Editor's Blog: Das Karussell wird zur Zentrifuge

Chefdesigner eines großen Modehauses, ein Traumberuf? Mitnichten, wenn man die aktuelle Dynamik besieht.

Marc Jacobs wird nicht an den im Deutschen häufig gebrauchten Begriff gedacht haben, also das sprichwörtliche "Modekarussell", als er für seine Präsentation der Louis-Vuitton-Frühjahrsmode 2012 im Louvre ein eigenes Karussell errichtete. Das - visuelle und sprachliche - Bild eines sich ständig drehenden und gerade in dramatischer Beschleunigung befindlichen Systems, einer unerbittlichen Gerätschaft geradezu, drängt sich freilich heute mehr auf denn je.

Denn das dereinst womöglich geruhsame Karussell hat so viel an Fahrt aufgenommen, dass es auch jene, die fest im Sattel zu sitzen glaubten, auszuwerfen vermag. Oder, und das ist eine neue Dynamik, dass die auf ihren Reitpferdchen sitzenden Kreativen ihre sicheren Sattel freiwillig verlassen, um anderswo ihr Glück zu suchen.

Keine Rede von Rochaden
Fast scheint es so, als habe das freiwillige Ausscheiden von Raf Simons bei Dior eine eigentümliche Dynamik ausgelöst, das endgültige Ende einer Ära eingeläutet. Die ungefähr zeitgleich erfolgende Ernennung des jungen Designers Demna Gvasalia zum neuen Kreativchef von Balenciaga - Gvasalias Name war zuvor höchstens in Pariser Insiderkreisen bekannt gewesen, nun ist freilich auch sein eigenes Label "Vetements" eines der Hot Tickets der Mode - verdeutlichte zudem, dass auch etablierte, traditionsreiche Maisons sich nunmehr mit Low-Profile-Protagonisten zufriedenzugeben bereit sind.

Seit letztem Herbst geht es also Schlag auf Schlag: Bei Lanvin wurde Alber Elbaz etwas unsanft hinauskomplimentiert, Gerüchte über das mögliche Ausscheiden von Hedi Slimane von Saint Laurent halten sich seit Wochen hartnäckig. Letzte Woche wurde außerdem bekannt gegeben, dass Stefano Pilati sich von Ermenegildo Zegna verabschiedet. Und seit wenigen Stunden kursiert im Internet die noch nicht bestätigte Information, dass Phoebe Philo ihren Hut bei Céline ziehen könnte.

Das Interessante an dem Ganzen, mögen nun die Gerüchte bezüglich Philo oder Slimane stimmen oder nicht: Von Rochaden kann man nicht wirklich sprechen, da weder bei Dior, noch bei Lanvin, noch natürlich bei Zegna,(*) bislang Nachfolger der ausscheidenden Designer gefunden wurden.

Und wenn der Nachwuchs gar nicht will?
Und sollte man sich aus dem Fundus der verfügbaren Kreativen mit ausreichend prominenetem Profil bedienen - für Dior kämen etwa Riccardo Tisci (aktuell Givenchy) oder Sarah Burton (aktuell Alexander McQueen) infrage -, so bliebe immer noch offen, wer ihnen an ihren aktuellen Posten nachfolgen sollte.

Die großen Luxusgruppen, zuvorderst LVMH und Kering, dürften die Situation zum Teil antizipiert haben und arbeiten beherzt am Aufbau von potenziellem Nachwuchs. Die rasante Beförderung des jungen Briten J. W. Anderson, aktuell zuständig für die Kollektionen des spanischen Luxuslabels Loewe in dem Portfolio von LVMH, mittelfristig wahrscheinlich für Größeres vorgesehen, ist bezeichnend für diese Entwicklung. Selbst ein internes Aufrücken wie jenes von Alessandro Michele bei Gucci ist mittlerweile offenbar eine Option, wenngleich man diese bei Dior offenbar nicht erwägt - weder einst nach John Gallianos Abgang (immerhin durfte Bill Gaytten Kreativchef des "John Galliano"-Labels bleiben) noch jetzt nach Simons' Ausscheiden.

So oder so ist das Modesystem aber wohl an einem Punkt angekommen, wo seine glattpolierte Oberfläche etwas von ihrem Glanz verloren hat. Die Brüche im Lack sind sichtbar geworden. Man könnte auch das Ende einer lange intakten Illusion erahnen, wie sie in Andersens Märchen von des Kaisers neuen Kleidern am Ende zerstört wird.

Wenn nämlich jemand laut die Frage stellen würde: Und wenn es gar nicht die Erfüllung sämtlicher Berufswünsche wäre, Chefdesigner eines großen Pariser Maisons zu sein?

Edit: Wenige Minuten nach Veröffentlichung des Beitrages gab Ermenegildo Zegna bekannt, dass Alessandro Sartori auf Pilati folgen werde. Übrigens ebenfalls bezeichnend für die Rotationsgeschwindigkeit der Zentrifuge.

Daniel Kalt ist "Schaufenster"-Chefredakteur, @danielescu auf Twitter und @daniel_kalt auf Instagram.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.