Gelinaz!: Rehbock im Remix

Explosiv. Chinesische Aromen treffen auf Kernöl: eine wilde, freie Rehbock-Version.
Explosiv. Chinesische Aromen treffen auf Kernöl: eine wilde, freie Rehbock-Version.(c) Tom Mesic
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Eng am Original oder sehr frei: Die internationale Kochavantgarde versuchte sich beim Gelinaz! an der Variation dreier Signature-Dishes aus dem Mühltalhof.

Manche nahmen es bei der Recherche sehr genau: „Ist ein Erdäpfelgulasch eher als Suppe oder als Eintopf zu verstehen?“, fragte die Thailänderin Bo Songvisava vom Bo.Lan in Bangkok. Das Erdäpfelgulasch war eines der so genannten „Matrix-Gerichte“, die von 23 Gastköchinnen und -köchen jüngst beim Gelinaz! im oberösterreichischen Mühltalhof variiert wurden. Gelinaz! – das ist eine Art kulinarischer Thinktank oder auch "eine Band" von Avantgardeköchen, gegründet von Andrea Petrini und Alexandra Swenden. Für die weltweit stattfindenden Events, für deren Abschlussdinner es dann auch Tickets zu kaufen gibt, wurde das Remix-Prinzip als Arbeitsmodus auserkoren. „Wie in der Musik“, erklärt Petrini, Journalist und der vielleicht umtriebigste und einflussreichste Gastronetzwerker überhaupt. „Man isst also an sich immer dasselbe Gericht – aber stets in einer anderen Version.“ Und die kann, wie sich beim Gelinaz! wieder herausgestellt hat, vom Original ziemlich weit entfernt sein.

Holz. Ebenfalls Thema „Schindelfisch“: eine Essenz aus Fisch, Holz und Pilzen, geschöpft aus dem Lärchenholzstamm.
Holz. Ebenfalls Thema „Schindelfisch“: eine Essenz aus Fisch, Holz und Pilzen, geschöpft aus dem Lärchenholzstamm. (c) Tom Mesic

Gewürzgepäck. Die Gastgeber Helmut und Philip Rachinger, ein ungewöhnlich friktionsfreies Vater-Sohn-Gespann, hatten drei ihrer Kerngerichte ausgewählt: Ihr „Erdäpfelgulasch“, selbst schon eine eher freie Variation, ihren „Sommerbock“ mit Melanzani und Beeren sowie, natürlich, den berühmten „Schindelfisch“ – Saibling, der zwischen heißen Zedernholzschindeln gegart wird. Diese drei Gerichte galt es als Remix aufzuführen.

Im Mühltalhof waren neben heimischen Teilnehmern wie Konstantin Filippou oder Lukas Nagl auch internationale Kapazunder am Werk; bemerkenswert war der Frauenanteil: 50 Prozent. Ana Roš aus Slowenien, derzeit als „Beste Köchin der Welt“ geführt, war ebenso dabei wie May Chow aus Hongkong („Asia’s Best Female Chef“) oder Manu Buffara aus Brasilien. David Chang reiste aus New York an, René Redzepi aus Kopenhagen. Redzepi bildete mit der Mexikanerin Gabriela Camara sowie Milena Broger und Felix Schellhorn aus Österreich ein Team und brachte mit seinen Bestellungen die Jäger der Bundesforste ins Schwitzen. 70 Rehzungen wollte er zunächst für den Remix des „Sommerbocks“, musste sich aber mit weniger begnügen. Die Zungen wurden dünn aufgeschnitten und auf frittierten Flechten mit Chili-Öl als Nigiri-Sushi serviert.

Gefräst. Im Original kommt Saibling ins Zedernholz, im Remix in Krenwurzeln.
Gefräst. Im Original kommt Saibling ins Zedernholz, im Remix in Krenwurzeln. (c) Tom Mesic

Im Gepäck hatten sie alle – ob aus Schweden, Italien, Kanada, Peru oder Thailand angereist – nicht nur Badezeug, Zahnbürste und Würzzutaten. Sondern vor allem auch ihre ureigenen Kochtraditionen, ihre persönlichen Aromaprofile, ihre Ideen. Ohne die der Remix von Gerichten schließlich gar nicht möglich wäre.

Konspirativ. Die Kochteams, per Los zusammengebracht, arbeiteten sich ganz unterschiedlich an die Rachinger’schen Ausgangsgerichte heran. Die eine Kleingruppe tauschte sich bei einem Spaziergang aus, die andere zog sich, ebenso konspirativ wie grölend, ins Kaminzimmer zurück. Wieder eine andere fuhr mehrmals ins Lagerhaus, um für ihre Rehbock-Barbecue-Version die nötigen Utensilien zu besorgen. In manchen Gruppen glich das Feilschen um das finale Umsetzen der persönlichen Ideen fast einem verbalen Boxkampf – David Chang und Lukas Mraz etwa schienen besonders durchsetzungswillig. Ihre Version vom Sommerbock, mit May Chow und Colombe Saint-Pierre aus Kanada umgesetzt, geriet zum vielbeklatschten würzigen Comfort-Food, in Gemeinschaftsschüsseln serviert.

Archaisch. Magnus Nilsson, Manu Buffara und Konstantin Filippou machten Barbecue.
Archaisch. Magnus Nilsson, Manu Buffara und Konstantin Filippou machten Barbecue. (c) Tom Mesic

Auffallend genau an der Identität des Originals blieb das Team Chiho Kanzaki, Japanerin in Paris, Margot Janse aus Südafrika und Heinz Reitbauer. Die drei, die sich auf Französisch verständigen mussten, hatten als Remix-Thema den „Schindelfisch“. Zwei Gänge galt es daraus zu extrahieren: einen Snack und einen Gang für das gesetzte Essen. Das erste Gericht des Teams Reitbauer-Janse-Kanzaki setzte die Idee, den Fisch in Holz zu packen, konkret um – wenngleich auch gänzlich neu: Ein Stück von einem massiven Lärchenstamm wurde zu einem Trog ausgehöhlt, im Holzofen erhitzt, „damit die ätherischen Öle herauskommen“, und mit einer waldig duftigen Fischessenz gefüllt. Diese enthielt Lärchennadeln sowie Pilze, „vor allem solche, die in der Nähe der Lärche wachsen“, wie Heinz Reitbauer erklärt. Dazu: ein Cracker aus knusprigen Fischkarkassen, Räucherfisch und Limequat.

Das Matrixgericht Rehbock wurde unter anderem von Konstantin Filippou, Manu Buffara und Magnus Nilsson neu gedacht: Sie hängten um sechs Uhr früh einen Rehbock über offenem Feuer auf, bestrichen ihn mittels selbstgebasteltem Maisblattbesen mit einem Pilzfond und servierten die lange gegarten Stücke etwa mit aufgeschlagenem Mark, das mit grünen Heidelbeeren aufgefrischt wurde.

Auf eine gewisse Weise nah am Original des Schindelfischs, wenn auch dekonstruktivistischer als das Lärchenstammtrio, blieb das Team Lukas Nagl, Antonia Klugmann und Virgilio Martinez: Die drei hatten das Erdäpfelgulasch zum Remix-Thema. Und bezirzten die Gäste mit einem kleinen, extrem flaumigen Knödel: Topinamburschalen-Germteig wurde mit gestocktem Gulasch gefüllt, dazu gab es eine Paprika-Verbene-Butter zum Tunken. „Ein Germknödel braucht ja immer Butter“, sagt Nagl. Und so wurde aus einem Erdäpfelgulasch-Remix auch gleich ein Germknödel-Remix.

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