CreativeClass Berlin: Thomas Gnahm

In die Zukunft der Mode blickt Thomas Gnahm mit zwei Formaten, die in Berlin die Startup- und die Modeszene einander annähern.

Die Mode ist so sehr damit beschäftigt, sich ununterbrochen selbst zu erneuern und in die recht nahe Zukunft einer bevorstehenden Saison zu blicken, dass ihr mitunter vorgeworfen wird, sie sei verhältnismäßig arm an langfristigen Visionen. Nun gibt es allerdings einige Experten, die an dieser Sachlage etwas ändern möchten und eifrig an Zukunftsvisionen basteln. In Berlin gehört zu den wichtigsten Mode-Utopisten Thomas Gnahm, und zwar sowohl mit dem von ihm gegründeten Wear-It-Festival als auch mit dem 2016 erstmals ausgetragenen Fashion-Hack-Day. Unlängst war Gnahm auch Gast des ersten vom Fashion-&-Technology-Lehrgang an der Kunstuniversität Linz ausgerichteten Symposiums, wo das "Schaufenster" ihn für ein CreativeClass-Porträt getroffen hat.

Hat die Zukunft der Mode schon begonnen?

Die Zukunft der Mode war gestern – wir sind schon mittendrin im Wandel: Wir sehen neue und ganz konkrete Produkte die schon jetzt zum Kauf angeboten werden, etwa das Polotech Shirt von Ralph Lauren. In Kürze planen Google und Levis im Rahmen des Project Jacquard eine interaktive Jacke vorzustellen. Es gibt bedeutende Firmenübernahmen, z.B. von dem Elektronik-Textil Hersteller Clothing+ durch Jabil, die belegen, dass auch die Industrie das Thema ernst nimmt.
Hier entstehen ganz neue Industriezweige und Supply Chains, das Unterscheidet diese nunmehr dritte Welle des Wearable Hype von den vorherigen. Die Modeszene wird sich in einigen Bereichen also grundsätzlich umgestalten, denn es drängen mehr und mehr Technologiekonzerne auf diesen Markt.

Thomas Gnahm
Thomas GnahmWear It Berlin

Du warst letztens in Linz bei einem Symposium zu Gast - was hast du aus der Modeklasse der Kunstuniversität mitgenommen?

Ich bin begeistert von dem neuen Studiengang und dem Lehrkonzept. Diese neue Generation der Studenten bekommt alle Skills mit auf den Weg, die Sie als Newcomer der FashionTech Szene  brauchen: Vom klassischen Entwurf und Konzept bis hin zu der Ausbildung am Lötkolben und dem Verständnis von Elektronik oder dem Lasercutter. Das ist fantastisch, denn das Beherrschen der Werkzeuge geht meiner Meinung nach Hand in Hand mit dem kreativen Entwurfsprozess. Wer weiß, wie die neuen Werkzeuge funktionieren, der kann auch neues damit schaffen: Der Leitspruch „Know your tools“ ist bei der Mode von morgen wichtiger denn je.

Dieses Jahr hast du den ersten Fashion-Hackathon in Berlin organisiert: Wer nahm teil, was ist passiert?

Beim Fashion Hack Day treffen Modedesigner und Innovatoren auf Tech-Enthusiasten, Developer und Ingenieure aus der ganzen Welt. In 48 Stunden entwickeln sie gemeinsam Konzepte und Prototypen der digitalen Mode, die sie mithilfe von Mentoren umsetzen und präsentieren. Mit dabei sind auch Forschungseinrichtungen, etwa das Fraunhofer Institut, und Unternehmen, etwa SAP. Zusammen ergibt das eine dynamische, brodelnde Menge an kreativen Machern, die in den 2 Tagen unglaubliche Ideen zur Realität werden ließen.

Performance auf dem Wear It Festival.
Performance auf dem Wear It Festival.Wear It Festival

Was erwartest du dir vom nächsten Wear-It-Festival?

Das nächste Wear-It-Festival in Berlin wird im Frühjahr 2017 stattfinden und einen Blick in die Zukunft der digitalen Mode, auf tragbare Technologien und völlig neue Konzepte für Design und Interfaces zeigen. Neben Vorträgen und einer Ausstellung zu topaktuellen FashionTech-Pieces gibt es wieder Performances und die Möglichkeit geben, die Macher hinter den Projekten persönlich kennenzulernen. Es wird ein lockers Event mit viel Raum zum Austausch sein, denn diese neuen Technologien machen Spaß, und es ist vor allem interdisziplinäres Denken gefragt. Daher treffen beim Wear-It-Festival Innovatoren aus unterschiedlichen Bereichen zusammen, um die Mode von morgen neu zu denken.

Wo hört Hi-Tech-Kitsch auf, wo fängt Wearable Technology an?

Ich denke, da kann man keine eindeutige Grenze ziehen: Als die ersten Autos entworfen wurden, sahen diese aus wie Pferdekutschen – bloß ohne Pferde.
Aus heutiger Sicht könnte man das Aussehen dieser Gefährte als kitschig wahrnehmen, aber es ging am Ende darum zu zeigen, dass es sich um ein fahrbares Objekt handelt. So geht es also um Kitsch mit Funktion: Die Menschen konnten so verstehen, dass sie es mit einem Fortbewegungsmittel zu tun haben.
Da sehe ich die parallele zu der heutigen High Tech Mode: Schaut, wir haben Technologie implementiert, es blinkt, es is aufwendig 3D gedruckt, oder wir haben High Tech Materialien verwendet. Das schließt aber die Funktion im Sinne von wearable Technology nicht aus. Wir sind heute also Pioniere befinden uns in einer Zeitenwende und dürfen erstmal alles ausprobieren, neu denken und spielen. Für mich ist das erst einmal eine wahnsinnige Chance!

Der erste Fashion Hack Day fand 2016 statt.
Der erste Fashion Hack Day fand 2016 statt.Wear It Festival

Muss man also "intelligenter" Mode ihre Intelligenz auch ansehen?

Wenn man meinem Shirt seine Intelligenz nicht ansieht, dann bleibt mir als Träger die reine Funktion. Das kann erwünscht sein, ich denke gerade an den Gesundheitsbereich. Wenn wir aber explizit von Mode sprechen dann geht es immer um Style, Selbstdarstellung und Kommunikation.
Gerade hier kann smarte Kleidung mit seinen neuen Eigenschaften viel beitragen. Ich denke da an Textilien die ihr Aussehen ändern können: Tagsüber Business und nach Feierabend mehr glamourös mit Leuchtelementen und Glitzer? Ich würde also sagen: Her mit der Intelligenz, her mit dem Style!
Es ist gut möglich, dass wir schon in wenigen Jahren einen Trend zum High Tech Understatement erleben werden, dann tritt die Technologie aus dem Blickfeld und überlässt dem analogen Style die Bühne. Funktionen wie Sensoren für Gesundheitstracking, Interaktion mit Web-Diensten oder das Vernetzen mit neuen sozialen Netzwerken, z.B. für Sportanwendungen, werden aber bleiben.


Weitere Informationen auf www.wearit-berlin.com
Hier der Link zur Homepage des Studiengangs an der Kunstuniversität Linz. 

(dk)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Mode

CreativeClass Wien: Cha·rạk·ter Couture vienne

Concept Store samt Maßatelier und eigener Kollektion. Designerin Christina Schatzeder hat viel vor.
Mode

CreativeClass Wien: Eigensinnig und Atelier Obstiné

Zum fünfjährigen Bestehen des Design-Shops Eigensinnig lancieren die beiden Inhaber Stefanie Hofer und Toni Wolrich ihr eigenes Label Atelier Obstiné.
Mode

CreativeClass: MAJAVIA Wien

Personalisierten Reiseaccessoires aus recyceltem Leder haben sich Svenja Kalthoff und Magdalena Wagner verschrieben.
Mode

CreativeClass Wien: Crowdfunding von A&C

Christiane Gruber, Designerin von Awareness & Consciousness, will ihr neues Projekt mittels Crowdfunding finanzieren.
Mode

CreativeClass Zürich: Kickstarter-Kampagne für Zippelin von Freitag

Die kultige Unternehmen, das Taschen aus Planen fertigt, will mit einem aufblasbaren Reisetrolley jetzt auch in den Reisemarkt einsteigen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.