung, kannst du das wiederholen?" Das war die Antwort, als Andrea Petrini seinen Mitstreitern von Gelinaz mit einer Weltkarte in der Hand vorschlug, Köche kreuz und quer über die Kontinente fliegen und sie alle zur selben Zeit in einem fremden Restaurant kochen zu lassen. Angesichts der Ideen, die Andrea Petrini und die Köche von Gelinaz, einer hochkarätigen und lange Zeit eher privaten internationalen Köchevereinigung, schon hatten – und auch realisiert hatten –, hätte die Reaktion nicht gar so überrascht ausfallen müssen.

Das erste „The Grand Gelinaz! Shuffle“, so der Name des Köcheaustauschs, wurde 2015 ausgerichtet: Am 9. Juli fanden sich etwa Alain Ducasse, Albert Adria oder Kobe Desramaults in Küchen ein, die ihnen per Los zugeteilt wurden und die sie wenige Tage zuvor das erste Mal inspiziert hatten. Währenddessen stand der Tauschkoch am heimatlichen Herd, um dort Gäste zu bekochen, die vor dem Dinner nicht wussten, was – beziehungsweise wer – sie erwarten würde. Ducasse hatte also das noble Plaza Athénée in Paris verlassen, um im Lido 84 am Gardasee zu kochen. „Und es war nicht so, dass Ducasse fünf Kilo Kaviar anschleppte“, präzisiert Petrini die Idee des Gelinaz Shuffle: Die Köche sollen möglichst ohne Werkzeuge und Zutaten anreisen, sich in die Küche und das Team des Zielrestaurants einfügen, wenn möglich bei der Familie des Kochs wohnen und, wenn nötig, mit dem Hund Gassi gehen. Die eigene Kochidentität sollte nicht völlig aufgegeben werden – aber von der Idee (oder vielmehr Nichtidee) einer schieren Exportküche, wie man sie von anderen Austauschprogrammen kennt, ist man bei Gelinaz Shuffle weit entfernt: „Es ist einfach ein weiterer Tag im Leben eines Restaurants, nur, dass jemand anderer kocht.“

Heuer wird es der 10.  November sein, für den man in 40 Restaurants in 17 Ländern Tickets kaufen kann (die fast ausverkauft sind). Man zahlt den Menüpreis, den das Restaurant festsetzt. „Das reicht heuer von 70 Euro im Black Axe Mangal in London bis zu 495 Dollar im The Restaurant at Meadowood in Napa Valley“, sagt Petrini. Gleichzeitig wird in Brüssel ein Hauptquartier mit weiteren Köchen aufgeschlagen, hier kocht mit Philip Rachinger auch ein Österreicher.

Anekdoten. Andrea Petrini, in Frankreich lebender Italiener mit einem Faible für außergewöhnliche Hemden, ist einer der einflussreichsten Gastronetzwerker weltweit und einer der Köpfe hinter der Cook-It-Raw-Bewegung, die Köche wie René Redzepi in den Wäldern Polens oder Japans auf Ideenpirsch gehen ließ. Petrini startete Gelinaz 2005 gemeinsam mit Köchen wie Fulvio Pierangelini, Petter Nilsson, René Redzepi oder Andoni Luis Aduriz; man begann mit kleinen Gigs, die die Idee des Remix zum Programm hatten, kochte gemeinsam auf Bühnen, in Privathaushalten, im Noma: „Ein Gericht, das von allen abgewandelt wird. Wie eben ein Remix in der Musik. Wie oft kann man dasselbe Gericht essen, ohne dass es langweilig wird?“ In Gent wurde diese Idee 2013 in großem Stil aufgeführt, 24 Köche und eine Köchin, Agata Felluga vom Le Chateaubriand in Paris, zeigten ihre Variationen einer Terrine aus Gemüse und Schweinsfüßen. Und alle mussten einen Künstler, eine Künstlerin mitbringen. „Magnus Nilsson vom Fäviken kam mit einem Violinisten, der einen Song von Iron Maiden spielte“, erinnert sich Petrini.

Nach Gent war Lima an der Reihe, wo ein Oktopusgericht von Gastón Acurio variiert werden sollte – quasi eine „pulpo fiction“. „Die Veranstaltung war ein großer Spaß, aber wir hatten das Ganze nicht unter Kontrolle. Die Peruaner hätten erst zur Afterparty Pisco Sour servieren sollen, füllten aber alle Gäste schon vor dem eigentlichen Menü damit ab. Leute hatten Sex auf der Toilette. Massimo Bottura servierte seine Version des Oktopus um vier Uhr früh. Na ja, aber es war ein großer Erfolg!“

Als Nächstes wollte das Gelinaz-Team New York unsicher machen. „Aber“, sagt Andrea Petrini, „da waren doch einige Unsicherheitsfaktoren. Wir hatten kein Geld, wollten es aber trotzdem so gut wie möglich machen. Sollen wir es nur für private Gäste machen? Dann hätten wir einen Sponsor gebraucht. Aber hatten wir Lust, vor riesigen Electrolux-Werbebannern zu sitzen? Nein. Schlussendlich zahlten alle Köche ihren Flug selbst, wir mieteten ein Haus.“ Der New-York-Gig war gleichzeitig ein Überraschungsfest für Wylie Dufresne vom WD~50, der das zehnjährige Bestehen seines Restaurants beging. In Zweierteams arbeiteten die Köche an Remixes seiner Gerichte. „Er wusste von nichts, seine Frau und sein Vater waren eingeweiht.

Praktischerweise war Wylie der vielleicht einzige Koch auf dem Planeten ohne Social-Media-Ambitionen. Jeder in New York wusste, da war etwas im Busch – er nicht.“ Die Köche wohnten alle in einem Haus in Brooklyn, teilten sich Zimmer, schälten Langustinen. Und hatten die strenge Order, in New York nicht aufzufallen: „28 internationale Kochstars! In New York! Nicht auffallen!“ Es hat etwas Slapstickhaftes, wenn Petrini von diesem Versteckspiel erzählt. Alex Atala etwa, der brasilianische Kochstar, habe sich gleich auf Instagram wiedergefunden, „so lief es eben“. Die Überraschung sei gelungen, „wir lockten Wylie unter dem Vorwand ins Lokal, es habe einen Stromausfall gegeben, alle Lebensmittel würden verderben“. Aber das Beste an der Aktion, meint Andrea Petrini, sei die Verschworenheit unter den Köchen gewesen, das Moment der Überraschung. Das auch am 10.   November zentral ist, wenn es für die Gäste des Gelinaz Shuffle heißt: Wer kocht heute für mich?

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