Spuren im Sand

(c) REUTERS (GONZALO FUENTES)
  • Drucken

Neben neuen Impulsen setzten nicht wenige Modehäuser bei der Settimana della moda in Mailand auf Bewährtes. Doch hinter einer Fassade von Gemütlichkeit kann - wie bei Prada - das Unerwartete schlummern.

Ausgerechnet fein rieselnder Sand, einmal tatsächlich greif- und sichtbar, einmal als abstrakte Inspiration, verband bei der Settimana della moda in Mailand zwei herausragende Positionen an verschiedenen Polen des Modespektrums: In dem einen Fall hatte Miuccia Prada vor dem Defilee ihrer Frühlingskollektion für 2015 haufenweise blassvioletten Sand in einer kuscheligen, braunen Siebzigerjahre-Teppichlandschaft auftürmen lassen. Im anderen Fall legte Giorgio Armani Entwürfe für seine Hauptlinie vor, die Sand als abstrahierten Bezugspunkt in einer von Licht, Luft und Leichtigkeit geprägten Kollektion auswiesen.

Exakt mit dieser schwerelosen Modeästhetik ist Armani ja über die Jahre zu dem Stardesigner geworden, als der er heute von der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wird: So ist es wohl kein Zufall, dass genau die Kollektion, die im März 2015 in die Läden kommt, sich als eine Art „Best Of“ der beige-grauen (die Entsprechung zu Ferraris Rot heißt bei Armani „Greige“) Farb- und Stimmungswelt lesen lässt. Wenig später, im Mai nämlich, wird Giorgio Armani, der im vergangenen Juli denkbar wenig Aufhebens um seinen 80. Geburtstag machte, das 40-jährige Bestehen seiner Firma feiern. Die zu diesem Anlass geplanten Festivitäten – Genaueres ist noch nicht bekannt, die Eröffnung eines Armani-Museums samt Öffnung des Firmen-Archivs ist aber beschlossene Sache – werden zeitgleich zur Eröffnung der Expo Milano mit Sicherheit einiges logistisches Geschick bei den hauseigenen Eventmanagern erforderlich machen.

Ebenso von Leichtigkeit und unkompliziertem Chic wie Armanis Kollektion ist die Arbeit des deutschen Tomas Maier bei dem Luxuspowerhouse Bottega Veneta gekennzeichnet: Neben Gucci ist Bottega eines der Flagschiffe des Kering-Konzerns der Pinault-Familie, und Maier hat es in den vergangenen Jahren geschafft, mit luxuriösem Understatement den Geschmack der potenziellen Klientel zu treffen. Seine Entwürfe für den kommenden Sommer (das Leitbild war eine Tänzerin am Weg zu ihrem Ballettunterricht) werden hier aller Wahrscheinlichkeit nach keine Ausnahme darstellen.

Dem kühlen Look, den Armani und Maier vorgeben, entsprechen auch die Entwürfe von Massimiliano Giornetti für das Haus Ferragamo: Da gibt es Tupfen knalliger Farbe, Ethno-Details, Python-Kleider, insgesamt aber ist die Kollektion von jener „Sprezzatura“, einer stilvollen Unbeschwertheit, getragen, die im Frühling dieses Jahres auch als Leitbild der großen Ausstellung „The Glamour of Italian Fashion“ im Victoria-and-Albert-Museum in London fungieren durfte.

Folklore am Laufsteg. Am anderen Ende des Modespektrums, da wo es etwas opulenter und beherzter zugehen darf, sind Marken wie Versace, Roberto Cavalli oder Dolce & Gabbana angesiedelt. Donatella Versace schwebt für das Frühjahr zwar viel an Bauchfreiheit und Minilänge vor (che altro...?), zugleich zeigt sie aber auch in der Showkollektion ein paar sehr angezogene Tageslooks. Ob das damit zu tun hat, dass sich die Marke auf einen möglichen Börsegang vorbereitet und sich im Vorfeld etwas erwachsener präsentieren möchte, sei dahingestellt.

Auch Roberto Cavalli, der derzeit auf der Suche nach möglichen Partnern ist, gab sich in Mailand etwas verhaltener als sonst. Sehr wiedererkennbar und ganz und gar in der Marken-DNA verankert gaben sich wieder Domenico Dolce und Stefano Gabbana: Das Evozieren eines folkloristischen Sizilien, der Heimatregion von Dolce, gehört zum immer wiederkehrenden Standardrepertoire. Im Frühling 2015 führt die Reise in eine „Sicilia spagnola“, was wiederum zuvorderst am Show-Soundtrack zu erkennen war.

Ebenfalls gern auf ein schon bekanntes Ziel steuert Gucci-Designerin Frida Giannini zu: Der Look für ihr Power-Ethno-Hippiegirl in Vintageuniformen und knapper Silhouette dürfte sich gut verkaufen. Anders ist die ewige Wiederkehr dieses Bildes am Laufsteg nicht zu erklären. Und da Giannini auch privat mit dem Gucci-CEO Patrizio di Marco liiert ist, fließen wohl die Informationsströme aus dem Commercial Department selbst außerhalb der Bürozeiten ins kreative Denken ein.

Eine Familienangelegenheit ist seit einigen Saisonen auch wieder die Mode von Trussardi: Gaia Trussardi, die Tochter von Nicola, der die Marke in den Achtzigerjahren als relevantes Objekt auf dem Lifestyleradar auftauchen ließ, legte ihre dritte Kollektion vor und wandte sich damit an eine moderne, schnörkellose Frau mit Sinn für intelligente Details. Was für Ferragamo die Schuhe, sind für Trussardi ursprünglich Handschuhe: Der gekonnte, smarte Umgang mit Lederdetails wurde von Gaia sinnvollerweise als wichtige Komponente identifiziert.


Blumen und Blusenzipfel. Nicht Leder, sondern Pelz ist das ursprüngliche Einsatzgebiet des Castiglioni-Clans. Consuelo Castiglioni aber, die Chefdesignerin der Marke Marni, lässt darauf in ihrer Sommerkollektion vergessen und gibt sich lieber floralen Fantasien hin. Die Marni-Frau ist ohnehin kunstsinnig und anspruchsvoll, hat Sinn für das Filigrane und Feine (warum Marni und H&M eine Kooperation eingegangen sind, erschließt sich auch im Nachhinein nicht ganz). Die Entwürfe, mit denen Castiglioni das 20-Jahr-Jubiläum ihrer Modelinie feiert, überraschen zwar nicht, bestechen aber mit Raffinesse. Zur Feier des runden Geburtstages wurde außerdem ein „Marni Flower Market“ abgehalten, dessen Erlös einem wohltätigen Projekt zugute kam, und der an einem strahlend schönen Sonntag von den Mailändern gern besucht wurde.

Für Spannung sorgte im Vorfeld der Settimana della moda, wo vielerorts Verhalteneres als sonst geboten und fast durchgehend auf große Überraschungen verzichtet wurde, das Debut von Rodolfo Paglialunga als neuem Designer für das Jil-Sander-Label. Die Stammkundin des einst in Hamburg gegründeten, heute in Mailand beheimateten Modehauses wird sich in dieser Kollektion wiederfinden. Außerdem gelang es Paglialunga, das Profil der Kollektion zu verjüngen; er erlaubt sich Spielereien mit skurril geordneter Schlampigkeit (Blusenzipfel etwa, die unter einem durchbrochenen Rockbund hervorlugen dürfen) und gibt der hanseatischen Coolness damit einen Sprezzatura-Touch.

Eine weitere Premiere war die erstmals in Mailand vorgestellte Zweitlinie des in Paris lebenden Römers Giambattista Valli: Giamba heißt diese junge Marke mit viel Innovationpotenzial.

Innovativer Geist ist wohl auch das richtige Stichwort, wenn es gilt, die Arbeit von Mailands Mode-Visionärin Miuccia Prada auf den Punkt zu bringen. Sie hat über die Jahre so verlässlich an der Erneuerung der Prada-Ästhetik gearbeitet, so oft neue Marschrichtungen für die kommerziell erfolgreiche Mode mit avantgardistischem Anspruch vorgegeben, dass sie sich heute an sich selbst fast mehr als an ihren Mitbewerbern zu messen hat. Der eingangs erwähnte Sand, der auch bei Prada eine Rolle spielte, hatte zumindest nichts mit mediterraner Leichtigkeit und Unbeschwertheit am Hut.

Vielmehr gab sich Miuccia Prada in Kontinuität zu ihrer letzten Kollektion einer üppigen Retro-Fantasie hin. Zudem ließ eine braune Teppichlandschaft an überholte Wohnzimmerbehaglichkeit denken. Hinter der Fassade gutbürgerlicher Gemütlichkeit schlummert aber bei Prada das Unerwartete: Patchworks aus Leinen und Seidenbrokat, mitunter unwahrscheinliche Materialkombinationen kennzeichnen diese Kollektion. Die vielen Fäden und Fransen, die von unversäuberten Stoffrändern hängen, hinterlassen den Eindruck des Unfertigen, vielleicht sogar der Verwahrlosung. Ein interessanter, vielleicht sogar mutiger Vorstoß von Miuccia Prada, die, wie es manchmal scheint, mit ihrer Mode fast nichts falsch machen kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.