Die neue Welle: Elisabeth Längle

(c) Julia Stix
  • Drucken

Die Mode entdeckt das Älterwerden: Szene-Doyenne
Elisabeth Längle findet nicht alle Facetten dieser Entwicklung sinnvoll.

Es entbehrt ja nicht einer irgendwie entlarvenden Ironie: Da steht eine 47-Jährige auf dem Laufsteg und wird von zwei Herren mit nicht enden wollenden Kleiderschichten ummantelt, woraufhin ein zahlreich versammeltes Fachpublikum aufjohlt und von der Entthronisierung des Jugendkults zu sprechen beginnt. Stimmt schon, 47 Jahre, das ist weit jenseits der üblichen Schallmauer in Catwalk-Gefilden, auf die sonst ätherische Elfenwesen im Teenageralter monopolistisches Anrecht haben. Deshalb landeten die Designer Viktor & Rolf, als sie die Neunzigerjahre-Model-Ikone Kirsten McMenamy vor ein paar Saisonen für ihr Defilee ausgruben, ja auch einen ziemlich gelungenen Publicitygag. Denn die McMenamy bestach nicht allein ob ihres Alters oder durch den „Sie ist nicht den Drogentod gestorben und praktiziert jetzt sogar Yoga“-Überraschungseffekt, sondern sie stellte auch noch eine lange, graue Mähne zur Schau; unerhört geradezu in einem auf ewige Jugend getrimmten Umfeld und zugleich Indiz für eine neue Entwicklung. Die Mode hat offenbar das Alter für sich entdeckt, und sei es das mittlere – da scheinen die Grenzen zu verschwimmen.

Verwirrung in der Branche. Von vielen wurde nämlich das Auftauchen dieser faltenbefreiten und straff gestrudelten Frau in ihren Vierzigern ähnlich hymnisch begrüßt, als sähen sie die New Yorker Vorführdame Carmen dell’Orefice höchstselbst posieren – die feiert demnächst aber ihren 80. Geburtstag. Irgendwie scheinen für die Beobachter beim Mitzählen die Jahrzehnte locker und die Verunsicherung tief zu sitzen, und das ist gar nicht so verwunderlich. „Nach Jahrzehnten des Jugendkults fällt vielen das Umdenken schwer“, kommentiert Elisabeth Längle. „Ich glaube aber nicht, dass das Einfärben auf alt genügt, denn ältere Menschen sind wesentlich anspruchsvoller und sensibler als die Jungen. Die Werbekonzepte müssen sich insgesamt verändern; und keiner wird so dumm sein, diesen kaufkräftigen und weltumspannenden Markt links liegen zu lassen.“

(c) Julia Stix

Klare Worte also von einer, auf deren Einschätzung Verlass ist – schon weil sie die Branche seit Langem und in- wie auswendig kennt: Die gebürtige Ukrainerin und studierte Wirtschaftswissenschaftlerin Elisabeth Längle arbeitete schon in den Sechzigerjahren in der Vorarlberger Textilindustrie, ehe sie als Journalistin und Publizistin Karriere machte. Mitte der Achtzigerjahre betreute sie die Modeschiene der Ausstellung „Vienne 1880–1938. Une  apocalypse joyeuse“ im Pariser Centre Georges Pompidou: Bei der Gelegenheit ließ sie nicht nur französische Couturiers aus Stoffen mit Motiven von Kolo Moser und Josef Hoffmann eigene Modelle gestalten, sondern sie hievte im Gegenzug auch Helmut Lang aufs internationale Parkett, wofür er seiner Gönnerin innig zugetan blieb. Und auch heute bleibt Elisabeth Längle, die in einer Dachgeschoßwohnung an der Mariahilfer Straße umgeben von zeitgenössischer Kunst wohnt, am Puls der Zeit als Mitglied in diversen Auswahljurys und Expertengremien. Den gegenwärtigen Hype um die sogenannten „Best Ager“ (das ist per definitionem übrigens die Altersgruppe 50+) verfolgt sie aufmerksam.

Segregation funktioniert nicht. Im Großen und Ganzen zeigt sich Längle skeptisch: „Dass jetzt alle möglichen Häuser Models wie etwa Linda Evangelista als Testimonials ausgraben, halte ich für eine fehlgeleitete Strategie. Nur deshalb kauft doch kein ‚Best Ager‘ diese Mode; so einfach funktioniert das nicht.“ Es genüge, an andere Bereiche zu denken: „Stellen Sie sich vor, im Supermarkt würde es eine Abteilung für diese Altersgruppe geben, mit leicht verdaulicher Kost oder so. Undenkbar! Kein alter Mensch bedient sich dort freiwillig.“ Und noch ein anderes Beispiel hat sie parat: die für begüterte Rentner in den USA, vor allem in Florida, errichteten Ressort, die weitaus weniger Erfolg haben als erhofft. Daraus leitet sie eine Analogie zu neuerdings gerontophilen Kommunikationsstrategien im Lifestylebereich ab: „Warum funktionieren die Sun Citys nicht, in denen man Pensionisten zusammenstopft? Weil die genauso mit den Jungen durchmischt sein wollen. Auch ein spezialisierter Modeladen wäre etwas Ähnliches, eine Sun City der Mode. Keinen Fuß würde ich da hineinsetzen.“

Punkten könnten Marken beim Appell an Kunden vorgerückten Alters vielmehr durch ausgezeichnete Qualität und den Verzicht auf unnötige Chichis: „Große Labels, Prada zum Beispiel, haben längst ihre Basic-Lines, und das ist auch sinnvoll: die Reduktion auf essenzielle Dinge. Eine gute Hose, ein guter Rock, ein gutes Kleid sind so schwer zu finden.“

Ein Satz des französischen Aufklärers Georges-Louis de Buffon kommt ihr da in den Sinn: „Le style, c’est l’homme même“, also: Der Stil ist der Mensch selbst. „Und wissen Sie, so ein Best Ager, ob der jetzt 60 ist oder 70 oder 80, der hat doch seinen Stil schon längst gefunden. Der kauft sich nur mehr etwas, was zu ihm passt.“

Trend-Resistent. Die Luxusmode, die sich ohnehin damit brüstet, hochpreisige Produkte bestmöglicher Qualität zu vertreiben, ist somit quasi ein prädestinierter Tummelplatz für die herbeigesehnte ältere Klientel. Die Tendenz einer Reduktion aufs Wesentliche, wie von Elisabeth Längle skizziert, hat es freilich immer wieder vereinzelt gegeben. Berühmt geworden ist zum Beispiel Donna Karan in den Achtzigerjahren für ihre „Seven Easy Pieces“, mit denen sie den Geschmacksnerv der New Yorker Businessfrauen traf und die Ästhetik eines Jahrzehnts prägte. Ähnlich bemerkenswert ist ein Vorstoß von Céline-Designerin Phoebe Philo, die unlängst eine Best-of-Kollektion „Five Perfect Trousers“ vorstellte.

Für Elisabeth Längle geht es außerdem darum, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: „Es gibt ja nichts Nachhaltigeres als feine Materialien, teures Leder, Stoffe aus Europa und lokale Produktion – da wird die Umwelt denkbar wenig geschädigt“, resümiert sie und weist auf einen entscheidenden Punkt hin: „Die beiden Aspekte müssen gemeinsam betrachtet werden, das Ökologie-Thema und die demografische Entwicklung.“
Davon abgesehen soll man sich keinen Illusionen hingeben, was die Verlagerung der Trendthemen in andere Bereiche als die Kleidung selbst betrifft. „Gesundheit, Fitness, gutes Aussehen, das sind die Modemärkte. Heute ist es ein Ziel, fit zu sein, joggen zu gehen, eine Mitgliedschaft in einem Fitnessklub zu haben. Ob ich den letzten Heuler anhabe, ist bedeutungslos, denn Mode an sich ist kein Statussymbol mehr. Wie ich mit 70 ausschaue, das schon.“

Das Wesen der Mode. Wenn man sich anschaut, wie schnell die in den Geschäften ausgestellte Ware ausgetauscht wird, wie oft Kollektionen vorgestellt werden und wie verwirrend das Treiben in der Mode für viele – Endverbraucher wie Insider – geworden ist, lässt sich in den von Elisabeth Längle skizzierten Vorschlägen zudem ein Ausweg aus einem offenkundigen Dilemma finden. „Das Wesen der Mode besteht darin, für eine Überraschung zu sorgen. Wenn aber diese Überraschung nicht geliefert wird, oder wenn sie dauernd geliefert wird, dann entspricht sie diesem Wesen nicht mehr. Und dann muss sie eben dauerhaft sein, um wieder zu sich zurückzufinden.“ Es wirkt also ganz so, als müsste man die Mode selbst wieder auf Kurs bringen. Bevor sie alt aussieht.

TREFFEN DER GENERATIONEN

Die Veranstaltung mit der schwierigen Mission, Wien in eine „echte Modestadt“ umzumodeln, findet vom 27. bis 29. Mai im Modepalast statt und bespielt erstmals beide Ebenen des MAK. Legten die Veranstalterinnen Cloed Baumgartner und Jasmin Ladenhaufen zuletzt den Fokus auf grüne Mode, ist der Schwerpunkt der Publikumsmesse heuer mit Generations überschrieben: „Der Modepalast ist ein breitenwirksames Event“, meint Ladenhaufen. „Mit ‚Generations‘ wollen wir auch ältere Besucher darauf aufmerksam machen, dass sie bei uns fündig werden.“ Weil aber vom Enkerl bis zur Uroma möglichst alle ins MAK pilgern sollen, umfasst der Generationenschwerpunkt auch einige Kindermode-Labels. Und allen, die sich sowieso nicht als „Best Ager“ sehen, lässt Jasmin Ladenhaufen noch ausrichten: „Faltenrockerl und Spitzenbluserl wird man bei uns keines finden.“ Aber dafür wohl nicht wenig anderes. Modepalast Brand New Expo, 27.–29. 5. im MAK, Info auf www.modepalast.com

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.