Editor's Blog: Givenchy, grenzenlos und fragwürdig

Gemischte Geschlechter, Mix der Saisonen, Konfektion und Couture auf demselben Laufsteg: Bei Givenchy war das zuletzt zu sehen, ist aber nicht sehr zielführend.

Auf der einen Seite ist es verständlich: Eine vollendete Modekreation möchte auf dem bewegten Körper vorgeführt werden, das war schließlich auch der Grundgedanke bei der Erfindung des Defilees in seiner weiterhin bewährten Form. Und es muss für einen Vorzeigekreativen wie Riccardo Tisci etwas Frustierendes haben, gerade die Haute Couture, die Königsdisziplin der Mode, nicht auf dem Laufsteg, sondern "nur" als statische Installation herzeigen zu dürfen.

Darum wurden diesmal zehn Couture-Kleider von Tisci während der Männermodewoche gezeigt. Man möge sich an dieser Stelle kurz die unterschiedlichen Abläufe und Zeitpläne in Erinnerung rufen: Prêt-à-Porter wird vorproduziert und kommt sechs Monate vor Verkaufsstart auf den Laufsteg. Haute Couture wird einzeln angefertigt, das aber relativ schnell, weshalb unmittelbar vor Beginn der Saison präsentiert wird. Gemeinsam mit Männermode für Frühling 2016 wurde also Haute Couture für Herbst 2015 gezeigt.

Auch die Ästhetik von Tiscis dunkler, von Streetwear und religiöser Symbolik beeinflusster Männermode wollte gar nicht mit den luftig leichten Couture-Roben zusammenpassen. Ausgeprägter noch als bei anderen Marken (etwa Prada, wo an der Seite der Frühlingsmänner zumindest die zeitnäheren Cruise-Damen über den Runway liefen) machten sich hier die Damen als Fremdkörper auf dem Laufsteg aus.

Und so stellt sich letztlich die Frage, ob ein Modehaus wie Givenchy sich selbst bzw. dem gesamten Modezirkus wirklich etwas Gutes tut, wenn es die Usancen derartig über den Haufen wirft. Der geringe Zeitvorsprung, den man gegenüber anderen Couture-Häusern gewonnen hat, ist unerheblich. (Zur Erinnerung: Die Haute-Couture-Defilees beginnen in Paris am Sonntag.) Es wäre kindisch, auf diesem Punkt herumzureiten. Im Übrigen gibt es dafür den Showkalender der Fédération.

Man mag zwar argumentieren, dass die Mode dynamischer denn je sei, dass tradierte Schedules und Präsentationsformen längst aufgebrochen werden können. Je größer aber das Mutabilitätspotenzial, wenn man so will, desto größer auch die potenzielle Verunsicherung der Endverbraucher.

Ununterbrochen finden fast zeitgleich an allen möglichen Erdteilen wichtige Modeschauen statt (man erinnere sich an den Croisière-Modemarathon Anfang Mai: Chanel in Seoul, Louis Vuitton in Palm Springs, Gucci in New York, Dior in Cannes), sogar interessierte Beobachter haben wahrscheinlich längst das Gefühl dafür verloren, wann die gezeigten Kollektionen auch wirklich in die Läden kommen.

So aber die Branche nicht vollends darauf verzichtet, mit Laufstegpräsentationen auch tatsächliches Begehren bei den Konsumenten auszulösen (und zwar Begehren nach dem Gezeigten, nicht nur nach einer x-beliebigen Hand- oder Geldtasche derselben Marke, der man interessierterweise in der Folge einen Besuch abstattet), dann ist wahrscheinlich eine Drosselung der derzeit herrschenden, absoluten Flexibilität - und für diese ist das letzte Givenchy-Defilee letztlich ein Indiz - gar nicht die schlechteste Strategie.

Vielleicht denkt Riccardo Tisci ja ähnlich und wollte auf diese Weise bei Givenchy-Eigner LVMH nur um ein erneutes Couture-Defilee ansuchen. Dann wieder hätte er sehr überzeugend gehandelt. Denn diese Initiative sollte keine Fortsetzung finden.

Daniel Kalt ist "Schaufenster"-Chefredakteur und auch auf Twitter und Instagram zu finden.

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