Füllhorn der Ideen

In Mailand wurde Mode für den nächsten Frühling präsentiert. Auf das Filtern ihrer Einfälle verstanden sich nicht alle Designer gleich gut.

Eine Kollektion – um dieser Etymologie nachzuspüren, muss man kein Latinist sein – ist das Resultat von einem Prozess der Sammlung und des Sammelns. Dazu gehört das Aufspüren von Ideen, ebenso aber das Aussieben und Verwerfen, sozusagen das Über-Denken. Und so existiert nicht ganz grundlos die Annahme, dass die Qualität der Arbeit eines Modedesigners auch darin besteht, dass Einfälle gefiltert werden. Manch Originelles schmerzhaft verworfen: Das mag wehtun, lohnt sich aber, wenn das Ergebnis eine zusammenhängende, in sich stimmige Kollektion ist.

Im Zeitalter zusehends digitaler und möglichst unmittelbarer (in anderen Worten: häufig ungefilterter) Kommunikation scheint dieses Grundverständnis jedoch vielerorts ins Wanken zu geraten. Das kann freilich problematisch werden: Eine Kollektion, die aus zig Mikrotrends besteht, mag den Vorteil haben, ohne Mühe in vielerlei Zusammenhängen auf Instagram oder Snapchat verbraten zu werden. Wenn sie – in ihrer kommerziellen Übersetzung – im Laden hängt, tut sich aber die von solcher Fülle geblendete Kundin womöglich beim Erkennen ihrer Einkaufsgelüste ebenso schwer wie der Kreative im Entwurfsprozess und verlässt am Ende gar entnervt den Laden. Das möchte man natürlich niemandem wünschen, und bei Gucci klingeln, wenige Saisonen nach der Inthronisierung von Mailands neuem Konzertmeister Alessandro Michele, auch munter die Kassen. Und doch ist Michele mit der Entfaltung seiner schier grenzenlosen Fantasie, die in Spurenelementen vielerorts in den Mailänder (und internationalen) Kollektionen wieder anzutreffen ist, nun an einen Scheideweg zwischen Innovation und Repetitivität gelangt. Eventuell würde auch ihm mehr Mut zum „Editing“, zur Vorauswahl aus unzähligen Referenzen jenen neuen Weg eröffnen, den die Branche sich nach einigen ausdrucksstarken Saisonen von Gucci zu wünschen beginnt.

Charme und Eleganz. Auf neue und doch bewährte Pfade begab sich derweil Giorgio Armani, der zwar mit dem Neologismus Charmani (gebildet aus seinem Namen und dem Wort Charme) ein verändertes Leitbild für seine Kollektion vorgibt, sich – und den Erwartungen seiner Klientel – zugleich in vielem treu bleibt. Auch Donatella Versaces kompakte Mode für den nächsten Frühling hält als Würdigung von Power-Femininität gut zusammen. Nach zwei etwas überraschenderen Saisonen ist sie wieder näher an ihre ursprüngliche Versace-Vision gerückt. Über eine neue Art von Eleganz machte sich indessen Miuccia Prada Gedanken: Der Paradekreativen in Mailands Mode gelingt wie fast immer eine ansprechende und durchaus intellektuell anspruchsvolle Deklination ihrer Ideen, die zwar ohne ein akademisches Traktat an Shownotes auskommt, dafür aber in Kombination mit einem das Laufstegtreiben fast dominierenden Kurzfilm von David O. Russell gezeigt wurde.

Zu den frischesten Positionen in Mailand, wo es diesmal viel jahreszeitengemäße, also wahrhaft sommerliche, leichte Kleidung auf den Laufstegen zu sehen gab, zählten die Entwürfe von Karl Lagerfeld für Fendi: Auch nach über fünfzig Jahren als Hausdesigner gehen ihm die Ideen (und die Bereitschaft, diese auszusieben) nicht aus. Ein halbes Jahrhundert Bottega Veneta und immerhin 15 Jahre seiner Kreativdirektion feierte indessen Tomas Maier mit einer ebenfalls perfekt abgestimmten Kollektion, präsentiert in der Pinacoteca di Brera. Als junger Designer gilt in Mailand  der 38-jährige Sizilianer Marco de Vincenzo mit der von ihm bevorzugten Ästhetik: Er arbeitet im Fendi-Accessoire-Department an der Seite von Silvia Venturini Fendi und führt sein eigenes Label mit Minderheitsbeteiligung des Fendi-Mutterkonzerns LVMH. Seine experimentierfreudigen Looks fügen sich gut in eine insgesamt farbenfrohe Mailänder Saison ein.

Während in New York und London vereinzelt Modemarken mit dem neuen Prinzip der sofortigen Verfügbarkeit von Catwalk-Mode geliebäugelt haben, ist dieser See-now-buy-now-Ansatz in Mailand weiterhin kein Thema. Allein Moschino – diesmal zeigte Jeremy Scott eine Anziehpuppenkollektion (sic!) mit fragwürdiger impliziter Aussage – bringt weiterhin sofort eine Capsule Collection in Anlehnung an die Runwaymode in die Geschäfte. Philipp Plein – fürwahr kein Meister des Editing oder der Kollektionsrafinesse –, zu dem dieser Ansatz ebenfalls gut passen würde, kündigte konsequenterweise seinen Abschied aus Mailand an. Man wird sehen, ob er in den USA seine gigantomanischen Modespektakel nochmals toppen wird.

Millennial-Luxus. Der dominanten, historisch bedingten Identität ihres Labels vermochte Veronica Etro diesmal einen nicht unspannenden Charakter zu verleihen. Etwas mehr Courage und Mut zum Ausbrechen aus selbst gesetzten Grenzen möchte man indessen Rodolfo Paglialunga bei Jil Sander wünschen. Überschnittene Plissee-Schultern oder kastenförmige Silhouetten, die in der aktuellen (und vergangenen) Modelandschaft durchaus nicht beispiellos sind, tun der Marke wenig Gutes. Den Weg einer fast aggressiv geänderten Kommunikationsstrategie wählte man derweil bei Dolce & Gabbana, um das eigene Profil zu verjüngen: Eine Frontrow aus blutjungen Social-Media-Influencers mit Millionen an Followers sollte für frischen Wind sorgen und führte in der Tat zu wahren Groupie-Aufläufen vor den Toren der Showlocation. Inwiefern die Veränderung der Rahmenerzählung aber die Rezeption eines weitgehend unveränderten Produktes zu beeinflussen vermag, können wohl selbst Marketingprofis im Dienste globaler Lifestylemarken nur hoffnungsfroh erahnen.

Kampfgeist. Eine konsequente Weiterführung seiner Erzählung, wenn man so will, und ein obendrein äußerst gelungenes Narrativ, von humorvoll aufbereiteten Militär-Referenzen getragen, schaffte mit seiner Sommerkollektion der Österreicher Arthur Arbesser: Weniger lieblich als zuletzt, doch verspielt und mit einer starken, grafischen Identität versehen waren seine ausgezeichnet zusammengestellten Modelle, die miteinander ein harmonisches Gesamtbild, eine echte Kollektion also, ergaben. Präsentiert wurden sie in einer völlig neuen Show-Location, den umgebauten Hofstallungen im Annex des Mailänder Wissenschaftsmuseums: Diese konnte Arbesser sich dank seiner Freundschaft mit dem verantwortlichen Architekten, Luca Cipelletti, sichern (dem Vernehmen nach wurde er Luxus-Powerhouses wie Tod’s und Gucci vorgezogen). Erstmals präsentierte Arthur Arbesser, in dieser und der kommenden Saison Mitglied des Swarovski-Collective-Talentprogramms, eigene Schuhe und Schmuckkreationen auf dem Laufsteg, außerdem in Kooperation mit Silhouette entworfene Brillen – eine beachtliche Komplettierung seines Profils und womöglich der Ansatz zum Sprung auf das nächste Karrierelevel.

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