Editor's Blog: Adidas, wir haben ein Problem!

Kanye West lässt sich für sein Modespektakel von einem Flüchtlingslager-Foto inspirieren. Das sollte den Verantwortlichen in Herzogenaurach sauer aufstoßen.

Kanye West hat also in New York, im Madison Square Garden, die dritte Saison von "Yeezy", seiner Kooperation (als Modedesigner, bitteschön, nicht als Musik-Superstar) mit Adidas präsentiert. Neben Brancheninsidern durften auch an die 20.000 Fans, die zuvor Tickets gekauft hatten, dem Spektakel beiwohnen. Es handelte sich nämlich nicht nur um eine Fashion-Show, sondern auch die Präsentation von Wests neuem Album, "The Life of Pablo".

Die Präsentation dauerte, immerhin wurde ein ganzes Musikalbum abgespielt, für eine Modeschau relativ lang. Das Setting war aber statisch: Sowohl die Models auf einer zentralen Plattform wie auch andere Teilnehmer an der Präsentation/Performance bewegten sich kaum. Das Konzept für die Präsentation war von Kanye West erneut mit der Künstlerin Vanessa Beecroft erarbeitet worden.

An Zynismus nicht zu überbieten ist dabei die Tatsache, dass als "Inspiration" für diese Inszenierung ein vor 20 Jahren aufgenommenes Foto aus einem Flüchtlingscamp in Ruanda dient, das offenbar auch auf den Einladungen zu diesem Spektakel abgebildet wurde (siehe Time-Magazine). Auch Teilnehmer an der Performance geben an, man habe sie angewiesen, "Flüchtlinge aus Ruanda zu channeln" (siehe Jezebel). Diese "Inspiration" kommentarlos aufzugreifen und für die Zurschaustellung einer Edel-Lumpen-Ästhetik zu instrumentalisieren, ohne, ich wiederhole, durch irgendwelche begleitenden Statements die Motivation zu explizieren, ist nicht nur Nonsens, sondern schlichtweg verantwortungslos.

Einige Modekritiker, etwa Imran Amed von Business of Fashion oder Cathy Horyn von The Cut, haben bereits in Texten auf Kanye Wests Spektakel reagiert. Beide heben jedoch nur die systemimmanente Seite hervor, also jene Aspekte, die die Funktionsweise des aktuell in drastischer Umgestaltung begriffenen Modekosmos betreffen. Amed nennt die Consumer-Show, zu der Eintrittskarten verkauft werden, arglos das "the statement of the fashion season", Horyn macht aus ihrer bereits bei anderen Gelegenheiten ausgedrückten Abneigung gegen Wests Designerallüren kein Hehl.

Problemlos durchzugehen scheint aber die Tatsache, dass eine Aufnahme aus einem Flüchtlingslager als Hintergrund für dieses entbehrliche Brimborium herhalten muss. Vielleicht ist das, was aktuell im Mittleren Osten passiert, von den USA - oder zumindest Kanye Wests limitiertem Aufmerksamkeitsradius - zu weit entfernt, als dass sich dem Urheber der Zynismus und die Unangebrachtheit seines Machwerks zur Gänze erschlösse.

Als Geste des "Empowerment", vergleichbar mit dem neuesten Video und Superbowl-Auftritt von Beyoncé etwa, lässt sich Wests Kommerzspektakel, das nicht nur dem Verkauf seines neuen Albums, sondern auch jenem einer in Kooperation mit Adidas entworfenen Kollektion dient, jedoch keinesfalls lesen.

Wäre es als eine solche gedacht gewesen, hätte es, ich wiederhole mich, begleitender Maßnahmen der expliziten Bewusstseinsbildung bedurft. Die Liedtexte in Wests Album dürften sich auf dieser Ebene nicht anbieten (siehe BBC).

Und es mag für einen nicht im Verdacht übertriebenen Intellektualismus stehenden US-Popstar noch irgendwie angehen, sich Ignoranz gegenüber der Zeitgeschichte in diesem Kontext zu leisten (wobei eigentlich: nein!). Den Verantwortlichen des deutschen Sporartikelriesen Adidas sollte aber endgültig mulmig werden, wenn sie sehen, was sich ein Star aus ihrem Kooperationsfundus da an deplatziertem, sinnentleertem Zynismus für die Vorstellung einer gemeinsamen Kollektion leistet.

Daniel Kalt ist "Schaufenster"-Chefredakteur, @danielescu auf Twitter und @daniel_kalt auf Instagram.

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