Editor's Blog: Voraus in die Vergangenheit

Die Zukunft der Mode scheint ungewisser denn je. Wenn Modeschauen vielleicht bald zu Consumer Events werden, führt das eigentlich zurück in die Ära der Couture.

Als rastlos gilt die Modewelt ohnehin. Nun bekennt sie sich allerdings auch erstaunlich unverblümt zu ihrer Ratlosigkeit - und zwar die eigene Zukunft betreffend.

Denn es ist, ehrlich gestanden, kein besonders gutes Zeichen, dass der einflussreiche Rat amerikanischer Modedesigner (CFDA) die Boston Consulting Group bemühen musste, um, wie es in Medienberichten (etwa in der britischen Vogue) heißt, Perspektiven für die New Yorker Modewoche zu eruieren. Die britische Vogue zitiert CFDA-Präsidentin Diane von Fürstenberg wie folgt: "Designer, Händler und auch sonst alle (!) beklagen sich über die Schauen. Irgendetwas ist aus den Fugen geraten, wegen der sozialen Medien. Die Menschen sind verwirrt." 

Der Hintergrund ist schnell erklärt: In den vergangenen Jahren haben die bei Modewochen präsentierten Kollektionen einen nie dagewesenen Sichtbarkeitsgrad erreicht. Verantwortlich sind in erster Linie Mittel der digitalen Kommunikation: Online-Medien, Blogs, diverse Spielarten sozialer Medien. Kommerziell verwerten lässt sich diese Sichtbarkeit aber nicht: Denn die Modemarken schicken Kleidungsstücke über den Laufsteg, die erst sechs Monate später in den Handel kommen. 

Sieht das nicht alt aus?
Einige Brands haben, um dem abzuhelfen, bereits mit alternativen Vermarktungsmodellen zu experimentieren begonnen. Burberry war etwa ein Vorreiter, was die Möglichkeit der Runway-Preorders betrifft. Hier konnten Endverbraucher ihre Bestellungen sofort nach der Laufstegpräsentation platzieren. Die Ware wurde an sie bereits vor dem regulären Verkaufsstart ausgeliefert. Bei Moschino wird seit einigen Saisons direkt nach dem Ende der Mailänder Modewoche eine Capsule Collection bei ausgewählten Partnern lanciert, die Stücke aus der Mode der folgenden Saison umfasst. Schon hier stellte sich die Frage, ob der Rest der Kollektion, der erst nach einem halben Jahr verfügbar ist, dann nicht ein wenig alt aussieht.

Vereinzelt hat man also schon nach Lösungen und passenden Alternativmodellen gesucht. Bis das System Modewoche im Großen betroffen sein würde, war es nur eine Frage der Zeit. Es verwundert auch wenig, dass gerade der für die wohl kommerziellste Modewoche verantwortliche Designerverband Amerikas nach einer adäquaten Lösung sucht. Und dennoch ist unbedingt wünschenswert, dass mit Bewusstsein für die potenziellen Auswirkungen vorgegangen wird und dies auch aufseiten des beauftragten Consulting-Unternehmens vorhanden ist.

Die Branche braucht die Vorlaufzeit.
Die, wie kolportiert wird, angedachte Option einer Öffnung der Modewoche für das "breitere" Publikum und die Umwidmung der Runway-Shows in sogenannte "Consumer Events" würde immerhin der Schlachtung einer heiligen Kuh gleichkommen. Eines der angedachten Alternativmodelle würde das vorsehen und zugleich ein Umschwenken auf bereits ausgelieferte und sofort "shopbare" Kollektionen.

Auch das ist nichts Neues: In Berlin hat Peek & Cloppenburg zum Beispiel zuletzt eine Selektion bereits im Handel verfügbarer Kleidungsstücke gezeigt. Die Eintrittskarten waren an Kunden verlost worden. Die MQ Vienna Fashion Week wiederum ist überhaupt ein in erster Linie an Endverbraucher gerichtetes Event: Nicht wenige Labels zeigen im September ihre Herbstkollektionen. Andere wählen wiederum sehr wohl das Modell der saisonal versetzten Präsentation, was ebenfalls Verwirrung stiften kann.

Ähnliches könnte auch in New York blühen. Ein Gemischtwarenladen aus verschiedenen Saisons und unterschiedlich zusammengesetzten Gästescharen würde der ohnehin schon ratlos wirkenden Modebranche aber nicht besonders guttun.

Offen bleibt die Frage, ob und wieso Journalisten und B2B-Einkäufer den zu "Consumer Events" umgewidmeten Scahuen beiwohnen würden. Denn es ist zugleich nicht daran zu rütteln, dass das Fachpublikum weiterhin die Möglichkeit braucht, mit einigen Monaten Vorlauf die Kollektionen zu begutachten. Ab Anfang März werden etwa die Editorials der Printmagazine produziert, welche ab September erscheinen. Ähnliches gilt für die Bestellungen der Retailer.

Ein Szenario könnte dann so aussehen: Die Consumer-Events für Sommermode finden in riesigen Venues im Februar und März statt, während - vielleicht genau gleichzeitig - Moderedakteure, Stylisten und Einkäufer, von allem VIP-Troubel unbehellig (Star-Gäste würden natürlich nur mehr in den Frontrows der Consumer Events sitzen) im stillen Kämmerchen die Herbstmode vorgeführt bekommen. Man hätte das System dann allerdings nicht vereinfacht, sondern einfach eine zusätzliche Ebene eingezogen. 

Ab in die Vergangenheit. Oder ins Chaos?
Während es unter der Dominanz des des Prêt-à-Porter wegen der längeren Order- und Produktionsphasen allmählich zu dem Rhythmus der um ein Halbjahr vorverlegten Präsentationen gekommen ist, war die Möglichkeit, vom Fleck weg die gezeigten Modelle zu kaufen, ab dem Beginn der Modeschauen im späten 19. Jahrhundert vorgesehen. Damals - und bis in die Nachkriegszeit - orderten Couture-Kundinnen ihre Favoriten für die Garderobe der bald anstehenden Saison. Ein bis zwei Monate nach dem Defilee waren die Order üblicherweise, gerade rechtzeitig für die Rentrée, fertig produziert. 

Eigentlich führt die digitale Ära die Mode nun also zurück in die Vergangenheit. Hoffentlich aber nicht ins Chaos. Denn es bleibt zu wünschen, dass dem CFDA bewusst ist, dass eine von ihm getroffene Entscheidung nicht nur New York betreffen wird, sondern in weiterer Hinsicht alle Modestädte.

Es ist gut und wichtig, überholte, als allzu selbstverständlich angenommene Anachronismen zu diskutieren und in Frage zu stellen. Was auch immer beschlossen wird, muss aber mit Bedacht auf die Auswirkungen für die ganze Branche geschehen. Schlichtweg ein Albtraum wären nämlich zur Gänze asynchrone Präsentationen: je nach Modemarke, je nach Modestadt. Das Ende der Verwirrung wäre dann nämlich weniger abzusehen als in der aktuellen Situation. Und von Dingen, die in erster Linie Verwirrung stiften, kehren sich auch wohlmeinende Beobachter früher oder später ab.

Daniel Kalt ist "Schaufenster"-Chefredakteur, @daniel_kalt auf Instagram und @danielescu auf Twitter.

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